Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
daß Österreich seine Verbalnote zurücknimmt. Der Deutsche 
Kaiser weiß, daß Rußland nicht gleichgültig bleiben kann, 
sondern gezwungen ist, Serbien mit dem vollen Ge 
wicht seiner Militärmacht zu unterstützen. Der öster 
reichische Aberfall Serbiens heißt Krieg mit Rußland. Ein 
österreichisch-russischer Krieg ruft die Mitwirkung Deutschlands 
hervor. Ein russisch-deutscher Zusammenstoß zieht Frank 
reich mit hinein, vielleicht auch England. Die moralische 
Verantwortung für den drohenden Zusammenbruch der 
europäischen Zivilisation fällt Deutschland und seinem 
Führer zu." In einem zweiten Artikel schreibt die „Nowoje 
Wremja": „Ein friedlicher Ausgang ist nur möglich, wenn 
Deutschland fest entschlossen ist, jetzt einen Krieg gegen 
Frankreich und Rußland nicht zu führen. Rußland bleibt 
ruhig, kennt aber seine historische Pflicht und ist bereit, die 
entschlossensten Schritte zu tun."^ 
Trotz dieser unzweideutigen Stellungnahme Rußlands 
schlug am 27. Juli Sir Edward Grey im englischen Unter 
hause Friedenstöne an. Diese Sitzung des englischen Unter 
hauses ist um so bemerkenswerter, als sie in schroffem Wider 
spruch zu dem späteren Verhalten Englands steht. Das 
englische Unterhaus war an dem genannten Tage nach 
mittags unter Anzeichen großer Erregung zusammengetreten, 
weil die europäische Krisis und die innerpolitischen Ver 
hältnisse die Mitglieder des Hauses mit größter Besorgnis 
erfüllten. Bonar Law stellte Fragen betreffend die euro 
päische Lage. 
Sir Edward Grey gab darauf folgende Erklärung ab: 
„Ich glaube dem Hause ausführlich die Stellung, die die britische 
Regierung bis jetzt eingenommen hat, darlegen zu müssen. Letzten 
Freitag morgen erhielt ich vom österreichisch-ungarischen Botschafter 
den Tert der Mitteilungen der österreichisch-ungarischen Regierung 
an die Mächte, die in der Presse auch erschienen und die die Forde 
rungen Österreich-Ungarns an Serbien enthalten. Nachmittags 
sah ich die übrigen Botschafter und drückte ihnen gegenüber die 
Ansicht aus, daß wir, solange der Streit auf Österreich-Ungarn und 
Serbien beschränkt bleibt, kein Recht hätten, uns einzumischen; 
wenn aber die Beziehungen zwischen England, Deutschland, Frank 
reich und Rußland bedrohlich würden, sei es eine Sache des euro 
päischen Friedens und gehe uns alle an. Ich wußte in jenem Augen 
blick nicht, welchen Standpunkt die russische Regierung eingenommen 
hatte, und ich konnte deswegen keine unmittelbaren Vorschläge 
machen; aber ich sagte: Wenn die Beziehungen zwischen Österreich- 
Ungarn und Rußland einen bedrohlichen Charakter annehmen, so 
scheine mir die einzige Möglichkeit für den Frieden darin zu bestehen, 
daß die vier an der serbischen Frage nicht unmittelbar interessierten 
Mächte — nämlich Deutschland, Frankreich, Italien und Groß 
britannien — in Petersburg und Wien gleichzeitig und zusammen 
dahin wirken sollten, daß Österreich-Ungarn und Rußland die mili 
tärischen Operationen einstellen möchten, während sich die vier 
Mächte bemühen würden, eine Beilegung des Konfliktes zu er 
zielen. Nachdem ich gehört hatte, daß Österreich-Ungarn die Be 
ziehungen zu Serbien abgebrochen hatte, machte ich folgenden 
Vorschlag: 
Ich wies gestern nachmittag die britischen Botschafter in Paris, 
Berlin und Rom telegraphisch an, bei den Regierungen, bei denen 
sie beglaubigt sind, anzufragen, ob diese gewillt seien, ein Einver 
nehmen dahin zu treffen, daß der französische, deutsche und italienische 
Botschafter in London mit mir zu einer Konferenz in London 
zusammentreten, um sich zu bemühen, Mittel zu einer Beilegung 
der gegenwärtigen Schwierigkeiten zu finden. Gleichzeitig beauf 
tragte ich unsere Vertreter, jene Regierungen zu ersuchen, ihre 
Vertreter in Wien, Petersburg und Belgrad zu ermächtigen, die 
dortigen Regierungen von der vorgeschlagenen Konferenz zu unter 
richten und zu ersuchen, alle aktiven militärischen Maßnahmen 
bis zur Beendigung der Konferenz einzustellen. Darauf habe ich 
noch nicht alle Antworten erhalten. 
