Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
und allein, Zeit für die eigenen Kriegsvorbereitungen zu 
gewinnen und Deutschland in Sicherheit zu wiegen. 
Der Schwerpunkt der von Deutschland abgegebenen 
Erklärungen liegt in dein Telegrarnnr Kaiser Wilhelms an 
den König von England. Auch wenn ein Mißverständnis 
in bezug auf einen englischen Vorschlag vorlag, so bot doch 
das Anerbieten des Kaisers England Gelegenheit, aufrichtig 
seine Friedensliebe zu beweisen und den deutsch-französischen 
Krieg zu verhindern. Warum drängte England nur auf 
Deutschland, das vermitteln sollte, nicht aber auf seinen 
russischen Freund, daß er seine Mobilmachung einstelle? — 
Es war ein Trugspiel ärgster Art. Das geht auch hervor 
aus einer Veröffentlichung der französischen Zeitung „Eil 
Blas", die lautet: „In den militärischen Kreisen des 
Ostens erzählt man sich, daß die Stadt Maubeuge, die 
unweit der nordöstlichen Grenze Frankreichs an der Bahn 
linie Köln—Paris liegt, seit mehreren Wochen mit größeren 
Mengen englischer Munition versehen werde. Die Stadt 
Maubeuge ist militärisch von großer Bedeutung. Sie wird 
im Feldzugsplan des französischen Generalstabs als Kon 
zentrationspunkt für die verbündeten Truppen bezeichnet, 
die im Kriegsfall von dem englischen General French 
unter der Oberleitung des französischen Generalissimus 
Joffre befehligt werden sollen. Nun ist bekannt, daß 
die englischen Geschütze nicht das gleiche Geschoß wie 
die französischen haben. Die beiden Regierungen seien 
jedoch übereingekommen, schon in Friedenszeiten auf 
französischem Gebiet diejenigen Munitionsmengen anzu 
häufen, die im Kriegsfall für die englische Artillerie not 
wendig sind." 
Unsere Gegner hofften, dann mit vereinten Kräften in 
voller Rüstung über das wehrlose Deutschland herfallen zu 
können. In dieser Rechnung haben sie nur eines über 
sehen: die deutsche Schlagfertigkeit. 
Am 28. Juli veröffentlichte eine Extraausgabe der 
offiziellen „Wiener Zeitung" im amtlichen Teile folgende 
Bekanntmachung: 
„Kriegserklärung. 
Auf Grund Allerhöchster Entschließung Seiner k. und k. 
Apostolischen Majestät vom 28. Juli 1914 wurde heute 
an die Königlich Serbische Regierung eine in französischer 
Sprache abgefaßte Kriegserklärung gerichtet, welche in 
deutscher Übersetzung folgendermaßen lautet: Da die 
Königlich Serbische Regierung die Note, welche ihr vom 
österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad am 23. Juli 
1914 übergeben worden war, nicht in befriedigender Weise 
beantwortet hat, so sieht sich die k. und k. Negierung in 
die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer 
Rechte und Interessen Sorge zu tragen und zu diesem Ende 
an die Gewalt der Waffen zu appellieren. Österreich- 
Ungarn betrachtet sich daher von diesem Augenblicke an als 
im Kriegszustand mit Serbien befindlich. 
Der österreichisch-ungarische Minister des Äußern: 
Graf Berchtold." 
Für Deutschland war die Zeit zum Handeln gekommen, 
als am 29. Juli bekannt wurde, Rußland habe trotz der mit 
dem Deutschen Kaiser gepflogenen Friedensverhandlungen 
die Mobilisierung von sechzehn Armeekorps befohlen. Nach 
den Mitteilungen des Reuterschen Büros beschränkte sich 
die Mobilmachung auf die militärischen Bezirke von Kiew, 
Odessa, Moskau und Kasan. In jedem Bezirke standen 
vier Armeekorps in Friedensstärke. Durch die Mobilisierung 
wurden die sechzehn russischen Armeekorps auf die Stärke 
von zweiunddreißig Armeekorps gebracht. 
Diese kriegerischen Vorbereitungen Rußlands wurden 
auch verraten durch eine Ansprache, die der Zar an die 
Aspiranten der Marineschule in Petersburg, die zu Offi 
zieren ernannt wurden, richtete. Die Ansprache rief 
stürmische Begeisterung hervor. Der Zar sagte unter 
anderem: „Ich habe befohlen, Sie angesichts der ernsten 
Ereignisse, welche Rußland jetzt durchzumachen hat, zu 
sammenzuberufen. Während des Dienstes als Offizier, der 
Sie erwartet, vergessen Sie nicht, was ich Ihnen sage: 
Glauben Sie an Gott und haben Sie den Glauben an den 
Ruhm und an die Größe unseres mächtigen Vaterlandes." 
Die Bewegungen der englischen Flotte, die Vorberei 
tungen, welche die neutralen Staaten trafen, die Erklä 
rungen, welche Asquith über den Ernst der Lage im englischen 
Unterhause abgab, alles wies darauf hin, daß eine Welt 
katastrophe bevorstand, wenn auch Asquith immer noch von 
seinen Bemühungen sprach, den Frieden zu erhalten. 
