Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Lodz—-Marschau; es ist eine Fabrikstadt von etwa 20000 Ein 
wohnern. Anscheinend ist es vor der Besetzung der Stadt 
durch unsere Truppen zu Straßenunruhen gekommen. 
Als die Deutschen in Kalisch einzogen, stand die Stadt 
in Flammen, und der Pöbel war dabei, die Häuser zu 
plündern. Es ist eine schon von Napoleons Zeiten her be 
kannte Eigentümlichkeit der russischen Kriegführung, die 
Städte anzuzünden, die von den Soldaten verlassen werden. 
Ist doch sogar Moskau einem solchen Vandalismus zum 
Opfer gefallen, so das; damals im Winter 1812 Napo 
leon mit seiner großen Armee vor den Flammen das 
Feld räumen mußte. Die deutschen Truppen wurden aber 
jetzt des Feuers bald Herr, so daß eine vollständige Zer 
störung der Stadt verhütet wurde. Das nächste Ziel der 
deutschen Offensive war die vielgenannte russische Stadt 
Czenstochau, etwa 15 Kilometer jenseits der schlesischen 
Grenze gelegen und die erste größere russische Station 
an der Bahnlinie Breslau—Oppeln—Warschau. Am 
3. August wurde Czenstochau von unseren Truppen nach 
einem kurzen Gefecht besetzt. Dieser glückliche Vorstoß 
unserer Armee auf Czenstochau war in strategischer Hin 
sicht von größter Bedeutung. Denn diese russisch-polnische 
Kreisstadt ist an der sogenannten Dreikaiserecke der Knoten 
punkt der Bahnlinien Wien—Warschau und Breslau— 
Oppeln—Warschau, Linien, die vom Klarenberge aus, 
der das berühmte Kloster der Schwarzen Madonna trägt, 
leicht zu beherrschen sind. Durch diese Besetzung wurden 
außerdem die großen Sprengstoff- und Dynamitfabriken 
in Kruppmühle und Kriewald gegen einen plötzlichen An 
griff gedeckt. Zugleich bedeutete diese Offensivbewegung 
eine Bedrohung der gegen die Linie Wreschen—Jarotschin 
operierenden Russen in der linken Flanke. 
Das Lokalblatt von Czenstochau, „Gonice Czenstochow", 
vom 3. August brachte über die Einnahme der Stadt durch 
deutsche Truppen folgende Schilderung: „Die Nacht vom 
2. auf den 3. August war für die Bewohner fürchterlich. 
Von weitem dröhnte Geschütz- und Eewehrfeuer. Um 
zwei Uhr nachts kam der Kriegslärm näher. Gegen vier 
Uhr begann der Rückzug der russischen Truppen. Die 
Stadt wurde nacheinander von kleinen Trupps von Sol 
daten verschiedener Waffengattungen passiert. Gleichzeitig 
wurden die Brücken und Viadukte gesprengt. Um fünf 
Uhr früh war der letzte Bahnzug mit russischen Behörden 
und Militärs nach Warschau abgegangen. Die Bürgerwehr 
hielt in der Nacht Ruhe und Ordnung in der Stadt. Um 
sieben Uhr früh zog- unter dem Kommando eines Ober 
leutnants die Vorhut der deutschen Truppen in die Stadt 
ein. Der Kommandant der Bürgerwehr erstattete Rapport, 
worauf ihm unter persönlicher Verantwortung die Sorge 
für Ruhe und Ordnung der Stadt anvertraut wurde. In 
Czenstochau ließ der Kommandant der jetzt eingerückten 
Truppen der Bevölkerung mitteilen, daß in der Stadt 
alles in der bisherigen Form unter voller Sicherung der 
Rechte der Einwohnerschaft belassen werde. Bei feind 
lichem Verhalten werde jedoch die ganze Stadt die Ver 
antwortung zu tragen haben. Um zehn Uhr vormittags 
erschien ein Jnfanteriehauptmann in der Stadtmagistratur, 
wo er beim Präsidenten des Gemeinderats und bei dem 
Vertreter der Bürgerwehr diese Verfügung mit dem Be 
merken wiederholte, daß russisches Papiergeld nach nor 
malem Wert als Zahlung bei Strafe angenommen werden 
müsse." — Der „Csas" meldet nach einem Bericht eines 
aus Czenstochau angekommenen Reisenden: „Mit einem 
Atemzuge der Erleichterung wurde die preußische Kavallerie 
in Czenstochau begrüßt. Die preußischen Ulanen, unter 
denen ein großer Prozentsatz Polen war, wurden mit 
Zigarren und Erfrischungen versorgt. Es wurden ihnen 
auch Mitteilungen über die Richtung gemacht, in der sich 
die russische Reiterei entfernt hatte. Ulanen nahmen dann 
auch die Verfolgung auf " 
Unterm 3. August wurde aus Petersburg gemeldet, 
daß Großfürst Nikolai Nikolajewitsch zum Generalissimus 
der russischen Streitkräfte ernannt worden sei. In einer 
Reihe von Gouvernements wurde der Kriegszustand er 
klärt. Der Kriegsminister brachte zur öffentlichen Kenntnis, 
daß es dringend erforderlich sei, alle militärischen Maß 
nahmen geheimzuhalten. Jeder müsse an der Erreichung 
dieses Zieles mitwirken. Der Minister empfiehlt die größte 
Zurückhaltung und Vorsicht bei Unterhaltungen, in Briefen 
und Telegrammen, die irgendwelche Bewegungen und Dis 
positionen der Truppen enthüllen könnten, weil sonst die 
Armee gegebenenfalls überflüssige Opfer bringen müßte. 
