Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18 
Herd, auf dem man alles kochen tonnte. — Wir hatten 
dazu auch immer etwas. Der Beguinengarten — wunder 
barerweise hatte er die Beschießung prächtig überdauert — 
lieferte Apfel. Und wir kochten Apfelmus. Man kann 
sich damit stundenlang unterhalten. Es ist das reine Ee- 
sellschastspiel. Kurzum: wir fühlten uns sehr behaglich, 
und daß man hin und wieder von der Ablösung unserer 
Batterie in dem Abschnitte sprach, gefiel uns gar nicht. 
Wir wollten die Pflaumen im Beguinengarten noch reifen 
sehen. Denn Pflaumenmus —! 
So gingen die Tage hin. 
Ein prachtvoller Sommerabend ging über der Stadt 
zur Rüste. Rot und golden spielte es auf den fabelhaften 
Hausresten. Jetzt mutzte langsam die Abendbeschietzung 
beginnen. Und richtig! Durch die milde Abendluft kam 
es gezogen» singend, pfeifend, fauchend — wumm! Richtig. 
War auf den Marktplatz gezielt und nicht schlecht, aha — 
schon Nummer zwei. Hm — zu weit nach rechts. Nanu? 
Gleichzeitig einer links? Und wieder einer nach dem Markte 
zu? Was war denn das? Das ging ja einfach gegen alle 
Gewohnheit! Der reine Feuerüberfall. Und dabei ward 
es immer toller. Einfach ausgeschlossen, die Einschläge 
richtig zu verfolgen, und plötzlich — wumm! Krach — 
rechts. Hallo! So nahe — und jetzt vorn — wuiij — 
Wort: „Die haben uns oben die Bude eingeschossen!" — 
Wir gehen an die Treppe und fangen an, den Schutt 
beiseite zu schieben. Eine Menge Ziegel. Je mehr wir 
beiseite räumen, um so mehr rutscht die Treppe herunter 
nach. Endlich scheint der Schutt erschöpft. Aber keine 
Öffnung, kein Tageslicht — wir leuchten mit der Hinden- 
burglampe ab. Alle Wetter — über dem Ausgange liegt 
Beton — ein ganz dicker Brocken, wie ein Deckel. Wir 
stemmen uns dagegen. Er rührt sich nicht. Und er liegt 
so blank und nett auf den Kanten, wie — ja wie ein Grab 
stein auf einer Gruft. Dieser Vergleich kommt mir ganz 
unwillkürlich. Und ich fühle, wie mir etwas wie ein Knäuel 
an der Kehle sitzt. Verschüttet — lebendig begraben —. 
Der Unteroffizier mag das gleiche empfinden. Er sagt 
nichts. Ich auch nicht. Aber im trüben Schein der Hinden- 
burglampe sehe ich: er ist sehr bleich. Ich mag nicht anders 
ausschauen. Wir sehen auf die Uhren: es ist um elf Uhr 
nachts. 
„Na, sie werden uns schon 'rausbuddeln!" sagt endlich 
der Unteroffizier. Aber es klingt nicht überzeugend. Wer 
weiß auch, datz wir hier unten sind? Ja, der Beobachter — 
Aber den „Turm" haben sie eingeschossen. Der Brocken 
da oben ist ein Trümmerstück davon. Und der Beobachter 
wird wohl — ja, er wird wohl tot sein. Und draußen mag 
Phot. Max Wipperling, Elberfeld. 
Ein Kampffeld bei Chaulnes. 
es aussehen, als ob ein Volltreffer das ganze Gebäude 
eingeschossen hätte. 
Nichts ist zu hören, als ab und zu entfernte Einschläge. 
Dann plötzlich eine Reihe ganz nahe. Ich ertappe mich 
bei den Gedanken: „Wenn schon einmal, dann lieber einen 
Volltreffer hier herein, als langsam ersticken —". Ver 
hungern werden wir so leicht nicht. Wir haben ja erst am 
vergangenen Nachmittag Brot gefaßt. Auch Kaffee ist da» 
ein Kessel voll Apfelmus. Immerhin, ewig reicht es nicht —. 
Wenn man nur nach außen hin ein Zeichen geben 
könnte! Aber die Wände sind so dick, ringsum alles ver 
lassen. Und oben drüber der hohe Schutt. Betonschutt! 
Nun ja, der Fernsprecher. Aber die Leitung ist ja zer 
schossen. Trotzdem. Der Unteroffizier mag den gleichen 
Gedanken gehabt haben. Er kurbelt an: „Hier Maulwurf 
— hier Maulwurf —", ist ja umsonst — oder? — „jawohl—", 
er schreit es fast: „hier Maulwurf — wer dort? — Hallo 
— jawohl, ich höre — Menschenskind — Büttner? Sie 
sind's — dem Himmel sei Dank — jawohl, der Turm ist 
eingeschossen — wir sind verschüttet — ja, wir sind ge 
sund — Palitzsch? (unser Beobachter) — was? er ist nicht 
verwundet — hat der ein Glück — sie können nicht ran — 
aha, deshalb vorhin die Schießerei — aber sie wollen's 
gegen- drei Uhr noch mal versuchen — gut — jede Viertel 
stunde Leitungsprobe — aber macht fix!“ 
Wir hatten wieder Verbindung. Ein wahres Wunder, 
babb — alle Wetter! — schießt einen Splitter uns an die 
Türe. Rein in den Bau! 
Ich sprang die Treppe hinunter, warf die Türe zu und 
machte Licht. Der Unteroffizier sah mich an: „Wo schießen 
sie denn hin?" 
„Erst nach dem Markt, jetzt wahrscheinlich nach dem 
Sacrö-Coeurkloster. Soll ich es hinunter melden?" , 
„Ist vielleicht das einfachste —" 
Ich läute - an: „Hier Maulwurf —," so hießen wir, 
unserer Behausung nach, recht, sinngemäß. „Hallo! — 
Hier Maulwurf! — Himmel, die schweben wieder — 
Hallo! Hier Maulwurf! Hallo —." 
„Geben Sie mal her!" Der Unteroffizier ,hängt sich 
an die Strippe". Aber auch er beschwört die Batterie 
nicht. Kein Zweifel. Die »Strippe" ist wieder mal zer 
schossen. Das bedeutet: Leitung abgehen. Und bei dieser 
furchtbaren Schießerei — der Keller zittert, als wären wir 
in einer Pauke, auf der eine unsichtbare Hand Armee 
märsche begleitet. 
Plötzlich ein Krach — Staub, Erde — der ganze Keller 
zittert, bröckelt — von dem Bordbrette fallen die Koch 
geschirre herunter — die Türe dröhnt, kracht — stürzt 
berstend herein. Hinter ihr her Geröll, Steine, Balken 
stücke. Wir warten — eigentlich darauf, daß nun der Rest 
des ganzen Gebäudes auf uns fällt. Aber das tut er nicht. 
Wir sehen uns an. Der Unteroffizier findet das erlösende
	        
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