Auch glaubte man noch am 31. Juli, daß alle Gerüchte 
über eine bevorstehende Mobilisierung der deutschen Armee 
unbegründet seien. Gleichwohl drückte die Schwere der 
Situation auf alle Gemüter, und niemand konnte recht 
glauben, daß das drohende Gewitter ohne schwere Ent 
ladungen vorüberziehen werde. Die Nachrichten über um 
fangreiche Truppenverschiebungen in Frankreich mußten 
Verdacht erregen, aber noch am 30. Juli hatte die „Agence 
Havas", das amtliche französische Nachrichtenbüro, die 
Stirn, folgende Meldung zu verbreiten: ,,Zu Unrecht sind 
heute Gerüchte in Umlauf gesetzt worden, welche die öffent 
liche Meinung beunruhigen. Es ist insbesondere unrichtig, 
daß die Reservisten Befehl erhalten hätten, sich zu ihren 
Korps zu begeben. Es ist kein einziger Mann zum Ersatz 
einberufen worden. Die einzigen Maßnahmen, die er 
griffen worden sind, waren die Rückberufung von Be 
urlaubten gewisser Korps und die Rückkehr derjenigen 
Truppen in ihre Garnisonen, die sich zu weit davon ent 
fernt hatten. Es ist augenscheinlich, daß diese Maßnahmen 
einen rein verteidigenden Charakter haben und nur zu dem 
Zwecke ergriffen worden sind, um jeder Möglichkeit zu be 
gegnen. Mel Aufhebens wird auch von gewissen Anord 
nungen gemacht, die den Zweck verfolgten, den Schutz 
großer Anlagen und wichtiger Plätze zu sichern. Es ist in 
dessen ganz natürlich, daß Schutzmaßnahmen gegen Sabo 
tageversuche oder Handstreiche von Anarchisten ergriffen 
werden." 
Im Widerspruch zu dieser Meldung stand aber die Tat 
sache, daß sich die französische Bevölkerung an der Ostgrenze 
ganz für den Krieg einrichtete. Alle Lebensmittelläden 
waren bereits ausverkauft, und es herrschte eine schreck 
liche Geldnot. Alles schien sich auf einen großen Krieg 
zuzuspitzen. Inzwischen dauerten die Unterhandlungen 
zwischen Österreich-Ungarn und Rußland fort, wobei Ruß 
land immer weiter rüstete. Rußland verlangte von Öster 
reich gewisse Garantien für den Fall, daß Serbien ge 
schlagen werden würde. Diese Garantien sollten nicht 
nur den Besitzstand Serbiens sicherstellen, sondern Ruß 
land verlangte auch, daß Österreich auf gewisse in 
seinem Ultimatum aufgestellte Forderungen, die Rußlands 
Ansicht nach gleichbedeutend mit der Ausübung eines 
Protektorates über Serbien seien, verzichte. 
Am Vormittag des 31. Juli beschloß der deutsche 
Bundesrat bereits ein Getreideausfuhrverbot. Das Wolff- 
sche Telegraphenbüro hatte wenige Stunden vorher 
die Nachricht verbreitet: „Die Meldungen auswärtiger 
Blätter, daß morgen in Deutschland die Mobilmachung 
erfolgen werde, sowie daß Prinz Heinrich nach Peters 
burg reisen werde, sind, wie wir erfahren, vollkommen un 
zutreffend." 
Doch lagen am Morgen des 31. Juli in Berlin an amt 
licher Stelle Nachrichten vor, die deutlich erwiesen, daß die 
russischen Versicherungen, das Zarenreich rüste nur gegen 
Österreich-Ungarn und nicht gegen Deutschland, mit den 
wirklichen Vorgängen nicht übereinstimmten. Es ging 
aus diesen Nachrichten hervor, daß Rußland an der deutschen 
Grenze sehr umfassende Kriegsvorkehrungen treffe und 
daß diese Vorkehrungen schon ziemlich weit gediehen seien. 
Unter diesen Umständen wurden mittags die leitenden 
Persönlichkeiten der Armee und der Flotte sowie des Aus 
wärtigen Amtes zu einer Beratung im Reichskanzlerpalast 
zusammenberufen. Diese Konferenz währte bis ein Uhr, 
und es herrschte in ihr naturgemäß eine überaus ernste 
Stimmung. Vor dem Reichskanzlergebäude hatte sich, durch 
die vorfahrenden Automobile und Wagen aufmerksam 
gemacht, eine große Menschenmenge eingefunden, die mit 
Spannung zu den Fenstern emporblickte, hinter denen, wie 
sie nicht mit Unrecht vermutete, entscheidende Beschlüsse 
gefaßt wurden. Unmittelbar nach Schluß der Beratung 
wurde schon durch Extrablätter die Mitteilung verbreitet, 
daß auf Grund des Artikels 68 der Verfassung der Kriegs 
zustand in Deutschland erklärt worden sei, was indessen noch 
nicht einer Mobilmachung gleichkomme. Der Kaiser ver 
legte nunmehr seine Residenz von Potsdam nach Berlin 
(siehe auch S. 12). Etwas später teilte das offiziöse Wolffsche 
Büro den Beschluß in folgender Form mit: „Aus Peters 
burg ist heute die Nachricht des deutschen Botschafters ein 
getroffen, daß die allgemeine Mobilmachung der russischen
	        
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