Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914. 
(Fortsetzung.) 
Die Sitzung des Reichstags, die sich an die Verlesung 
der Thronrede durch den Kaiser anschloß, wurde vom 
Präsidenten Dr. Kämpf am 4. August um drei Uhr fünf 
zehn Minuten nachmittags eröffnet. Zur Beratung stand 
die erste, zweite und dritte Lesung einer Reihe durch die 
politische Lage notwendig gewordener Gesetzentwürfe, deren 
wichtigster die Bewilligung eines Kredits von fünf Milliarden 
Mark betraf. 
Der Präsident teilt mit, daß er dem Kaiser Mitteilung 
von der Konstituierung des Hauses machen werde. Der 
Kaiser habe sich bereit erklärt, das Präsidium heute abend 
sieben Uhr zu empfangen. Er hoffe, dem Kaiser alsdann 
Mitteilung machen zu können, daß die eingegangenen Vor 
lagen Annahme gefunden haben. 
Schriftführer Abg. Fischer verliest das Verzeichnis der 
vorgelegten Gesetzentwürfe. 
Sodann ergreift Reichskanzler Dr. v. Bethmann Holl 
weg das Wort. Unter anfänglichem tiefen Schweigen aller 
Anwesenden, das aber bald und oft von lebhaften Zwischen 
rufen und stürmischem Beifall unterbrochen wurde, führt 
er aus: 
Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. 
Seit wir uns das Deutsche Reich und Ansehen in der Welt 
erkämpften, haben wir vierundvierzig Jahre lang in Frieden 
gelebt und den Frieden Europas geschirmt. In friedlicher 
Arbeit sind wir stark und 
mächtig geworden und 
darum beneidet. Mit 
zäher Geduld haben 
es ertragen, wie unter 
dem Vorwände, daß 
Deutschland kriegslüstern 
sei, in Ost und West 
Feindsch aften g enährt 
und Fesseln gegen uns 
geschmiedet wurden. Der 
Wind, d er d a g e s ät würd e, 
geht jetzt als Sturm auf. 
Wir wollten in friedlicher 
Arbeit weiterleben, und 
wie ein unausgesproche 
nes Gelübde ging es vom 
Kaiser bis zum jüngste 
Soldaten: nur zur Ver 
teidigung einer gerechten 
Sache soll unser Schwert 
aus der Scheide fliegen. 
Der Tag, da wir es ziehen 
müssen, ist erschienen — 
gegen unseren Willen, 
gegen unser redliches Be- 
inühen. Rußland hat 
die Brandfackel an das 
Haus gelegt. Wir stehen 
in einem erzwungenen 
Kriege mit Rußland und 
Frankreich. 
Meine Herren, eine 
Reihe von Schriftstücken, 
zusammengestellt in dem 
Drang der sich über 
stürzenden Ereignisse, ist 
Generaloberst von Beneckendorff und Hindenburg. der Held von Gilgenburg. 
v Ihnen zugegangen. Lassen Sie 
mich die Tatsachen herausheben, die unsere Haltung kenn- 
zeichnen. 
Vom ersten Augenblick des österreichisch-serbischen Kon- 
fliktes an erklären und wirken wir dahin, daß dieser Handel 
auf Österreich-Ungarn und Serbien beschränkt bleiben müsse. 
Alle Kabinette, insonderheit auch England, vertreten den 
selben Standpunkt. Nur Rußland erklärt, daß es bei oer 
Austragung dieses Konfliktes mitreden müsse. Damit erhebt 
die Gefahr europäischer Verwicklung ihr drohendes Haupt., 
Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über militärische 
Rüstungen in Rußland vorliegen, lassen wir m Petersburg 
freundschaftlich, aber nachdrücklich erklären, daß kriegerische 
Maßnahmen gegen Österreich uns an der Serie unseres 
Bundesgenossen finden würden und daß militärische Vor 
bereitungen gegen uns selbst uns zu Eegenmaßregeln 
zwingen würden, Mobilmachung aber sei nahe dem Kriege. 