Bei diesem Vorschlage ist natürlich ein Zusammengehen der vier 
Mächte das Wesentliche. In einer so schweren Krisis, wie diese, 
würden die Bemühungen einer einzelnen Mächt, den Frieden zu 
erhalten, unwirksam sein. Die in dieser Angelegenheit zur Verfügung 
stehende Zeit war so kurz, daß ich die Gefahr auf mich nehmen 
mußte, einen Vorschlag zu machen, ohne die üblichen vorbereiten 
den Schritte zu unternehmen, um mich zu versichern, ob er gut 
aufgenommen werden würde. Aber wo die Dinge so ernst sind, 
wo die Zeit so kurz ist, läßt sich die Gefahr, etwas Unwillkommenes 
vorzuschlagen, nicht vermeiden. Ich bin trotzdem der Ansicht, daß, 
angenommen, daß der in der Presse erschienene Text der serbischen 
Antwort richtig ist, wie ich es glaube, dieser Vorschlag wenigstens 
eine Grundlage bieten sollte, auf der eine freundschaftliche und un 
parteiische Gruppe von Mächten, unter denen sich Mächte befinden, 
die bei Österreich-Ungarn und bei Rußland gleiches Vertrauen 
genießen, imstande fein sollte, eine Lösung zu finden, die im 
allgemeinen annehmbar sein würde." 
Grey schloß: „Es muß jedem, der nachdenkt, klar sein, daß in 
dem Augenblick, wo der Streit aufhört, ein Streit zwischen Österreich- 
Ungarn und Serbien zu sein, und ein Streit wird, in den eine andere 
Großmacht verwickelt wird, dies mit einer der größten Katastrophen 
enden kann, die jemals das Festland Europas heimgesucht haben. 
Niemand kann sagen, was das Ende der ausgebrochenen Streitigkeiten 
sein wird, und ihre mittelbaren und unmittelbaren Folgen werden 
unberechenbar sein." 
Nach der Erklärung Ereys fragte Harry Lawson, ob 
es wahr sei, daß der Deutsche Kaiser heute morgen das 
Prinzip einer Vermittlung, das Grey vorgeschlagen habe, 
angenommen habe. Grey erwiderte, er sei überzeugt, daß 
die deutsche Regierung dem Vermittlungsgedanken grund 
sätzlich günstig sei, aber auf den besonderen Vorschlag, daß 
man zu einer' Vermittlung durch eine Konferenz kommen 
möge, habe er noch keine Antwort von der deutschen Re 
gierung erhalten. 
Diese Friedenskomödie, denn etwas anderes war es nicht, 
erhält die richtige Beleuchtung durch die nachstehend wieder- 
gege.benen Depeschen, die erst einige Wochen nach der Mobil 
machung bekannt geworden sind. 
