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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
schildert ein von dort entkommener Österreicher folgender
masten:
„Die Erundstimmung in Warschau ist Erwartung. Man
wartet auf den Einzug der deutschen und österreichisch
ungarischen Truppen. Die russischen Behörden wittern in
jedem Menschen einen Spion. Unter der polnischen und
jüdischen Bevölkerung, die sich unter verschärfter polizeilicher
Aufsicht befindet, werden unausgesetzt Verhaftungen und
verschiedentlich Hinrichtungen vorgenommen. Man geht in
der Spionenfurcht so weit, dast man durch einen Mauer
anschlag verbietet, in öffentlichen Lokalen Unterhaltungen
im Flüsterton zu führen. Die Haustore werden um neun Uhr
geschlossen. Die Strasten sind um diese Zeit menschenleer.
Dagegen nimmt das Banditentum beträchtlich zu.
Von Zeit zu Zeit erscheinen deutsche Flugzeuge, die Auf
rufe an die Bevölkerung ausstreuen. Die Behörden haben
verboten, die deutschen Aufrufe aufzubewahren, sie sind
sofort der Polizei auszuhändigen. Ein deutscher Flieger
warf auch einige Bomben in die Stadt. Eine von ihnen fiel
aus den Hauptbahnhof und tötete einen Offizier. Auch
Zeppeline haben der Stadt mehreremal einen nächtlichen
Besuch abgestattet. Die Versuche, sie Herunterzuschiesten,
mistlangen. Im Falle einer Belagerung soll die Stadt ver
teidigt werden. Die Befestigungsarbeiten schreiten lebhaft
vorwärts. Die Zeitungen dürfen von alledem nichts bringen.
Die Kunde von den schweren russischen Niederlagen ist aber
doch schon jetzt in Warschau bekannt. Man berechnet die
Verluste an Menschenleben auf eine halbe Million." —
Am 18. Oktober schlug vereinigte deutsche und öster
reichisch-ungarische Kavallerie einen großen feindlichen
Kavalleriekörper, der westlich Warschau vorzudringen suchte,
über ^ochatschew zurück. Am 22. Oktober erschienen Teile
des österreichisch-ungarischen Heeres vor Jwangorod, schlugen
dort zwei feindliche Divisionen, nahmen 3600 Russen ge
fangen und erbeuteten eine Fahne sowie 15 Maschinen
gewehre. Unsere deutschen Truppen verfolgten den Feind
in der Richtung Osowiec und gewannen am 21. Oktober
mehrere hundert Gefangene sowie einige Maschinengewehre.
Vom 22. bis 24. Oktober versuchten die Russen Angriffe
auf das von den Deutschen besetzte Augustow, wurden
hierbei jedoch überall zurückgeschlagen und verloren wieder
Maschinengewehre.
Inzwischen hatten sich in Polen neue starke, den Ver
bündeten weit überlegene feindliche Kräfte versammelt und
waren in die Kümpfe eingetreten, so dast die Russen uns in
großer Übermacht gegenüberstanden. Nichtsdestoweniger
konnten die deutsche und die österreichisch-ungarische Heeres
leitung melden, daß beide Heere Erfolge erzielten. Am
25. Oktober kämpften die Verbündeten bei Jwangorod und
machten 1800 Gefangene. Hier entwickelten sich nunmehr
sehr hartnäckige Kämpfe, und am 26. Oktober fielen den
k. u. k. Truppen 10000 Gefangene und 19 Maschinengewehre
in die Hände. Am 27. Oktober meldete der österreichisch
ungarische Generalstab:
„Südwestlich Jwangorod stehen unsere mit unüberwind
licher Bravour fechtenden Korps, von denen eines allein
10 000 Gefangene gemacht hat, im Kampf gegen überlegene
Korps.
Der stellvertretende Chef des Generalstabes:
v. Höfer, Generalmajor."
Dagegen mußten einer Meldung aus dem deutschen Haupt
quartier vom 28. Oktober zufolge die deutschen und österrei
chisch-ungarischen Truppen neuen russischen Kräften, die
von Jwangorod—Warschau und Nowogeorgiewsk vorgingen,
ausweichen, nachdem sie in mehrtägigen Kämpfen alle
russischen Angriffe erfolgreich abgewiesen hatten. Die Russen
folgten zunächst nicht. Die Loslösung vom Feinde geschah
ohne Schwierigkeit.
Wie die weitere Entwicklung gezeigt hat, bedeutete
dieser strategische Rückzug lediglich die Vorbereitung zu neuen
für die Russen überaus empfindlichen Vorstößen.
