Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
stände, die von dem Massenmietshaus unzertrennlich sind, 
in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege an Umfang 
gewonnen, während andere, vermeidliche Unzuträglichkeiten 
an Bedeutung verloren haben. Ob schließlich die Lichtseiten 
die Schattenseiten überwogen, ist schwer zu entscheiden. 
Ich für meinen Teil glaube es, das heißt, ich meine: wenn 
man die Behausung als solche ins Auge faßt und die Ver 
ringerung der Freiflächen und dergleichen außer Betracht 
läßt, wird man finden, daß sich die großstädtischen Woh 
nungsverhältnisse vor dem Kriege im ganzen etwas ge 
bessert haben. 
Im Laufe des Krieges haben sich die großstädtischen 
Wohnungsverhältnisse immer mehr verschlechtert. Die 
Gründe dafür sind mannigfaltig. Einmal sind die Woh 
nungen stark gealtert. Im Frieden verschwanden alte, 
schlechte Wohnungen durch Abbruch, und die Wohnungen 
in den Neubauten standen meist über dem Durchschnitt; 
im Kriege sind Abbrüche und Neubauten immer seltener 
stäben unbewohnbaren Wohnungen wieder geräumt sein wer 
den. Wenn man trotzdem bisher der Verschlechterung der 
Qualität der Wohnungen nicht die gebührende Aufmerk 
samkeit geschenkt hat, wenn man sogar Mißstände, wie die 
Belegung früher für unbewohnbar erklärter Dach- und 
Kellerwohnungen, die man während des Krieges geduldet 
hat, nun amtlich begünstigen will, fo liegt dies daran, daß 
man — mit Recht — von größerer Sorge um die Menge 
der Wohnungen erfüllt ist. Die Befriedigung des Woh 
nungsbedarfs der Menge nach ist in der Tat die wichtigste 
Aufgabe der Übergangswirtschaft. 
Infolge des Versagens der privaten Bautätigkeit war 
die Zahl der leerstehenden Wohnungen in den letzten 
Friedensjahren immer geringer geworden. Mit Kriegs 
ausbruch aber wurden zahlreiche Wohnungen frei. Jung 
gesellen und Witwer mit eigener Wohnung, die zum Heere 
eingezogen wurden, gaben ihre Wohnung auf. Das gleiche 
taten viele Kriegerfrauen; sie zogen zu ihren Eltern, oder 
Deutsche V^rfeldbesaßung wehrt einen Tankangriff ab. 
Nach einer Originalzeichnung des Kriegsteilnehmers Albert Reich, München. 
geworden. Die alten, schlechten Wohnungen wurden noch 
älter und noch schlechter, und auch die bei Kriegsausbruch 
neuen und guten Wohnungen sind infolge mangelhafter 
Instandhaltung früh gealtert und schadhaft geworden. Im 
Frieden schieden schlechte Wohnungen aber nicht nur durch 
Abbruch aus, sondern auch durch Schließung durch die Ee- 
sundheitspolizei und die Wohnungsaufsicht. Im Kriege 
haben diese Behörden mehr als ein Auge zugedrückt. Ja, 
wo der Zuzug stark war — und das gilt für sehr viele 
Städte — wurden sogar früher verbotene Keller- und 
Dachwohnungen zugelassen; gegen Übervölkerung aber 
wurde nicht mehr eingeschritten. Die Verschlechterung 
der Wohnungsverhältnisse bedeutet eine umso größere 
Gefahr für die Volksgesundheit, als diese ohnehin durch 
Verwundungen und Krankheiten im Felde und durch 
Entbehrungen in der Heimat empfindlich geschwächt ist. 
Auch handelt es sich dabei keineswegs um Mißstände, 
die mit Kriegsende behoben sein werden. Denn zweifel 
los werden noch viele Jahre nach Friedenschluß ver 
gehen, bis alle nach Vorkriegsmaßstäben abbruchreifen 
Wohnungen verschwunden und alle nach Vorkriegsmaß- 
sie mieteten von anderen Mietern einen Teil der Wohnung 
leer oder möbliert ab, oder sie gingen aufs Land und ähn 
liches. Brautpaare, die noch im Frieden eine Wohnung 
zum Herbst gemietet hatten, verzichteten auf die Gründung 
eines eigenen Haushalts. Allmählich aber änderte sich das 
Bild, und je länger der Krieg währte, desto mehr über 
wogen trotz der fortgesetzten Einberufungen die Gründungen 
von Haushaltungen die Auflösungen. Kriegsbeschädigte 
und andere dienstuntaugliche Männer schufen sich einen 
eigenen Hausstand; kriegsgetraute Frauen, deren Mann 
noch im Felde war, bezogen vor oder nach der Geburt eines 
Kindes eine eigene Wohnung. Da überdies die Bautätigkeit 
immer mehr abnahm, so ging die Zahl der leerstehenden 
Wohnungen wieder zurück. In 52 Gemeinden, für die 
vergleichbare Angaben vorliegen, betrug die Zahl der leer 
stehenden Kleinwohnungen bei der letzten Aufnahme vor 
dem Kriege (nach dem 1. April 1913) 46 791, bei der letzten 
Aufnahme vor dem 1. April 1916: 71 988 und bei der letzten 
Aufnahme vor dem 1. April 1918: 50 124. Im Mai 1918 
hat von Reichs wegen in sämtlichen deutschen Gemeinden 
mit mehr als 5000 Einwohnern eine allgemeine Wohnungs-
	        
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