Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
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fremde Offiziere: französische Flieger, englische Artilleristen, 
belgische Kraftfahrer, sogar Amerikaner. Alles das gab 
uns ein Bild von der Macht des Völkerbundes, an den man 
unser Land angeschlossen hatte: drS Vrrbmrds. Und schien 
uns nicht der Sieg gewiß? Mitte Oktober standen wir acht 
zehn Kilometer vor Triest, unserem Hauptziele. Eörz 
war in unserer Hand, die beherrschenden Höhen östlich 
davon waren erstiegen. Noch ein großer Stoß, und wir 
hatten den Preis errungen, dem wir mit so viel Blutopfern 
zugestrebt waren: Drissla Italiana! Schon verkaufte man 
Ansichtskarten der Stadt mit unseren Landesfarben, den 
Bildern des Königs, Cadornas und Conninos und der 
Aufschrift Trieste Italiana. Es war nur eine Frage der 
Zeit . .. 
Der Kanonendonner grollte seit Beginn der Feindselig 
keiten in unserer Nähe. Wir waren daran gewöhnt, und 
er entfernte sich weiter und weiter von der Stadt. Die 
Eisenbahn rollte Tag und Nacht: Verstärkungen kamen 
heran, riesige englische Geschütze, verbündete Truppen 
teile. Wir ahnten: es stand ein neuer Schlag Cadornas 
bevor. Das würde der letzte sein und er würde uns 
geben, was unsere Staatsmänner uns verhießen: la piü 
grancks Italia ... 
Ich srhe noch jenen Abend des 
23. Oktobers vor mir. Der Geschütz 
donner war beträchtlich angeschwol 
len. In der Stadt klirrten die Schei 
ben, was seit langem nicht mehr 
geschehen war. Wir hatten hier ein 
Lazarett im Hause. Der Stabsarzt 
kam sehr vergnügt zu uns herüber, 
rüb sich die Hände und sagte: ,Es 
fängt an. Passen Sie auf. Nun 
werden wir's schaffen —' 1 
Ich weiß nicht, mir war gar 
nicht vergnügt zumute. Ich dachte 
immer an die vielen armen Jun 
gen, die man uns am nächsten Tage 
bringen würde, blutig, zerfetzt. Ach, 
ich kannte sie zu gut, die armen 
Burschen. Wie vielen habe ich die 
Augen zugedrückt. Gegen elf Uhr 
wollte ich mich niederlegen, als ich 
auf der Straße die Kraftwagen her 
anfauchen hörte. Das große Tor 
öffnete sich. Die Wagen rollten 
herein, einer nach dem anderen, 
unaufhörlich, unzählig. Ich ging 
hinaus und bot dem Stabsarzt meine 
Hilfe an. Er dankte mir, es waren 
genug Leute vorhanden. Dabei 
wuchs der Kanonendonner von hal 
ber Stunde zu halber Stunde. Meine 
Lehrer, meine,ragazzi‘ fanden kei 
nen Schlaf. Ich vereinigte sie in 
der Kap lle und hielt eine kurze An 
dacht. Aber auch danach wollte der 
Mchlaf nicht kommen. Kraftwagen rasten die Straße von 
der Porta Eemona herein, ihre Hupen gellten, kreischten 
und zwitscherten durch die Nacht. Und im Hofe mur 
melten die Leute des Lazaretts, stöhnten die Verwun 
deten ... 
Am frühen Morgen duldete es mich nicht mehr daheim. 
Ich ging in die Stadt. Die Piazza Umberto primo wim 
melte von Autos, Krafträdern, Ordonnanzen. Mein Amts 
bruder von San Giovanni, dem ich begegnete, war bleich 
und ernst. Er wollte von Verwundeten gehört haben, daß 
im Nordosten für uns die Schlacht bedenklich stünde. Aber 
wir erfuhren nichts. Der Tag brachte uns die Ereignisse 
der Nacht in verdoppelter Stärke. Der Kanonendonner 
brandete wie ein Gewitter um uns. Und mir kam es vor, 
als nähere er sich uns. Aber wir erfuhren nichts. An diesem 
Tage nicht, an den beiden folgenden nicht. Bis wir sahen 
mit eigenen Augen sahen ... 
Am Morgen des vierten Tages hatte ich amtlich in der 
Via San Giovanni zu tün. Mir erstarren noch heute die 
Glieder, wenn ich daran denke, was ich da sah: nicht mehr 
Kraftwagen mit Verwundeten, nicht mehr Fuhrparkkolonnen, 
nein, Feldartillerie, schweres Geschütz, Vorratszüge, In 
fanterie» Kavallerie ... alles durcheinander, hastend, drän 
Phot. A Mocsigay, Hamburg. 