Es ist begreiflich, daß im Deutschen Reiche nach dem 
Kriegsausbruch den Russen nicht gerade Sympathien ent 
gegengebracht wurden, aber obwohl die ganze Art der 
Russen Veranlassung genug dazu gegeben hätte, die Grenzen 
internationaler Höflichkeit außer acht zu lassen, so verstand 
man doch sich zu beherrschen. Selbst in den heißesten 
Tagen hatten zwei Schutzleute genügt, um vor der russischen 
Botschaft in Berlin die Ordnung aufrecht zu erhalten. 
In welchem Gegensatze hierzu stehen die Schandtaten der 
Russen an der deutschen Botschaft in Petersburg, von 
denen später erzählt werden wird! — 
An der Westgrenze des Reiches erfolgte in den ersten 
drei Tagen des August als erste Tat die Besetzung der dem 
Reiche gehörenden luxemburgischen Eisenbahnen. Sie 
wurde am 2. August von Truppenteilen des VIII. Armee 
korps ausgeführt. Durch diese deutsche Besetzung Luxem 
burgs wurden unsere Aufmarschlinicn, welche durch die 
Rheinprovinz, Lothringen und den Hunsrück führen, einer 
direkten französischen Gefährdung entzogen. Wenn wir 
damit gezögert hätten, wären höchstwahrscheinlich franzö 
sische Divisionen bald zur Stelle gewesen, um imseren 
Aufmarsch zu stören. 
Während wir durch die Besetzung Luxemburgs dem 
französischen linken Aufmarschflügel näher kamen, ist nach 
amtlichen Nachrichten französische Infanterie vor der 
Kriegserklärung über die deutsche Grenze gegangen. 
Ähnlich wie die Russen sind also auch die Franzosen 
noch vor der Kriegserklärung in deutsches Gebiet ein 
gebrochen, wobei sie natürlich, da sich noch kein deutscher 
Soldat auf französischem Boden befand, kleine Erfolge zu 
verzeichnen hatten, indem sie die Ortschaften Gottesthal, 
Meheral und Markirch (siehe das Bild auf Seite 20) sowie 
den Schluchtpaß besetzten. Ferner ist ein Neutralitätsbruch 
dadurch begangen worden, daß französische Flieger in 
großer Zahl über Belgien und Holland nach Deutschland 
geflogen sind. 
Der Schluchtpaß spielte von jeher eine große Rolle 
bei allen französischen Kriegsplänen gegen uns. Um über 
ihn in das Oberelsaß einbrechen zu können, hatten die 
Franzosen schon seit langem die hinter diesem, über die 
Hochvogesen führenden Paß liegende Garnison Gerardmer 
stark besetzt; nun haben sie mit diesen Truppen auch den 
Einbruch vollzogen und dabei den kleinen Ort Metzeral, 
den Endpunkt der Bahnlinie nach Kalmar, besetzt. 
Der von den Franzosen anfänglich besetzte Schlucht 
paß liegt etwa 1200 Meter hoch, unmittelbar unter dein 
zweithöchsten Vogesengipfel, dem „Hoheneck". Der Weg 
zu ihm (neuerdings Zahnradbahn) führt durch die 
„Schlucht", die sich von Münster aus als ein herrliches 
Waldtal in die Vogesen hinein erstreckt. Uber den Schlucht 
paß und das „Hoheneck" führt die deutsch-französische 
Grenze. Der französische Aufstieg zur Höhe geht an dem 
lieblichen See Gerardmer vorbei. Die Franzosen hatten 
mit der Besetzung dieses Passes also keineswegs irgend 
eine deutsche Stellung gewonnen, sondern, da ihre Grenze 
auf der Paßhöhe liegt, hatten sie die nicht besetzte deutsche 
Seite mit ihren Truppen überschritten. 
IFortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte. 
und starke moderne Festungen vom Erdboden wegfegten, 
kam es auch im äußersten nordöstlichen Zipfel des Deutschen 
Reiches, in Ostpreußen, am 17. August bei Stallupönen und 
am 20. August bei Gumbinnen zum Schlagen. „Der Tag," 
unvergleichlich tapferen Truppen die wuchtigsten Hiebe so erzählt ein Bewohner dieser Stadt in der „Kreuzzeitung", 
Schlag auf Schlag austeilten, große Armeen überrannten „brach schwül und dunstig an. Schon in früher Morgenstunde 
Die SchlachtbeiOrtelsbuvg und Gilgenburg. 
(Hierzu das Bild auf Seite 48/49.) 
Während auf belgischem und französischem Boden unsere
	        
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