Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Uniform der Schwedter Dragoner ein, er trug die violette Mappe, 
in der sich das Manuskript der Thronrede befand. . . 
Da klingen dumpf noch einmal drei Schläge. Unter Vorantritt 
des Reichskanzlers, des Großadmirals v. Tirpitz und des bayerischen 
Gesandten Grafen v. Lerchenfeld kommt der Kaiser langsam die 
Treppe herabgeschritten. Auf seinein Antlitz sieht man keine Spur 
von Erregung, er verneigt sich, als der Neichstagspräsident ein 
begeistertes dreimaliges Hoch auf ihn ausbringt, und schreitet dann 
ernst, den Helm der Eardeinfanterie in der Hand, die Stufen des 
Thrones empor. Als ihm die Thronrede überreicht ist, bedeckt er 
sein Haupt mit den: Helm. 
Und laut und vernehmlich tönt seine Stimme durch den Saal. 
Vor Beginn der Rede hat sich die Kaiserin von ihrem Sitz er 
hoben, sie hört diese mächtige Kundgebung stehend an. 
Aller Augen haften an unserem Kaiser. Hoch aufgerichtet, 
das Blatt in der Rechten, die Linke auf den Degenknauf gestützt, 
spricht er, und nur ein einziger Wunsch beseelt den Zuhörer, daß alle 
Deutschen, von der Memel bis zur Maas, das hören möchten, was 
der Kaiser sagt und wie er es sagt. Man wird von derselben mächtigen 
inneren Erregung erfaßt, die ihn selbst beseelt, man fühlt, was es 
ihn kostete, diesen weltenschweren Entschluß zu fassen, der viel 
Unglück, aber, so Gott will, auch unsäglich Gutes im Gefolge haben wird. 
Immer macht- und tonvoller wurde seine Stimme, und 
es schien, als ob ein verhaltener Zug von Wehmut sein Herz be 
wegte, da er von der alten, traditionellen und historischen Freund 
schaft mit dem Zarenreiche sprach. Aber dann wurde er drohend 
und immer drohender, und der begeisterte Beifall aller Zuhörer 
bewies, daß es nunmehr mit der deutschen Geduld zu Ende sei. 
Und als der Kaiser dem Schluß seiner Rede nahe war, als er 
den Appell an alle Völker und Stämme des Deutschen Reichs 
erklingen ließ, da warf er mit energischem Schwung das Manuskript 
auf den Thronsessel und sprach den Schluß seiner Rede frei. Wer 
immer diese Worte hörte, hat nimmermehr tiefer in das Herz eines 
deutschen Mannes geschaut, weil er selbst dieselben Empfindungen 
hatte. 
Niemand kann die Begeisterung erfassen, die alle ergriff, nie war 
etwas Ergreifenderes, als wie die Parteien des Reichstages dem 
Kaiser das Gelöbnis der Treue ablegten, niemals ist das „Heil dir 
im Siegerkranz" inniger gesungen, als in der heutigen Mittags 
stunde, und niemals wurde hochherziger in ein Kaiserhoch eingestimmt, 
als in das, das der bayerische Gesandte ausbrachte. 
Der Kaiser verabschiedete sich mit Händedruck von dem Chef 
des Generalstabes und von dem Reichskanzler — ein weltgeschicht 
licher Augenblick gehörte der Vergangenheit, aber dem immer 
währenden Bewußtsein des deutschen Volkes an. 
Die Thronrede selbst lautete: 
„Geehrte Herren! In schicksalsschwerer Stunde habe 
Ich die gewählten Vertreter des deutschen Volkes um Mich 
versammelt. Fast ein halbes Jahrhundert lang tonnten 
wir auf dem Wege des Friedens verharren. Versuche, 
Deutschland kriegerische Neigungen anzudichten und seine 
Stellung in der Welt einzuengen, haben unseres Volkes 
Geduld oft auf harte Proben gestellt. In unbeirrbarer 
Redlichkeit hat meine Regierung auch unter herausfor 
dernden Umständen die Entwicklung aller sittlich-geistigen 
und wirtschaftlichen Kräfte als höchstes Ziel verfolgt. Die 
Welt ist Zeuge gewesen, wie unermüdlich wir in dem 
Drange und den Wirren der letzten Jahre in erster Reihe 
standen, um den Völkern Europas einen Krieg zu ersparen. 
^— Die schwersten Gefahren, die durch die Ereignisse am 
Balkan heraufbeschworen waren, schienen überwunden. 
Da tat sich mit der Ermordung Meines Freundes, des 
Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. Mein hoher 
Verbündeter, der Kaiser und König Franz Joseph, war 
gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um die Sicherheit 
seines Reiches gegen gefährliche Umtriebe aus einem 
Nachbarstaat zu verteidigen. Bei der Verfolgung ihrer 
berechtigten Interessen ist der verbündeten Monarchie 
Illustrierte S 
Das Gefecht bei Lagarde. 
(Hierzu das Bild Seite 35.) 
