Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkreiges 1914/15. 
Phot. Kühlewindt, Hofphotograph, Königsberg i. P. 
BeobachLungsposten der schweren GardearLillerie mit Scherenfernrohr. 
Auf dem östlichen Kriegschauplaß. 
ruthenische Bevölkerung im Nordosten Ungarns Eindruck. 
Es lagen sogar Berichte darüber vor, daß es gerade die 
Ruthenen waren, die statt auf das Erscheinen der Russen zu 
warten und sich dann mit ihnen zu verbrüdern, wie es in 
einigen Gemeinden Ostgaliziens geschehen ist, die ersten 
waren, die die Flucht ergriffen und nur mit Mühe beruhigt 
werden konnten. Die ruthenischen Soldaten, die unter der 
Mannschaft des sechsten Korps, das sich in den galizischen 
Kämpfen besonders ausgezeichnet hat, sehr stark vertreten 
sind, haben sich dort als durchaus zuverlässig und tapfer er 
wiesen, und von ganz vereinzelten Fällen abgesehen, hat 
sich auch das ruthenische Volk in Ungarn als völlig treu 
bewährt. Die russischen Einfalltruppen sahen sich also in 
ihren gegenteiligen Erwartungen getäuscht. 
Freilich mußte noch eine Zeitlang gekämpft werden, um 
sich der unerbetenen russischen Gäste zu erwehren. Am 
6. Oktober wurde gemeldet, daß nordwestlich bei Marmaros- 
Cziget und Tarczkoez eine russische Kolonne zurückgeschlagen 
wurde. An diesen Gefechten nahmen auch inzwischen ein 
getroffene deutsche Streitkräfte teil. Zwischen Poleno und 
Aknos versuchten die Russen durchzubrechen, sie wurden aber 
auch hier zurückgeschlagen. Die Verfolgung wurde sofort 
aufgenommen, und dabei wurden viele Gefangene gemacht. 
Schon am 6. Oktober war das Komitat Beregh von dem 
letzten Mann der russischen Einfalltruppen befreit, die aus 
einer Kosakendivision, zweieinhalb Infanteriedivisionen und 
zwanzig Geschützen bestanden hatten und in der Richtung 
nach Sambor verfolgt wurden. Am 14. Oktober nahmen die 
österreichisch-ungarischen Truppen nach viertägigen Kämpfen 
Toronya zurück und verfolgten die Russen gegen Wyskow. 
Kleinere erfolgreiche Gefechte mit zurückgehenden feindlichen 
Abteilungen fanden auch im Bissotale statt. In der Marma- 
ros nahmen am 16. Oktober die den Feind verfolgenden 
Abteilungen Raho in Besitz. Im Tale der Schwarzen 
Bystrzyca zogen sich die Russen, von den k. u. k. Truppen 
bei Rafailowa geschlagen, gegen Piloma zurück. 
Ungefähr um dieselbe Zeit, als die Russen über die 
Karpathen nach Ungarn einbrachen, begannen sie auch die 
Belagerung von Przemysl. Es mußte ihr eifrigstes Be 
streben sein, diese Festung in ihren Besitz zu bekom 
men, da sonst eine dauernde Besetzung Galiziens und 
insbesondere der Hauptstadt Lemberg nicht gut denk 
bar ist. Przemysl stört die wichtigsten Verbindungs 
linien, und "Ausfälle aus der Festung konnten den 
Russen stets gefährlich werden, was in der Folge 
auch eingetreten ist. 
Auf Seite 316 haben wir bereits die erste Belage 
rung und den Entsatz von Przemysl geschildert. Hier 
möge noch eine Einzelheit nachgetragen werden. 
