Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
67 
Der Krieg mit Serbien allein wäre für Österreich- 
Ungarn keine besondere Kraftanstrengung gewesen. Die 
ganzen Kräfte der Monarchie wurden erst durch die Ein 
mischung Rußlands in Anspruch genommen. Schon von 
Anbeginn an war es sicher, daß für Serbien ein Krieg mit 
Österreich eine wirtschaftliche Unmöglichkeit bedeuten würde. 
Freilich wußte man, daß es im Notfälle eine halbe Million 
Soldaten ins Feld stellen konnte. Für die Verpflegung 
dieser halben Million aber hatte Serbien nicht die Mittel. 
Die letzten Balkankriege hatten seinem wirtschaftlichen Leben 
tiefe Wunden geschlagen, die beim Ausbruch des Krieges 
mit Österreich noch lange nicht geheilt waren. Das Bild 
der Staatseinkünfte würde sich zwar nicht ungünstig dar 
stellen, wenn man dabei normale und friedliche Zeiten ins 
Auge fassen könnte. In demselben Augenblick aber, wo 
der Krieg mit Österreich in Rechnung gezogen werden mußte, 
verschob sich dieses Bild. Serbiens Finanzwirtschaft gründet 
sich nicht zuletzt auf die Einnahmen der Monopolverwaltung, 
die für den Auslandsschuldendienst verpfändet sind und in 
Kriegszeiten außerordentlich rasch sinken. Auf finanzielle 
Hilfe bei dem Auslande kann dieser Staat kaum rechnen, 
weil niemand einem Volke, für das der Krieg den wirt 
schaftlichen Zusammenbruch bedeutet, eine Anleihe ge 
währen wird. So fehlt der notwendigste Kriegsbedarf, 
das Geld, den Serben an allen Ecken und Enden. Dies 
zeigte sich schon bei der Mobilmachung und noch mehr im 
Kriege bei der Verpflegung des Heeres. Mangelhafte 
Uniformierung und Ausrüstung, Notwendigkeit der Selbst 
beköstigung: dies und andere Adelstände veranlaßten viele 
Soldaten, fahnenflüchtig zu werden. Daß der Krieg unter 
solchen Verhältnissen für die Serben ein kühnes Unterfangen 
ist, bedarf keiner weiteren Ausführung, aber noch unsinniger 
erscheint es, daß Rußland sich für ein nicht nur wirtschaftlich 
schlecht gerüstetes, sondern auch durch seine Verbrechen ehr 
los gewordenes Volk einsetzte. 
Der Mangel an Uniformen in der serbischen Armee 
war noch größer geworden, als eine in Deutschland auf 
gegebene Bestellung auf 182 000 Uniformen infolge des 
Krieges nicht ausgeführt wurde. 
Gleich nach Ausbruch des Krieges hatte sich Montenegro, 
wie schon erwähnt, auf die Seite Serbiens gestellt. Die 
„Militärische Rundschau" wußte schon am 28. Juli über 
die militärischen Maßnahmen Montenegros folgendes zu 
berichten: „Die Mobilisierungsmaßnahmen sind in vollem 
Gange. Die Einberufungen erfolgen durch Boten von 
Ortschaft zu Ortschaft. Die Versammlung der monte 
negrinischen Streitkräfte erfolgt längs der Westgrenze des 
Königreichs Serbien in mehreren Gruppen. In Nikschitz 
sind starke Truppenzusammenziehungen festgestellt worden. 
Bei Plewlje steht eine Abteilung mit Artillerie. Im Becken 
von Grahoma, bei Njegus, westlich Cetinje, sollen sich je 
eine bis zwei Brigaden versammelt haben. In den monte 
negrinischen Befestigungen auf dem Lowcen herrscht fieber 
hafte Tätigkeit. Aus den weiter landeinwärts gelegenen 
Munitionslagern gehen große Tragtiertransporte an die 
Westgrenze ab. König Nikolaus und die Regierung sollen 
beide nach Podgoritza übersiedeln." — 
Sofort nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen 
zu Serbien erhielten die österreichischen Konsulate im Aus 
lande Anweisung zur Einberufung der dort weilenden 
österreichischen Wehrpflichtigen. 
Wer Gelegenheit hatte, zu beobachten, in welchen 
Scharen die einberufenen Österreicher dem Rufe ihres 
obersten Kriegsherrn Folge leisteten, wird überrascht ge 
wesen sein von der großen Zahl in Deutschland ansässiger 
Angehöriger der Donaumonarchie. Begeistert folgte 
Österreichs Jugend dem Rufe des Vaterlandes, und wie 
es bei den Konsulaten zuging, möge eine kurze Nach 
richt aus dem Berliner k. k. Generalkonsulat zeigen: 
„Vor dem österreichischen Generalkonsulat drängt es sich. 
Hunderte von jungen Leuten stehen an der kleinen Tür 
des Hauses in der Keithstraße und warten auf Einlaß. 
Die Sache geht nicht schnell vonstatten. Die Leute sind un 
geduldig; wenn sich die Haustür öffnet, stürmen sie hinein." 
Am 28. Juli hat die österreichisch-ungarische Regierung 
Serbien die Kriegserklärung gesandt, von der sie auch die 
übrigen Mächte benachrichtigte. 