Am 11. August trafen die in Lothringen im Aufmärsche 
befindlichen Streitkräfte den Feind bei Lagarde, einem an 
sehnlichen, dicht an der französischen Grenze gelegenen 
Dorfe. Das gab einem verhältnismäßig kleinen Teil 
unserer nordwestlich von Straßburg aufmarschierten Trup 
pen zum erstenmal Gelegenheit, die aufopferungsvolle 
Hingabe an das Vaterland und die Todesverachtung zu 
erweisen, die in einem Siegeszuge, wie ihn die Welt 
das Russische Reich in den Weg getreten. An die Seite 
Österreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere Bündnis 
pflicht, uns fällt zugleich die gewaltige Aufgabe zu, mit der 
alten Kulturgemeinschaft der beiden Reiche unsere eigene 
Stellung gegen den Ansturm feindlicher Kräfte zu schirmen. 
Mit schwerem Herzen habe Ich Meine Armee gegen 
einen Nachbar mobilisieren müssen, mit dem sie auf so 
vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit 
aufrichtigem Leid sah Ich eine von Deutschland treu be 
wahrte Freundschaft zerbrechen. Die Kaiserlich Russische 
Regierung hat sich, dem Drängen eines unersättlichen 
Nationalismus nachgebend, für einen Staat eingesetzt, 
der durch Begünstigung verbrecherischer Anschläge das 
Unheil dieses Krieges veranlaßte. Daß auch Frankreich 
sich auf die Seite unserer Gegner gestellt hat, konnte uns 
nicht überraschen. Zu oft sind unsere Bemühungen, mit der 
französischen Republik zu freundlicheren Beziehungen zu 
gelangen, auf alte Hoffnungen und alten Groll gestoßen. 
Geehrte Herren! Was menschliche Einsicht und Kraft 
vermag, um ein Volk für die letzten Entscheidungen zu 
wappnen, das ist mit Ihrer patriotischen Hilfe geschehen. 
Die Feindseligkeit, die im Osten und im Westen seit langer 
Zeit um sich gegriffen hat, ist nun zu hellen Flammen auf 
gelodert. Die gegenwärtige Lage ging nicht aus vorüber 
gehenden Jnteressenkonflikten oder diplomatischen Kon 
stellationen hervor, sie ist das Ergebnis eines seit langen 
Jahren tätigen Ubelwollens gegen Macht und Gedeihen 
des Deutschen Reiches. 
Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der un 
beugsame Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns 
gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter. 
Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, 
werden Sie ersehen, wie Meine Regierung und vor allem 
Mein Kanzler bis zum letzten Augenblick bemüht waren, 
das Äußerste abzuwenden. In aufgedrungener Notwehr, . 
mit reinem Gewissen und reiner Hand ergreifen wir das 
Schwert. An die Völker und Stämme des Deutschen 
Reiches ergeht mein Ruf, mit gesamter Kraft, in brüder 
lichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenossen zu 
verteidigen, was wir in friedlicher Arbeit geschaffen haben. 
Nach dem Beispiel unserer Väter fest und getreu, ernst 
und ritterlich, demütig vor Gott und kampfesfroh vor dem 
Feind, so vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere 
Abwehr stärken und zu gutem Ende lenken wolle! 
Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten 
und Führer geschart, das ganze deutsche Volk. Fassen Sie 
Ihre Entschlüsse einmütig und schnell — das ist Mein 
innigster Wunsch. 
Sie haben gelesen, meine Herren, was ich zu meinem 
Volke vom Balkon des Schlosses aus gesagt habe. Ich 
wiederhole, ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur 
Deutsche und zum Zeugen dessen, daß Sie fest entschlossen 
sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Kon 
fessionsunterschiede zusammenzuhalten, mit mir durch dick 
und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die 
Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir in die 
Hand zu geloben." 
Diese Worte rissen diese ergrauten Männer hin. Die 
Hurras und Hochs endeten nicht. Das Zeremonielle war 
vergessen, man war nicht mebr im Weißen Saal, und 
während die Führer der Pa- eien vortraten und ohne 
tiefe Hofoerbeugung dem Kaiser die Hand reichten, war 
mit einem Male das Symbol für den hohen Sinn dieser 
Stunde gefunden. (Fortsetzung folgt.) 
9 _ _ 's f 
geschichte bisher nicht kennt, jetzt so macht- und kraftvoll 
zum Ausdruck gelangt. 
Bei glühender Sonnenhitze wurde das Gefecht gegen 
einen gut verschanzten und weit überlegenen Gegner ein 
geleitet und in siebenstündigem Kampfe siegreich durch 
geführt. Als unsere Infanterie von einem Höhenrande 
das erste Feuer empfing, nahm sie es sofort auf und 
ging, unterstützt von mittlerweile eingreifender Artillerie, 
unaufhaltsam vor, bis dicht an die feindlichen Feldbefesti- 
gungen. Hier entspann sich ein heißes Feuergefecht, bis 
* endlich der linke feindliche Flügel ins Wanken geriet. Mit
	        
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