Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
Pstot. Bild- »nd Film-Amt. 
Planmäßige Räumung im Westen: Rückverlegung einer deutschen Artilleriewerkstatt. 
wurde. Diejenigen Regierungen des Verbandes, die auf 
das Waffenstilistandsangebot eingehen würden, bezeichnete 
die Veröffentlichung als des Hochverrats gegen ihre Völker 
schuldig. In zahllosen Aufrufen forderte man die Bevölke 
rung zum weiteren Widerstand und zur Ruhe auf und er 
lief sogar in allen größeren Zeitungen ein „Manifest von 
den Müttern der Gefallenen", worin in schwülstigen Wen 
dungen eine förmliche Beschwörung des Volkes zum Wider 
stand gegen den Friedensgedanken zum Ausdruck kam. 
Dabei darbten und hungerten diese Mütter der Gefallenen, 
die mit dem ganzen italienischen Volk nichts so sehr ersehnten 
wie die Rückkehr des Friedens. 
So ausfallend wurde das deutsche Angebot selbst in 
Frankreich, das unter dem Kriege in jeder Beziehung am 
schwersten zu leiden hatte, nicht beurteilt. Es gab eine 
Gruppe, die die völlige Niederwerfung Deutschlands ver 
langte, eine andere begnügte sich mit der bedingungslosen 
Räumung der besetzten Gebiete, einschließlich Elsaß-Loth 
ringens und der preußisch-polnischen Landesteile. Eine 
starken und wachsenden Einfluß gewinnende dritte Gruppe 
endlich scharte sich um den französischen Sozialistenführer 
Longuet, der ein ruhig abwägendes Eingehen auf die deutsche 
Note verlangte und sich von der Fortsetzung des Krieges auf 
deutschem Gebiete keinen Vorteil für Frankreich versprach, 
schon weil die kriegerische Verletzung deutschen Bodens 
nur mit ungeheuren Opfern zu erkaufen gewesen wäre, 
sofern ihre Erreichbarkeit überhaupt in der Kraft der Feinde 
lag. Die französische Regierung unter Clemenceau stand 
allerdings der erstgenannten Gruppe am nächsten und ver 
suchte, durch verschiedene amtliche Auslassungen eine Stö 
rung des deutschen Friedensschrittes herbeizuführen. 
In England verhielt man sich vorsichtig und beinahe 
wohlwollend. Viele glaubten die Friedensmöglichkeit ge 
geben, sobald die Deutschen wieder innerhalb ihrer Grenzen 
stünden, andere Politiker dagegen forderten nach wie vor 
die Besetzung innerdeutscher Festrmgen als Voraussetzung 
für einen Friedenschluß. 
Großes Aufsehen erregte die deutsche Note in den Ver 
einigten Staaten. Man feierte den umfassenden moralischen 
Sieg der Politik der Vereinigten Staaten und überbot sich 
in hochtönenden Verheißungen neuer politischer Erfolge. 
Im Senat legte der Senator Cumber eine Entschließung 
zur Beratung vor, worin er verlangte, daß Deutschland vor 
dem Waffenstillstand sein ganzes Heer entwaffne, seine Flotte 
ausliefere, Schadenersatz für die zer 
störten Städte bezahle, Elsaß-Lothrin 
gen zurückgebe und die französische 
Kriegsentschädigung von 1871 zurück 
erstatte. 
Wilson beriet mit Lansing, dein 
Obersten House und anderen Poli 
tikern über die zu erteilende Antwort. 
Am 8. Oktober wurde sie dem schwei 
zerischen Geschäftsträger in Washington 
zur Übermittlung an die deutsche Re 
gierung übergeben. Es zeigte sich, daß' 
Wilson der Entscheidung ausgewichen 
war und zunächst drei Rückfragen stellte. 
Die von Lansing unterzeichnete Note 
lautete: 
„Ehe er (der Präsident) auf das 
Ansuchen der kaiserlich deutschen Re 
gierung antwortet und damit die Ant 
wort so aufrichtig und geradsinnig er 
teilt wird, wie es die wichtigen Jnter- 
essen, die darin eingeschlossen sind, 
erfordern, hält es der Präsident der 
Vereinigten Staaten für notwendig, 
sich des genauen Sinnes der Note des 
Reichskanzlers zu versichern. — Meint 
der Herr Reichskanzler, daß die kaiser 
lich deutsche Regierung die Bedin 
gungen, die vom Präsidenten in seiner 
Botschaft an den Kongreß der Ver 
einigten Staaten vom 8. Januar und 
in den folgenden Botschaften niederge 
legt worden sind, annimmt, und daß 
der Zweck beim Eintritt in die Aus 
sprache nur der sein würde, sich über 
die praktischen Einzelheiten ihrer An 
wendung zu verständigen? — Der Präsident der Vereinigten^ 
Staaten fühlt sich verpflichtet, zu dem Vorschlag eines 
Waffenstillstandes zu erklären, daß er sich nicht berechtigt 
fühlen würde, den Regierungen, mit denen die Vereinigten 
Staaten gegen die Mittelmächte verbunden sind, einen 
Waffenstillstand vorzuschlagen, solange die Heere dieser 
Mächte auf ihrem Boden stehen. Der gute Glaube bei jeder 
Aussprache würde anderseits von der Zustimmung der 
Mittelmächte abhängen, sofort die Truppen überall aus 
den besetzten Gebieten zurückzuziehen. — Der Präsident 
glaubt auch zu der Frage berechtigt zu sein, ob der Kanzler 
nur für diejenigen Gewalten des Reiches spricht, die bisher 
den Krieg geführt haben. Er hält die Antwort auf diese 
Frage von jedem Standpunkt aus für außerordentlich wichtig.^ 
Nachdem der Erste Eeneralquartiermeister Ludendorff 
über die militärische Lage Bericht erstattet hatte, ging die 
Regierung sofort an die Beantwortung der Note. Sie 
wurde am 12. Oktober nachmittags der Schweiz zur Weiter 
gabe an den Präsidenten Wilson zugestellt und hatte folgen 
den Wortlaut: 
„In Beantwortung der Frügen des Präsidenten der 
Vereinigten Staaten von Amerika erklärt die deutsche 
Regierung: 
Die deutsche Regierung hat die Sätze angenommen, die^ 
Präsident Wilson in seiner Ansprache vom 8. Januar und 
in seinen späteren Ansprachen als Grundlage eines dauern 
den Rechtsfriedens niedergelegt hat. Der Zweck der ein 
zuleitenden Besprechungen wäre also lediglich der, sich über 
praktische Einzelheiten ihrer Anwendung zu verständigen. — 
Die deutsche Regierung nimmt an, daß sich auch die -Ne 
gierungen der mit den Vereinigten Staaten verbundenen 
Mächte auf den Boden der Kundgebungen des Präsidenten 
Wilson stellen. — Die deutsche Regierung erklärt sich im 
Einverständnis mit der österreichisch-ungarischen Regie 
rung bereit, zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes den 
Räumungsvorschlägen des Präsidenten zu entsprechen. 
Sie stellt dem Präsidenten anheim, den Zusammentritt 
einer gemischten Kommission zu veranlassen, der es ob 
liegen würde, die zur Räumung erforderlichen Verein 
barungen zu treffen. — Die jetzige deutsche Regierung, 
die die Verantwortung für den Friedenschritt trügt, ist 
gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit 
der großen Mehrheit des Reichstages. In jeder seiner Hand 
lungen gestützt auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der
	        
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