Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Phot, leipziger Presse-Büro. 
Gebirgslandschaft in Nordmazedonien. 
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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
sich der Verfolgung der Römer in einem unterirdischen 
Gemache. Dort besuchte ihn nachts seine Frau und brachte 
ihm Essen und alles sonst Nötige, während sie tagüber, 
jedermann sichtbar, auf der Oberfläche weilte. Dieses Leben 
führte das Paar acht Jahre lang, und die treue Gattin ge 
bar ihrem Manne zwei Kinder, die ebenfalls unter der 
Erde genährt und aufgezogen wurden. Nach acht Jahren 
wurde durch Verrat das Geheimnis entdeckt, und die grau 
samen Römer ließen alle vier, Eltern und Kinder, doch 
noch hinrichten. 
Durch Cäsar wären wir also jenseits alles Zweifels 
schon zu vorchristlichen Zeiten gelangt. Allein noch mehr! 
Boulanger und andere Forscher haben nicht nur gallo- 
römische Münzen, sondern sogar neolithische Werkzeuge und 
Schmucksachen in den Muches entdeckt. Dadurch würde 
wiederum der Ursprung jener seltsamen unterirdischen 
Burgen um ein, ja möglicherweise mehrere Jahrtausende 
zurückgeschraubt. 
Dazu stimmt eine Entdeckung, die ich selbst machte. 
Ein Kompanieführer der Gardepioniere hatte an einem 
einzigen Tage drei Muches gefunden und bot mir an, sie 
noch einmal mit ihm zu besuchen. Die Begehung war nicht 
ganz leicht. Man mußte des öfteren auf dem Bauche 
Uiechen, da der verschüttete Gang nur einen halben Meter 
Höhe aufwies, und mußte über Teiche hinweg, während 
tiefes Wasser in Seitengängen einstweilen — bevor man 
Flöße gebaut hatte — jedes Vordringen hemmte. Schon 
hatte ich'mich über verschiedene Spitzbogen gewundert, die 
hier und da auftauchten, wobei zu bemerken war, daß eine 
Art von Spitzbogen sich bereits in Babylon geltend machte. 
Andere Gewölbe erinnerten mich an etruskischen Stil. 
Mitunter war das Gewölbe wie bei der Untergrundbahn 
von Paris und London, bei der „Tube", wo die Wände 
nicht senkrecht stehen, sondern sich nach dem Boden zu nei 
gen, wiederum einer Rundung Zustreben. Ist doch auch der 
römische Gewölbebau aus dem etruskischen entstanden. 
Nun aber kam der Hauptstreich. Ich stieß einen Ruf des 
Staunens aus: die Schatzkammer des Atreus! In der Tat, 
ein Kuppelbau, der an dieses Gewölbe im alten griechi 
schen Mykene erinnerte. Und blitzschnell fuhr mir durch 
den Kopf: wnobss — griechisch mychos, innere Kammer. 
Sonderbarerweise wird das ausgefallene Wort Mychos 
von Homer fast nur bei Argos und Mykene angewandt. 
Folglich wäre Mykene die Höhlenstadt. 
Die Muches find nicht nur auf Nordfrankreich beschränkt. 
Sie finden sich auch im Elsaß und am Bodensee. Viktor 
v. Scheffel läßt in seinem „Ekkehard" Karl den Dicken in 
einem unterirdischen Gelasse nahe am See wohnen. Diesem 
Gelaß wurde das ganze Mittelalter hindurch benutzt, un 
noch kurz vor 1870 hauste dort eine Räuberbande, die nu 
mit Mühe von den Bauern der Nachbarschaft überwältigt 
wurde. Andere Muches soll es in Hessen geben. Wieder 
andere bei Iserlohn und dem sächsischen Schloß Walden 
burg. 
Aufsallenderweise trifft man, woran Professor Wegener 
erinnert hat, Muches auch in Mittelindien. Das allersonder- 
barste aber ist, daß dort, in Daulatabad, eine Vorrichtung 
gefunden wurde, die der Überlieferung nach in Nordfrank 
reich ebenfalls vorhanden war, nämlich eine eiserne Tür, 
um den Eingang gegen Feinde zu versperren. Wurden 
die Feinde zudringlich, so heizte man in Nordfrankreich 
und Indien die Tür rotglühend, wodurch die Angreifer alle 
Lust zu weiterem Vordringen verloren. Gefährlicher war 
es, wenn die Feinde selbst ein Feuer anzündeten, um die 
Menschenmäuse auszuräuchern. Den Normannen soll das 
gelegentlich gelungen sein. Heute bilden die Gasangriffe 
eine ähnliche Ge 
fahr. Man weiß 
ihr jedoch vollkom 
men wirksam zu 
begegnen, indem 
man ein Eegen- 
feuer anzündet. 
Durch den Luftzug 
werden die Gas 
dünste sofort ver 
trieben. Das hat 
man in Combles 
mit Sicherheit aus 
probiert. 
Der Vollstän 
digkeit halber füge 
ich hinzu, daß die 
Muches, gleich ei- 
nemFuchsbau,aus 
nahmslos mehrere 
Eingänge haben, 
und zwar bis zu 
fünfen. Der Haupt 
eingang ist stets in 
oder unmittelbar 
vor der Kirche. 
Meist befindet er 
sich hinter dem 
Altar. Andere Ein 
gänge sind weit 
draußen im Feld, 
sie sind mit Kies 
zugedeckt und nur 
schwer zu entdecken. 
Die Muches selber 
sind in Kalkstein, der locker und daher mühelos zu be 
arbeiten ist, eingebohrt. Sie haben den Vorteil großer 
Trockenheit und verhältnismäßig guter Luft. Die Höhe 
schwankt zwischen einem und drei Metern, die Breite be 
trägt, die Nebenkammern abgerechnet, zwei bis drei 
Meter. Gelegentlich erweitert sich der Gang zu einer 
kleinen runden Halle, die von einer Spitzkuppel über 
wölbt ist. Unter den Kammern sind solche, die allem An 
schein nach als Heiligtum, als christliche und früher heid 
nische Kapellen dienten. Ist die Anlage sehr ausgedehnt, so 
werden in größeren Mständen Luftschächte gebohrt. Süd 
lich von Arras waren deren bei einer Anlage fünf vorhan 
den. Nicht minder war man auf die Erbohrung von Brun 
nen bedacht. Diese liegen bis zu 25 Metern unter dem 
Boden der Muche. In den Kammern konnte man Vor 
räte in beliebiger Menge aufhäufen; auch waren, genau 
wie in Armenien und Kurdistan, unterirdische Ställe für 
Vieh vorgesehen. Das kam nicht selten unserem Heere zu 
gute. Mancher glückliche Finder war entzückt, Tausende 
von Flaschen Weins oder auch Goldstücke da drunten an 
zutreffen, und südlich von Arras stieß man auf hundert 
französische Vollblutpferde, die seit Wochen in einer Muche 
verborgen waren. Leider war die Hälfte schon verhungert. 
Die Zahl der Katakomben ist sehr groß. Im Tale des
	        
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