Am 1. Oktober führte ein österreichisch-ungarischer 
Eeneralstabsoffizier einen bewunderungswürdigen 
Flug mit einem Piloten nach der von den Russen um 
zingelten Festung aus. Die Festungswerke wurden 
unter einem Hagel feindlicher Geschosse glücklich 
überflogen. Trotz des heftigen Artilleriefeuers des 
Feindes eilte die ganze Bevölkerung der Stadt zu 
sammen, um die sich senkende Maschine mit unbe 
schreiblichem Jubel zu empfangen, in den die ohn 
mächtigen Schüsse der schweren russischen Geschütze 
wie Paukenschläge hineinklangen. Richt nur Be 
fehle für die Besatzung der Festung, sondern auch 
Zeitungen brachten die Flieger den von aller Welt 
abgeschlossenen Truppen und Bewohnern der be 
lagerten Stadt. Die ganze Fahrt bis zur Landung 
war in einer Stunde zurückgelegt. Wegendes schneei 
gen, böigen Wetters mußte die Rückkehr bis zum 
6. Oktober verschoben werden. Aber auch an diesem 
Tage war das Wetter nichts weniger als günstig. 
Kaum wurde die Maschine über den Festungswerken 
sichtbar, als die Russen wieder ein so rasendes Feuer 
eröffneten, daß das Getöse und der Knall der Ge 
schosse selbst das Brummen des Motors übertönte, das 
Flieger sonst gegen alle anderen Geräusche unemp 
findlich zu machen zflegt. Manchmal war das Flug 
zeug in eine Wolke ringsum explodierender Geschosse 
gehüllt, deren Luftdruck es nicht selten jäh aus 
seiner Bahn riß. Achtmal durchbohrten Splitter die 
Tragflächen. In den wetternden Schneestürmen, 
die seit Wochen über Galizien dahinwüteten, fand 
das Flugzeug dann einen noch weit gefährlicheren 
Feind. Trotzdem erreichten die Flieger nach vier langen 
Stunden die österreichischen Linien. 
Sie konnten aus eigener Anschauung berichten, daß die 
Verteidigung der Festung von der kampfbegeisterten Be 
satzung mit großer Tüchtigkeit und Umsicht geführt werde. 
Die Russen hatten zwischen den Toten ihre Schwer 
verwundeten liegen lassen, und als Przemysl befreit wurde, 
wurden Tausende solcher unter Leichen gefunden und in 
das Festungspital befördert. Es waren dabei einige, die 
schon sechs bis acht Tage ohne Nahrung dort gelegen hatten 
und gänzlich geschwächt waren; ihre Wunden waren brandig, 
so daß, sofern es sich um Arme oder Beine handelte, sofort 
amputiert werden mußte. In den Brotsäcken der Leichen 
fanden sich viele Juwelen, die die Leute jedenfalls geraubt 
hatten. In der Umgebung von Przemysl klagten die Be 
wohner, daß die Russen alles geraubt und ihnen sogar die 
Kleider vom Leibe gerissen hätten. 
Groß war der Jubel sowohl in Österreich und Ungarn 
wie in Deutschland, als die Kunde von der Befreiung 
Przemysls, das eine fast dreiwöchige Belagerung erduldet 
hatte, bekannt wurde. Der Gedanke, eine Festung am 
Sanflusse anzulegen, stammt aus dem Jahre 1824. Damals 
war es Erzherzog Karl, der eine Befestigung von Jaroslau 
vorschlug. Zur Ausführung kam es erst später, und zwar 
wurde 1854 nicht Jaroslau, sondern Przemysl zunächst als 
feldmäßiger Brückenkopf angelegt. 1871 begann der 
weitere Ausbau. Da die Mittel nicht zu reichlich flössen, 
gingen die Arbeiten nur langsam vorwärts. Mit Beginn der 
neunziger Jahre wurde die Panzerbefestigung eingeführt, 
wodurch ein Teil der Verteidigungsgeschütze den Panzer 
schutz erhielt. Um den Ausbau von Przemysl hat sich der 
verstorbene Feldmarschalleutnant Ritter v. Brunner das 
größte Verdienst erworben; ihm ist es zu danken, daß der 
Platz zu einem großen Teile den Rang einer modernen 
Gürtelfestung einnimmt. 
Przemysl liegt am rechten Ufer des San, über den eine 
180 Meter lange Brücke führt, und ist Knotenpunkt zweier 
Staatsbahnlinien: Krakau—Lemberg und Przemysl—Mezö- 
Laborcz. Es betreibt lebhaften Handel und hat mit der etwa
	        
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