Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
Abgeordnete Malik in Offiziersuniforrn auf die Rampe 
des Parlamentes trat und mit den Worten: „Verdecken 
wir die Schmach, die wir auf unseren Kappen tragen, 
mit dem, was in unseren Herzen lebt" die kaiserliche Ko 
karde mit der nationalen Trikolore überzog, folgten die 
Offiziere und die Soldaten lemem Beispiel unter dem 
lebhaften Beifall der Zuschauer. Schwarz-Gelb machte 
überall den Farben Rot-Weitz-Rot Platz. 
Gleichzeitig mit dem Versassungsentwurf legte der Voll 
zugsausschuß der vorläufigen Nationalversammlung eine an 
Wilson zu richtende Note vor. In ihr wurde von der Bildung 
eines Deutschösterreichischen Staates Kenntnis gegeben und 
um Gelegenheit zur Einleitung von Verhandlungen übereinen 
gerechten Frieden ersucht- Die Note erörterte auch die Frage 
der deutschen Sudetenläuder und bezeichnete es als selbst 
verständlich, daß die deutschen Gebiete Böhmens, Mährens 
und Schlesiens mit dreieinhalb Millionen Deutschen zu dem 
neuen Dmtschösterreichischen Staat gehören müßten. — 
Diese Zugehörigkeit zu Deutsch-Österreich, eine Selbst 
verständlichkeit, wenn das Selbstbestimmungsrecht der 
Völker überhaupt einen Sinn hoben sollte, wurde aber 
von dem jungen Tschechisch-slowakischen Staat bestritten. 
Auch in Prag hatte sich ein Natioualrat gebildet. Am 
28. Oktober wurde die Unabhängigkeit des neuen tschechischen 
Staates ausgerufen. Deutschland war der erste Staat, der 
die Prager Regie 
rung durch seinen 
Generalkonsul 
Freiherrn v. Eeb- 
sattel anerkannte. 
Währenddessen 
brach in Ungarn 
die Revolution 
aus. Der dort ge 
bildete Nationalrat 
drängte schon in 
den letzten Okto 
bertagen nach einer 
radikalen Lösung 
und brachte den 
bündnisfeindlichen 
Grafen Karolyi als 
leitenden Minister 
in Vorschlag. Die 
Krone entschloßsich 
jedoch zur Beru 
fung des Grafen 
Hadik als Minister 
präsidenten (siehe 
Bild Seite 298), 
der aber gar nicht 
recht zur Über 
nahme des Amtes 
kam. Budapest war angefüllt mit Fahnenflüchtigen, 
die von bolschewistischen Gedankengängen beherrscht wur 
den und den Kern einer gewalttätigen Menge bil 
deten, die durch Umzüge ungeheure Aufregung stiftete und 
auch vor Straßenkämpfen nicht zurückschreckte. Es gab 
Tote, und Hadik machte dem Grafen Karolyi (siehe Äild 
Seite 298) Platz. Dieser stellte sich in den Dienst der 
Krone und leistete durch den Erzherzog Joseph (siehe Bild 
in Band VIII Seite 392) dem König Karl den Treueid. 
Das nrißfiel aber dem Natioualrat und den Unruhestiftern, 
so daß sich Karolyi von seinem Eid wieder entbinden lassen 
mußte. König Karl von Ungarn verlor auch diesen Thron. 
Am 30. Oktober wurde in Budapest die Republik aus 
gerufen. 
Tags darauf fiel der frühere Ministerpräsident, Graf 
Tisza (siehe Bild Seite 263), der für den Ausbruch des 
Krieges mitverantwortlich gemacht wurde, durch Mörder 
hand. Er war es, der den Ruf nach einem Sonderfrieden 
uerst ausgestohen und durch die Forderung nach der Per- 
onalunion die Monarchie gesprengt hatte. Mit seinem 
Tode fand ein reichbewegtes Leben seinen Abschluß. Als 
er den Krieg verloren gab, wollte er zum mindesten einem 
starken Ungarn den Weg ebnen und reiste im Südslawen- 
gebict umher, um die Slawen zum Anschluß an Ungarn 
zu bewegen. Sein Plan, auf diese Weise Ungarn einen 
Ausgang zum Meere zu sichern, scheiterte. Am 28. Oktober 
hatte sich auch für Kroatien, Slawonien und 
Dalmatien ein Nationalrat mit dem Sitz in Agram 
gebildet, der die Unabhängigkeit dieser Länder und ihre 
Vereinigung in einem Süd slawenreich erstrebte. Die Un 
garn versuchten erfolglos die Durchführung dieses Vor 
habens durch Waffengewalt zu verhindern. In Fiume 
(siehe Bild Seite 299) wurde der Aufstand zwar zeitweilig 
unterdrückt, schließlich mußte die Stadt aber doch den 
kroatischen Behörden, die sich dem Nationalrat zur Ver 
fügung gestellt hatten, ausgeliefert werden. Aber auch 
die Kroaten waren nicht lange Herren des Platzes. 