Rußland beteuert uns in feierlicher Weise seinen Friedens 
wunsch, und daß es keine militärischen Vorbereitungen 
gegen uns treffe. Inzwischen sucht England zwischen Wien 
und Petersburg zu vermitteln, wobei es von uns warm 
unterstützt wird. Am 28. Juli bittet der Kaiser telegraphisch 
den Zaren, er möge bedenken, daß Österreich-Ungarn das 
Recht und die Pflicht habe, sich gegen die großserbischen 
Umtriebe zu wehren, die seine Eristenz zu unterhöhlen 
drohten. Der Kaiser weist den Zaren auf die gemeinsamen 
monarchischen Interessen gegenüber der Freveltat von 
Serajewo hin. Er bittet ihn, ihn persönlich zu unterstützen, 
um den Gegensatz zwischen Wien und Petersburg aus 
zugleichen. Ungefähr zu derselben Stunde und vor Emp 
fang dieses Telegramms bittet der Zar seinerseits den 
Kaiser um seine Hilfe, er möge doch in Wien zur Mäßi 
gung raten. Der Kaiser übernimmt die Vermittlerrolle. 
Aber kaum ist die von ihm angeordnete Aktion im 
Gange, so mobilisiert Rußland alle seine gegen Österreich- 
Ungarn gerichteten Streitkräfte. Österreich-Ungarn selbst 
aber hatte nur seine Armeekorps, die unmittelbar gegen 
Serbien gerichtet sind, mobilisiert. Gegen Norden zu nur 
zwei Armeekorps und fern von der russischen Grenze. 
Der Kaiser weist so 
fort den Zaren darauf 
hin, daß durch diese Mo 
bilmachung der russischen 
Streitkräfte gegen Öster 
reich die Vermittlerrolle, 
die er auf Bitten des 
Zaren übernommen 
hatte, erschwert, wenn 
nicht unmöglich gemacht 
würde. Trotzdem setzen 
wir in Wien unsere Ver 
mittlungsaktion fort, und 
zwar in Formen, welche 
bis in das Äußerste dessen 
gehen, was mit unserem 
B und e sv erh ältnis n o ch 
verträglich war. Wäh 
rend der Zeit erneuert 
Rußland seine Versiche 
rungen, daß es gegen 
uns keine militärischen 
Vorbereitungen treffe. 
Eskommtder31.Juli. 
In Wien soll die Ent 
scheidung fallen. Wir 
haben es bereits durch 
unsere Vorstellungen er 
reicht, daß Wien in dem 
eine Zeitlang nicht mehr 
im Gange befindlichen 
direkten Verkehr die Aus 
sprache mit Petersburg 
wieder aufgenommen 
hat. Aber noch bevor 
die letzte Entscheidung 
in Wien füllt, kommt die Nachricht, daß Rußland seine ge 
samte Wehrmacht, also auch gegen uns, mobil gemacht 
hat. Die russische Regierung, die aus unseren wiederholten 
Vorstellungen wußte, was Mobilmachung an unserer Grenze 
bedeutet, teilt uns diese Mobilmachung nicht mit, gibt uns 
zu ihr auch keinerlei erklärenden Aufschluß. Erst am Nach 
mittag des 31. trifft ein Telegramm des Zaren beim Kaiser 
ein, in dem er sich dafür verbürgt, daß ^eine Armee keine 
herausfordernde Haltung gegen uns einnehmen werde. 
Aber die Mobilmachung an unserer Grenze ist schon seit 
der Nacht vom 30. zum 31. Juli in vollem Gange. Wäh 
rend wir auf russisches Bitten in Wien vermitteln, erhebt 
sich die russische Wehrmacht an unserer langen, fast ganz 
offenen Grenze, und Frankreich mobilisiert zwar noch 
Amerikan. Copyright 1911 by Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
	        
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