Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
war einer jener Orte, die ihre altehrwürdige Geschichte, 
ihre kunstvollen Bauten vergangener Zeiten uns Land 
fremden teuer machen. So lieb, daß wir mit ihren Be 
wohnern fast einen körperlichen Schmerz empfinden, wenn 
nutzlose Fliegerangriffe sie mehr und mehr verwüsten und 
verunstalten. Unser Quartier, das Haus eines geflüchteten 
Bürgers, lag in dem vornehmen Viertel der Stadt, in dem 
sich die Beamten und wohlhabenden Bürger angesiedelt 
hatten. Neben uns wohnte die Familie des Sparkassen 
direktors Barin. Er war beim Einmärsche der Deutschen 
pflichtgemäß mit den ihm anvertrauten Geldern den ab 
ziehenden Franzosen gefolgt und 1915 in Lyon plötzlich 
gestorben, ohne die Seinen wiedergesehen zu haben. Seine 
Gattin und sein einziges Kind — „Rens, 15 Jahre alt" 
nannte ihn die Hausliste an der Tür — bewohnten mit 
einer alten Haushälterin das Grundstück. 
Unsere Beziehungen zum Hause Barin knüpften sich 
auf eigentümliche Weise 
an. Wie manche fran 
zösische Stadt kannte un 
ser Ort den Lurus einer 
Wasserleitung nicht. Wir 
waren auf eine der ent 
setzlichen „pompös" an 
gewiesen, deren sich jeder 
Kamerad wohl mit Grau 
sen noch in seinem grauen 
Alter entsinnen wird.Wie 
die meisten ihrer Schwe 
stern weigerte sich auch 
unsere „pompo" eines 
schönen Tages, für die 
„boobss" zu arbeiten, 
und da uns nicht gelüstete, 
das nötige Wasser wer 
weiß woher zu holen, 
erbaten wir uns von 
Madame Barin die Er 
laubnis , ihre „pompa" 
zu benutzen. Unsere Bitte 
ward mit der kühlen Höf 
lichkeit der gebildeten 
„ooonpss" gewährt. Da 
mit schien alles weitere 
erledigt zu sein:,. Wir 
tauschten mit den Haus 
bewohnern kühle, höfliche 
Grütze. Das war alles. 
Bis wir eines Tages 
dazukamen, wie sich zwi 
schen einem Landstürmer» 
der nicht Französisch ver 
stand, und der Haushäl 
terin, die kein Deutsch 
konnte, eine heftige, aber 
natürlich zwecklose Aus 
einandersetzung über die 
Reinigung des Straßen- 
stückes vor dem Hause 
Barin entspann. Ich 
vermittelte zwischen den Parteien, und am folgenden Abend 
dankte mir Madame Barin und bat mich zu einer Tasse 
Kaffes in ihre Wohnung. ... . 
Ich fand in ihr eine jener Französinnen, die?, wir in 
Deutschland meist nicht kennen:, eine. Dame von' aus 
gezeichneter Bildung, vollendeten Umgangsformen/ die 
durchaus nichts von dem „Leichtsinn" aufweisen, den der 
den Französinnen nachsagt, der nur die 7,tleurs cku trottoir" 
in Paris kennen gelernt hat. Wir plauderten.von fran 
zösischer Literatur, von den Kunstdenkmälern der; Stadt. 
Den Krieg berührten wir wie auf Verabredung beide 
nicht. Ich hatte beim Weggehen das Gefühl, das Haus 
einer altbekannten Familie zu verlassen, und Madame 
Barin unterlietz nicht, mir anzudeuten, daß ich jederzeit 
bei ihr willkommen sein würde. . 