Kaiser Franz Joseph befand sich zur Zeit, als der Kon 
flikt mit Serbien ausbrach, in seinem gewohnten Sommer 
aufenthalt im Badeorte Ischl. Am 30. Juli nachmittags 
traf er mit dem Thronfolger Karl Franz Joseph in 
Wien ein, von wo aus sie sich sofort nach Schönbrunn 
begaben. Die Begrüßung des greisen Monarchen durch 
die seit dem frühen Morgen des Kaisers harrende Wiener- 
Bevölkerung, von der sich Hunderttausende in der Ein 
fahrtstraße eingefunden hatten, gestaltete sich zu einer- 
einzigartigen, überwältigenden Kundgebung. Zum zweiten 
Male unterbrach der Kaiser in diesem Jahre seinen Aufent 
halt in Ischl, um in die Hauptstadt zurückzukehren. Der 
Empfang war ein glänzendes Zeugnis für die Vaterlands 
liebe und die begeisterte Stimmung der Wiener Bevölkerung. 
Das gleiche Bild in den übrigen Städten des Landes. 
Der Krieg hatte mit einem Schlage die Völkerschaften der 
Donaumonarchie geeinigt und allen kleinlichen Hader ver 
stummen lassen. Tausende meldeten sich täglich als Frei 
willige zum Kriegsdienst, darunter auch zahlreiche hoch 
gestellte Persönlichkeiten und Hocharistokraten, wie der 
Präsident des österreichischen Herrenhauses Fürst Alfred 
Windischgraetz, Fürst Otto Windischgraetz, Prinz Ludwig 
Windischgraetz, Fürst Franz Joseph Auersperg und der 
Landmarschall von Niederösterreich, Prinz Alois Liechtenstein. 
Als Kaiser Franz Joseph nach der Ankunft im Schön 
brunner Schloß dem Wagen entstieg, hielt Bürgermeister 
Dr. Weißkirchner eine Ansprache, in der er den Schwur 
der Treue zu Kaiser und Reich im Namen der Wiener 
Bürger erneuerte und dabei sagte: „Die Österreicher wollen 
für die Ehre und den Ruhm ihres Vaterlandes alles daran 
setzen," worauf der Kaiser mit den denkwürdigen Worten 
erwiderte: „Ich glaubte in meinem Alter, nun Jahre des 
Friedens erleben zu sollen. Die Entschließung ist mir gewiß 
schwer gefallen, aber aus den allseitigen Kundgebungen 
gewinne ich die Aberzeugung, daß mein Entschluß der richtige 
war." Bürgermeister Dr. Weißkirchner antwortete: „Gott 
möge Eure Majestät schützen und unsere Waffen segnen." 
Die österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz erließ 
einen Aufruf, in dem es heißt: „Es ist heilige Pflicht, 
unserer ruhmreichen Armee zu gedenken, welche ins Feld 
zieht, mit Gottes Hilfe zum Sieg. Bürger, helfet unseren 
Soldaten! Sendet Geldspenden, Verbandzeug, Genuß- 
und Lebensmittel, deren Sammlung und Verteilung in 
einheitlicher und großzügiger Aktion das unter dem Pro 
tektorat des Kaisers stehende österreichische Rote Kreuz 
besorgt." 
Durch Allerhöchstes Handschreiben wurde der Protektor- 
Stellvertreter des Roten Kreuzes in der Monarchie, Erz 
herzog Franz Salvator, zum Generalinspektor der frei 
willigen Sanitätspflege ernannt. Erzherzogin Maria 
Theresia hatte den Kaiser um die Genehmigung gebeten, 
als Rote-Kreuz-Schwester dienen zu dürfen. 
Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien rief 
in Petersburg leidenschaftliche Kundgebungen hervor. Un 
geheure Menschenmengen durchzogen die Straßen der 
Stadt, fortwährend rufend: „Hoch Serbien! Hoch Frank 
reich! Nieder mit Österreich! Nieder mit Deutschland!" 
Die Schreier begaben sich vor das französische Gesandt 
schaftsgebäude und die serbische Gesandtschaft, wo sie 
erneut Hochrufe auf die beiden Mächte ausbrachten. Das 
österreichische und das deutsche Botschaftsgebäude wurden 
militärisch bewacht. Serbische Offiziere und Soldaten 
wurden bei ihrer Abreise auf den Bahnhöfen von der 
Menge stürmisch begrüßt. Nach verschiedenere Meldungen 
sollten sämtliche Streiks beigelegt sein. Auch aus Moskau 
trafen Meldungen ein, wonach dort deutsch- und österreich 
feindliche Kundgebungen stattgefunden hätten. 
Die serbische Skupschtina war am 31. Juli in Nisch mit 
einer Thronrede eröffnet worden. Sie betonte, daß 
Serbien auf die Hilfe Rußlands und auf die Sympathien 
Frankreichs und Englands rechnen könne, und wurde mit 
lebhaftem Beifall aufgenommen. Auch wurde alsbald ein 
Aufruf an das serbische Volk erlassen. 
Von den serbischen Zuständen, die gleich nach Ausbruch 
des Konfliktes mit Österreich eintraten, gibt ein deutscher 
Kriegsberichterstatter in den „Leipziger Neuesten Nach 
richten" folgende anschauliche Schilderung: 
„Seit der Hof, die Regierung und das diplomatische Korps 
mit der Armee geflüchtet sind, beginnt Serbien, sich für den 
österreichisch-ungarischen Einfall vorzubereiten. Anfangs 
gebürdete es sich dabei grimmig, jetzt aber scheint es sich 
schon zu beruhigen. Die Mobilmachung geht sehr schlecht 
vonstatten, es fehlt an dem Eifer der Einberufenen sowie
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.