Telegramm des Prinzen Heinrich von Preußen an den 
König von England vom 30. Juli 1914: 
„Bin seit gestern hier. Habe das, was Du mir so freundlich im 
Buckinghampalast am vorigen Sonntag gesagt hast, Wilhelm mit 
geteilt, der Deine Botschaft dankbar entgegennahm. Wilhelm, 
der sehr besorgt ist, tut sein Äußerstes, um der Bitte Nikolaus* nach 
zukommen, für die Erhaltung des Friedens zu arbeiten. Er steht in 
dauerndem telegraphischen Verkehr mit Nikolaus, der heute die 
Nachricht bestätigte, daß er militärische Maßnahmen angeordnet 
habe, welche einer Mobilmachung gleichkommen, und daß diese 
Maßnahmen schon vor fünf Tagen getroffen wurden. Außerdem 
erhalten wir Nachrichten, daß Frankreich militärische Vorbereitungen 
trifft, während wir keinerlei Maßnahmen verfügt haben, wozu 
wir indessen jeden Augenblick gezwungen sein können, wenn unsere 
Nachbarn damit fortfahren. Das würde dann einen europäischen 
Krieg bedeuten. Wenn Du wirklich und aufrichtig wünschest, dieses 
furchtbare Unglück zu verhindern, darf ich Dir dann vorschlagen, 
Deinen Einfluß aus Frankreich und auch auf Rußland dahin aus 
zuüben, daß sie neutral bleiben? Das würde meiner Ansicht nach 
von größtem Nutzen sein. Ich halte dies für eine sichere und vielleicht 
die einzige Möglichkeit, den Frieden zu wahren. Ich möchte hinzu 
fügen, daß jetzt mehr denn je Deutschland und England sich gegen 
seitig unterstützen sollten, um ein furchtbares Unheil zu verhindern, 
das sonst unabwendbar wäre. Glaube mir, daß Wilhelm in seinen 
Bestrebungen um die Aufrechterhaltung des Friedens von größter 
Aufrichtigkeit ist, aber die militärischen Vorbereitungen seiner 
beiden Nachbarn können ihn schließlich zwingen, für die Sicherheit 
seines eigenen Landes, das sonst wehrlos bleiben würde, ihrem 
Beispiele zu folgen. Ich habe Wilhelm von meinem Telegramm 
an Dich unterrichtet, und ich hoffe, daß Du meine Mitteilungen in 
demselben freundschaftlichen Geiste entgegennimmst, der sie ver 
anlaßt hat. Heinrich." 
Telegramm des Königs von England an dey Prinzen 
Heinrich von Preußen vom 30. Juli 1914: 
„Dank für Dein Telegramm. Sehr erfreut, von Wilhelms 
Bemühungen zu hören, mit Nikolaus sich für die Erhaltung des 
Friedens zu einigen. Ich habe den ernsten Wunsch, daß ein solches 
Unglück wie ein europäischer Krieg, das gar nicht wieder gutzu 
machen ist, verhindert werden möge. Meine Regierung tut ihr 
möglichstes, um Rußland und Frankreich nahezulegen, weitere 
militärische Vorbereitungen aufzuschieben, falls Österreich sich mit 
der Besetzung von Belgrad und benachbarten serbischen Gebietes 
als Pfand für eine befriedigende Regelung seiner Forderungen 
zufriedengibt, während gleichzeitig die anderen Länder ihre Kriegs 
vorbereitungen einstellen. Ich vertraue darauf, daß Wilhelm seinen 
großen Einfluß anwendet, um Österreich zur Annahme dieses Vor 
schlages zu bewegen. Dadurch würde er beweisen, daß Deutschland 
und England zusammenarbeiten, um zu verhindern, was eine 
internationale Katastrophe sein würde. Bitte, versichere Wilhelm, 
daß ich alles tue und auch weiter alles tun werde, was in meiner 
Macht liegt, um den europäischen Frieden zu erhalten. Georg." 
Telegramm S. M. des Kaisers an den König von Eng 
land vom 31. Juli 1914: 
„Vielen Dank für Deine freundliche Mitteilung. Deine Vor 
schläge decken sich mit meinen Ideen und mit den Mitteilungen, 
die ich heute nacht von Wien erhielt und die ich nach London weiter 
gegeben habe. Ich habe gerade vom Kanzler die Mitteilung erhalten, 
daß ihm soeben die Nachricht zugegangen ist, daß Nikolaus heute 
nacht die Mobilisierung seiner gesamten Armee und Flotte ange 
ordnet hat. Er hat nicht einmal die Ergebnisse der Vermittlung 
abgewartet, an der ich arbeite, und mich ganz ohne Nachricht gelassen. 
Ich fahre nach Berlin, um die Sicherheit meiner östlichen Grenzen, 
wo schon starke russische Truppen Aufstellung genommen haben, 
sicherzustellen. Wilhelm." 
Telegramm des Königs von England an den Kaiser 
vom 1. August 1914:
	        
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