Tatsächlich verkehrte ich allmählich häufiger in dem 
Hause. Unsere Unterhaltung vermied immer den Punkt, 
der sie hätte unerfreulich gestalten können: den Krieg und 
die Politik. Es herrschte bald zwischen uns das angenehme 
Einvernehmen, das sich zwischen Leuten gleicher Kreise 
und Bildungstufen entwickelt, wenn sie etwa die gleichen 
Interessen haben. Aber sonderbarerweise bestanden diese 
Beziehungen nicht mit dem Sohne des Hauses. Ich mutz 
sagen, daß gerade er mich veranlaßt hatte» das Haus Barin 
näher kennen zu lernen. Ich war gespannt, die Denkart 
eines jungen Franzosen während des Krieges kennen zu 
lernen. Aber ich ward enttäuscht. Wenn ich mit Madame 
mein Stündchen verplauderte —meist abends zwischen sieben 
und acht Uhr — saß Rens am Tische. Sein regelmäßiges, 
etwas blasses Gesicht mit der schmalen, leichtgeschwungenen 
Rase und den großen, dunklen Augen sah mich aufmerksam 
an. Sein volles, dunkelblondes Haar war zur Seite ge 
strichen: alles in allem ein hübscher Bursche, offenbar auch 
klug und ähnlich interessiert wie seine Mutter — die Augen 
konnten keinem Durchschnittsmenschen gehören — aber 
Rens war eine Art steinerner East. Außer ein paar Höf 
lichkeitsworten, ein paar Antworten auf unmittelbare 
Fragen seiner Mutter ließ 
er kein Wort hören. Ich 
ward das peinliche Ge 
fühlnichtlos, als betrachte 
er mich immer und im 
mer als den Eindring 
ling, den Freinden, den 
Feind seines Vaterlandes 
vor allem. 
So war es wohl auch. 
Rens war ein glühender 
Patriot. Das machte ihn 
in meinen Augen nur 
schätzenswert» denn wer 
sein Vaterland nicht liebt 
— und doppelt, wenn 
es unglücklich ist — der 
ist verächtlich. Bei einer 
Gelegenheit sollte ich 
seine Denkweise erfahren. 
Es war in den ersten 
Frühlingstagen. Am Mit 
tage — am hellichten 
Tage! — hatten feind 
liche Flieger über dem 
Orte Bomben abgewor 
fen und richtig einen 
harmlosen französischen 
Bürger zur Strecke ge 
bracht. 
Unser Gespräch be 
rührte am Abend diesen 
Vorfall, und ich ge 
brauchte hierbei die Wen 
dung, das Schicksal des 
Mannes sei besonders be 
klagenswert, weil er von 
seinen Mitbürgern, seinen 
„oompatriotss", getötet 
worden sei. 
Rens sah mich fast 
zornig an und sagte: 
„Nein, mein Herr! Das 
waren keine Franzosen. ' Die' Franzosen beschießen ihre 
Städte nicht. -Vielleicht Engländer. Aber nicht Fran 
zosen 
^ . Das sprach' er mit einem solchen Nachdrucke, so feurig 
und überzeugt, daß ich es vermied, weiter darauf einzu 
gehen. Wozu auch? Und dem Burschen hätte ich weh 
getan,' wenn ich seine Landsleute des Angriffs beschuldigt 
hätte/. Das war übrigens das einzige Mal, daß sich an 
unsere Gespräche von Fliegerangriffen solche Erörterungen 
knüpften. Später sprachen wir einfach von den Opfern, 
ohne die Schuldfrage zu berühren. Leider sollten sich in den 
nächsten-Wochen unsere Unterhaltungen vorzüglich diesen 
Vorfällen zuwenden, denn die Fliegerangriffe mehrten 
sich in ungeahnter Weise. Allnächtlich erschienen die „Vögel 
Frankreichs" — oder Englands — über der armen Stadt 
und luden ihre Unheilsfracht ab. Gott weiß, was sie in 
unserem harmlosen Orte suchten. Vielleicht lockte sie die 
betriebsame Marmeladefabrik am Bahnhof, in der sie 
irgend einen Rüstungsbetrieb argwöhnten. 
Der Erfolg war augenscheinlich: eine ganze Reihe 
Phot. Lichtbild stelle de» k. u.k. KrtegSpresseqnartier». 
Osterveichisch-uttgarifche Geschützstellung an der Front gegen Italien.
	        
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