Am 30. Oktober setzte sich die von der italienischen Be 
völkerung zum Schutz herbeigerufene italienische Flotte in 
den Besitz der Stadt. Die österreichisch-ungarische Flotte 
bestand nicht mehr. Die Regierung Lammasch hatte sie ohne 
Befragung der anderen Völker Österreich-Ungarns durch 
„allerhöchstenAuftrag" kurzerhand dem Südslawischen Staate 
ausgeliefert, wobei sie sich nur Entschädigungsansprüche 
der anderen Staaten der auseinandergefallenen Donau 
monarchie vorbehielt. Auch in Pola (stehe Bild Seite 299) 
drangen die Italiener ein und versenkten durch eine Mine 
den Panzer „Viribus Unitis". — 
Während dieser Vorgänge tm Heimatgebiet schritt an 
der Front das österreichisch-ungarische Heer ebenfalls seinem 
Untergange entgegen. Auf dem italienischen Kriegschau- 
plaß griffen die Italiener am 24. Oktober, dem Jahrestag 
ihrer Niederlage 
am Jsonzo, in den 
Bergen und an 
der Piave von 
neuem an. In 
stellenweise fünf- 
,maligem Ansturn: 
wollten sie die 
Stellungen ihrer 
Gegner nehmen, 
doch wiesen diese 
alle Angriffe zu 
rück. Wo die Feinde 
einzudringen ver 
mochten, wurden 
sie im Gegenstoß 
wieder vertrieben, 
so daß sie in drei 
tägigen Kämpfen 
von ihrem Ziel so 
gar wieder abge 
drängt worden 
waren. Noch an: 
28. Oktober ver 
eitelten die k. u. f. 
Truppen an der 
Piave den Durch 
bruch der Feinde, 
die die Angriffe in den Bergen nur zur Ablenkung geführt 
hatten. Engländer. Franzosen und Italiener erreichten 
zwar in dem Raume südlick vom Montello das östliche 
Piaveufer (siehe Bild Seile 300/301), doch war der Brücken 
kopf, den sie gebildet hatten, von allen Seiten bedroht. 
Da griff plötzlich die Regierung Lammasch ein und ordnete 
den Rückzug auf die Stellungen an, die die k. u. k. Ar 
meen bei Ausbruch des Krieges an den Grenzen besetzt 
gehalten hatten. Dieser Rückzug war nach feindlichen Be 
richten eine Flucht. Trotzdem der Waffenstillstand ange 
boten und am 3. November auch in Kraft getreten war, 
setzten die Feinde den Kampf noch fort, störten den Abzug 
der Österreicher und Ungarn und machten fortwährend 
Angriffe aus deren Nachhuten. Das wirkte auf die k. u. k. 
Heere zersetzend ein, so daß sie sich stellenweise bald in 
der Auflösung befanden. Die Massen strömten in einer 
Verfassung zurück, daß es die Deutschen für zweckmäßig 
hielten, an der bayrischen Grenze Schutzmaßnahmen zu er 
greifen. — 
Gleichzeitig mit der Kunde von dem Abschluß des 
Waffenstillstandes kamen Nachrichten von dem Ausbruch 
neuer Kämpfe auf österreichischem Boden. Das Auf 
lösungsmanifest des Kaisers Karl hatte es unbestimmt ge 
lassen, ob Lemberg, die Hauptstadt Galiziens, an das neue 
ruthenische Kaiserreich Halicz fallen oder wie das übrige 
Westgalizien dem polnischen Staate angegliedert werden 
sollte. Da zogen die Ukrainer, denn das sind die Ruthenen, 
Pierrepont.
	        
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