Dr. Solf, der beutfäje Staatssekretär des Kolorrial- 
amts. 
gend, nach der Piazza Vittorio Emmanuele zu, nach Westen. 
Ich wußte genug. Wir waren geschlagen ... 
Und nun setzte der Wahnsinn mit vollem Maße ein. 
Unsere Armeen waren geschlagen. Die Armee Capello 
zertrümmert, die des Herzogs von Aosta mit in das Unheil 
hineingerissen. Hinter ihnen her kamen die Feinde, die 
Deutschen ... Und was hatte man von ihnen nicht alles 
seit Jahren in den Zeitungen gelesen: sie marterten Kinder, 
töten Frauen und Priester. Die »Greuels die uns unsere 
verkaufte Presse täglich immer wieder und wieder vorgeführt 
hatte» sie bedrohten uns, uns persönlich ... innerhalb 
weniger Stunden ... 
Daheim fand ich alles im Taumel der wahnwitzigsten 
Furcht. Die Kinder wollten flüchten, die Lehrer nicht min 
der. Nur mein Censore» mein junger Gehilfe und einer 
der Lehrer, Giuseppe Miserü, halfen mir. Vergebens 
versuchte ich, Vernunft zu predigen, den Schutz unserer 
heiligsten Jungfrau zu preisen. Es war alles umsonst. 
Sie wollten fliehen, fliehen, wie es ringsum die Bürger 
taten — zuerst die, die früher ,1a pin grande Italia‘ ge 
predigt hatten. Und in dem Maße, wie die Nacht herein 
brach, wuchs die wahnsinnige Angst. Die ,ragazzi‘ flehten 
mich an, sie fortzulassen, die Lehrer 
taten nicht anders. Ich stellte ihnen 
vor: mit diesem zügellosen Heere, 
mit der fast irrsinnig gewordenen 
Menschenmenge fliehen, das war 
der sichere Untergang, viel sicherer, 
als er uns vom wütendsten Feinde 
drohen konnte. Sie wollten" nicht 
hören. 
,Sie werden uns an die Türen 
nageln ... uns Hände und Füße 
abschneiden ...‘ 
Ich führte sie schließlich in das 
Gotteshaus. Es war inzwischen Nacht 
geworden. Die Geschütze brüllten, 
auf den Straßen tobte eine zügel 
lose Soldateska. Man räumte das 
Lazarett. Der Stabsarzt war ver 
schwunden ... alles in Auflösung, 
Verwirrung und namenloser Furcht. r. 
Wir hielten Andacht. Die ,ragazzi‘ 
schluchzten und zitterten. Und ich 
betete» betete ... ich habe nie so 
gebetet, wie in jener Nacht .. . und 
dann ... ich ließ die Kinder von 
den Lehrern in die Schlafsäle führen 
und blieb eine Viertelstunde mit 
meinem Gotte allein. Er weiß, daß 
ich meine Pflicht nicht versäumt 
habe ... Und doch, inzwischen ge 
schah es ... jemand hat die Türe 
geöffnet, und da sind sie doch ge 
flüchtet, die Lehrer außer Miserä 
und die Hälfte meiner armen 
,ragazzi‘, die Hälfte und noch 
mehr ... sie sind geflüchtet ..." 
„Und was ist aus ihnen geworden ..." 
„Das weiß niemand. Barfuß, im bloßen Hemd sind ste 
geflohen ... ich werde sie nie wiedersehen ... lch kann 
nur für sie beten —" 
Er strich sich mit der Hand über die Augen. 
„Aber sehen Sie: wenn die Presse des Verbands nichts 
weiter mit ihren Lügen verschuldet hätte, nicht mehr auf 
dem Gewissen hätte, als das Leben meiner fünfzig armen 
,ragazzi‘, es wäre genug, übergenug, schon das Leben eines 
der unschuldigen Kinder reichte hin ..." 
Fliegerangriff auf Otranto. 
Von Kriegsberichterstatter Walter Oertel. 
(Hierzu die Bilder Seite 166 und 167.) 
Am malerischen Strande von Otranto blicken die alten 
Pinien erstaunt auf neue Eindringlinge. Große blonde 
Männer in Khaki, in gelben Lederjacken, mit unwahrschein 
lich großen Schuhen und dünnen, in Wickelgamaschen 
steckenden Beinen schlendern am Strande umher, und der 
Rauch ihrer kürzen Stummelpfeifen mengt sich in die
	        
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