Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Berliner Illustrations-Gesellschaft m. b. H., Berlin. 
Schwestern vom Roten Kreuz beim Kochen von Krankenkost. 
Gleichzeitig erschienen die Bekanntmachungen der Korps 
kommandanten der gesamten Armee und Marine, worin 
die näheren Bestimmungen über die Form der Mobil 
machung nebst Bezeichnung der Lokale, in denen sich die 
Gestellungspflichtigen zu melden hatten, mitgeteilt waren. 
Diese Einzelheiten waren natürlich bei den verschiedenen 
Armeekorps verschieden, nur die Mobilmachungstage waren 
im ganzen Reiche die gleichen. Es hieß da: 
Der 2. August 1914 gilt als erster Mobilmachungstag 
„ 3. „ 1914 „ „ zweiter 
„ 4. „ 1914 „ „ dritter 
„ 5. „ 1914 „ „ vierter „ 
„ 6. „ 1914 „ „ fünfter 
und so fort. 
Die Wogen der vaterländischen Begeisterung gingen 
hoch, und ebenso wie acht Tage vorher bei Bekanntwerden 
des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen 
Österreich und Serbien, so zogen auch jetzt die Volks 
massen durch die Strafen und sangen patriotische Lieder. 
Der Lustgarten in Berlin war am Nachmittag des 1. August 
von einer dichtgedrängten Menschenmenge beseht. Etwa 
um fünfeinhalb Uhr wurde dem Publikum, durch Adjutanten, 
Offiziere und Schutzmannswachtmeister die erfolgte Mobil 
machung bekanntgegeben, worauf es zu großen Beifalls 
kundgebungen kam. Um sechs Uhr 
war im Dom der angeordnete litur 
gische Gottesdienst, den Oberhofpre 
diger D. Dr. Dryander abhielt. An 
dem Gottesdienst nahmen auch Damen 
und Herren aus der Umgebung des 
Kaiserpaares teil. Eine ungeheure 
Menschenmenge wälzte sich nach sieben 
Uhr die Linden hinauf und staute 
sich vor dem Kronprinzlichen Palais, 
wo berittene Schutzleute mühsam den 
Verkehr frei hielten. Die Schloßbrücke 
war abgesperrt. Plötzlich zeigten sich 
der Kaiser und die Kaiserin auf dem 
Mlttelbalkon des Schlosses. Sogleich 
wurde die Absperrung aufgehoben, und 
die Menge eilte im Laufschritt unter 
unaufhörlichen Hochrufen über die 
Brücke vor das Schloß, „Heil dir 
im Siegerkranz" und „Deutschland, 
Deutschland über alles" singend. Dann 
hörte man den Ruf „Ruhe!", und der 
Kaiser, dessen Stimme deutlich ver 
nehmbar über den Platz klang, hielt 
folgende kurze Ansprache: „Aus tiefem 
Herzen danke ich euch für den Aus 
druck eurer Liebe, eurer Treue. In 
dem jetzt bevorstehenden Kampf kenne 
ich in meinem Volke keine Par 
teien mehr. Es gibt unter uns 
nur noch Deutsche (brausender 
Jubel), und welche von den Par 
teien auch im Laufe des Mei 
nungskampfes sich gegen mich 
gewendet haben sollte, ich ver 
zeihe ihnen allen von ganzem 
Herzen. Es handelt sich jetzt nur 
darum, daß alle wie Brüder zu 
sammenstehen, und dann wird 
Gott dem deutschen Schwert 
zum Siege verhelfen." 
Diese Worte wurden mit 
stürmischen Hochrufen beant 
wortet. Während der Kaiser und 
die Kaiserin sich zurückzogen, er 
klang „Die Wacht am Rhein". 
Der Strom flutete zu den Linden 
zurück, um sich vor dem Kron 
prinzenpalast abermals zu stauen. 
Lebhaft begrüßt durch Hände 
klatschen und Hochrufe erschien 
das Kronprinzenpaar auf dem 
Balkon. Der Kronprinz hatte 
den dritten Prinzen auf dem 
Arm, die Kronprinzessin hielt die 
beiden ältesten Söhne an der Hand. 
Am selben Abend machte auch vor dem Reichskanzler- 
gebäude ein stattlicher Zug halt, der in ernster patriotischer 
Stimmung „Heil dir im Siegerkranz" und „Lobe den Herrn" 
sang. Der Reichskanzler erschien an einem Fenster des 
ersten Stocks und richtete an die Menge folgende Worte: 
„In Ihrem Liede haben Sie unserem Kaiser zugejubelt. 
Ja, für unseren Kaiser stehen wir alle ein, wer und welcher 
Gesinnung und welchen Glaubens wir auch sein mögen. 
Für ihn lassen wir Gut und Blut. Der Kaiser ist genötigt 
gewesen, die Söhne des Volkes zu den Waffen zu rufen. 
Wenn uns jetzt der Krieg beschieden sein sollte, so weiß ich, 
daß alle jungen deutschen Männer bereit sind, ihr Blut zu 
verspritzen für den Ruhm und die Größe Deutschlands. 
Aber wir können nur siegen in dem festen Vertrauen auf 
den Gott, der die Heerscharen lenkt und der uns bisher 
noch immer den Sieg gegeben hat. Und sollte Gott in letzter 
Stunde uns diesen Krieg ersparen, so wollen wir ihm dafür 
danken. Wenn es aber anders wird, dann: Mit Gott für 
König und Vaterland!" 
Ähnliche Kundgebungen fanden auch in anderen Landes 
hauptstädten statt. 
Es sei noch erwähnt, daß am 1. August nachmittags auch 
die volle Mobilmachung der französischen Streitkräfte an 
geordnet worden war. Das Bekanntwerden dieser Tat- 
Phot. L. Schaller, Stuttgart. 
Deutsche Verwundete werden in Automobilen in Stuttgarter Lazarette überführt.
	        
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