* *
*
In erstaunlichem Grade ist Afrika in den gegenwärtigen
Krieg verwickelt, wenn auch meist nur mittelbar. In der
islamitischen Bevölkerung gärt es, die Buren haben sich
von neuem erhoben, so dast England dort and) gegen diese,
wie gegen die Deutschen Afrikas zu kämpfen hat, die fran
zösischen Besitzungen sind in Gefahr, der belgische Kongo
staat ist gewissermaßen herrenloses Gut geworden, da es
ein Belgien nicht mehr gibt, Deutschland aber bis jetzt
noch nicht die Möglichkeit fand, seine Hand auf diesen, der
Oberhoheit des Königs der Belgier unterstellten Staat zu
legen; vor allem aber ist es in Ägypten bedenklich unruhig
geworden. Die Übersicht über all diese Verhältnisse ist
durch die Spärlichkeit der Nachrichtenquellen sehr er
schwert. Wir sind fast allein auf das Reuterbüro an
gewiesen, dessen Parteilichkeit außer Zweifel steht. Nur
höchst selten erfahren wir durch den Mund eines Reisenden
etwas Näheres über die afrikanischen Vorgänge.
Auf Grund solcher Nachrichten und der seitens der
Kolonialverwaltung im November 1914 veröffentlichten
Gesamtdarstellung über die ersten drei Monate des Krieges
in unseren Kolonien, die sich zum großen Teile auch auf
Reuter stützen mußte, sind wir jetzt in der Lage, zu den
bereits früher (Seite 207 ff.) geschilderten Ereignissen einige
Ergänzungen zu geben.
Der Krieg in Ostafrika spielte sich in fünf weit von
einander liegenden Gegenden ab, und zwar an der Küste
bei Daressalam, im Südwesten an der deutsch-englischen
Grenze zwischen Njassa- und Tanganjikasee, im Norden
und Nordosten jenseits der deutsch-englischen Grenze im
englischen Gebiet auf dem Ostufer des Viktoriasees, in der
Gegend nordöstlich des Kilimandscharo und schließlich im
Nordwesten des Kiwusees.
Während wir es an den vier zuerst genannten Stellen
mit englischen Kolonialtruppen zu tun hatten, waren am
letztgenannten Punkte die Belgier unsere Gegner.
Die Engländer eröffneten die Feindseligkeiten von der
See her gegen Daressalam. Ihr kleiner Kreuzer „Pegasus"
— nach privaten Nachrichten soll auch der englische kleine
Kreuzer „Pandora" dabei beteiligt gewesen sein — ver
suchte, durch Geschützfeuer den Funkenturm von Daressalam
umzulegen, was ihm jedoch nicht gelang. Der Turm wurde
später seitens des deutschen Gouvernements entfernt, wahr
scheinlich, um die offene Stadt Daressalam vor weiterer
Beschießung zu schützen. Desgleichen wurde das im Hafen
von Daressalam liegende, bereits abgerüstete frühere
Kanonenboot, jetzige Vermessungsschiff „Möwe" sowie
das Schwimmdock von den Deutschen versenkt. Einige
Tage später wurde der englische Kreuzer „Pegasus" von
dem deutschen kleinen Kreuzer „Königsberg" vor Sansibar
angegriffen und vollkommen gefechtsunbrauchbar gemacht.
(Englischer Bericht.) Nach privaten Nachrichten soll ein
anderer englischer kleiner Kreuzer bei Daressalam auf ein
Riff aufgelaufen sein und dort festliegen. Mitte August
scheinen dann die Engländer Daressalam besetzt zu haben.
Aus Privatnachrichten geht hervor, daß es gelungen ist,
die in Daressalam garnisonierenden Abteilungen der Schutz-
und Polizeitruppe nebst allen Vorräten an Munition und
Ausrüstung sowie die Archive und alles Eisenbahnmaterial
nach dem Innern in Sicherheit zu bringen. Das gleiche
trifft für die Hafenstadt Tanga zu. — Im Südwesten der
Kolonie, auf dem Njassasee, überraschte am 14. August
der englische Regierungsdampfer „Ewendolen", der mit
zwei Geschützen ausgerüstet ist, den kleinen Dampfer
„Hermann v. Wißmann" in Sphinrhafen an der West
küste des Sees und machte ihn durch Wegnahme von Ma
schinenteilen unbrauchbar. Der Kapitän, der Maschinist
und die farbige Besatzung wurden gefangen genommen.
Am 5. September soll dann eine deutsche Abteilung den
Ort Abercorn auf dem Tanganjikaplateau in Nordrhode
sien angegriffen haben, aber zurückgeschlagen worden
sein und sich unter beständigen Kämpfen über die Grenze
zurückgezogen haben. Dagegen fanden Anfang Sep
tember heftigere Kämpfe am Westufer des Njassafees statt.
Der englische Bericht besagt, der Gegner habe an
Europäern sieben Tote und drei Verwundete gehabt.
Letztere seien in Gefangenschaft geraten. Die Engländer
geben ihre Verluste an Weißen auf vier Tote und sieben
Verwundete an. Soweit bis jetzt bekannt, sind die Eng
länder an keiner Stelle unseren zurückgehenden Truppen
über die Grenze in deutsches Gebiet gefolgt. — Über die
Kämpfe an der Nordostgrenze berichtete „Daily' Mail" auf
Grund amtlicher englischer Nachrichten: Im Lauf des
September unternahmen die Deutschen längs der Grenze
zwischen Deutsch- und Britisch-Ostafrika Vorstöße zu dem
Zweck, in britisches Gebiet einzudringen und die Uganda
bahn zu unterbrechen. Am 6. September sei es westlich
des Tsavoflusses zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen