Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Welttrieges 1914/15, 
englisch-französische Flotte Österreich-Ungarn gegenüber das 
Bild großer Hilflosigkeit. 
* * 
Es ist selbstverständlich, datz, nachdem Lüttich und Namur 
gefallen und Brüssel im Besitz der Deutschen war, von 
einer belgischen Armee nur noch in Antwerpen die Rede 
sein konnte, wohin sich alle Truppen Zurückgezogen hatten. 
Das belgische Hauptquartier, das vorerst nach Mecheln ver 
legt worden war, schlug»seinen Sitz bereits vor dem Falle 
Namurs in Antwerpen auf. 
Während der ersten drei Kriegswochen wütete in Belgien 
ein schrecklicher Franktireurkrieg, an dem sich auch Frauen 
und Kinder in bestialischer Weise beteiligten. Die Einzel 
heiten dieses Krieges sind nichts als eine Kette von Greuel 
taten, die die Empörung eines jeden gesitteten Menschen 
erwecken mutzten (vgl. S. 40). Verderbliche Folgen hatte 
der Franktireurkrieg für die Stadt Löwen. Diese durch 
ihre Kunstschätze berühmte Stadt war bereits von deutschen 
Truppen besetzt, und zwar ohne jeden Kampf, da sie ja 
nicht befestigt ist. Bis zum 24. August herrschte,in der Stadt 
völlige Ruhe. Unsere Truppen waren einquartiert wie in 
Lüttich und Brüssel und in geordnetem Verkehr mit der 
Bürgerschaft. Am Dienstag, den 25. August, traf die 
Meldung über den Ausfall starker Kräfte aus Antwerpen ein. 
Darauf gingen die Truppen aus Löwen rasch nach 
Norden ab zur Zurückweisung des Ausfalls mit Ausnahme 
des Landsturmbataillons Neutz. das zum Bahnschutz und 
zur Sicherheit in Löwen verblieb. Plötzlich überschüttete 
die bis dahin friedliche Bevölkerung aus allen Fenstern, 
aus Kellern, von Dächern herab die in den Stratzen 
befindlichen ahnungslosen deutschen Wachen, Kolonnen und 
durchmarschierenden Truppen mit Gewehr- und Pistolen 
feuer. Es entwickelte sich sodann ein fürchterliches Hand 
gemenge, an dem die gesamte Zivilbevölkerung sich be 
teiligte. Unseren Soldaten gelang es in kürzester Zeit, der 
Rasenden Herr zu werden. Leider ist auch bei diesem 
hinterlistigen Überfall viel deutsches Blut geflossen. Das 
Gebot der Selbsterhaltung verlangte hier, datz die Stadt 
Löwen, die schwere Schuld auf sich geladen hatte, sofort 
und unnachsichtlich bestraft wurde. 
In den ersten Nachrichten von den Kämpfen in Löwen 
hietz es, datz die ganze Stadt von den Deutschen ver 
nichtet worden sei. Selbstverständlich bauschte die Presse 
unserer Gegner die Sache außerordentlich auf. Man hatte 
kein Wort der Verdammung für die Franktireure, wohl 
aber schien der Beweis erbracht, datz die Deutschen die 
schändlichsten Barbaren seien, wenn sie es über sich brachten, 
diese an Kunstschätzen so überreiche Stadt zu vernichten. 
Wie sehr die ersten Meldungen übertrieben hatten, zeigt 
der folgende Bericht eines Augenzeugen, des Direktors der 
Deutschen Bank Dr. Helfferich: 
„Zerschossen und niedergebrannt sind nur die östlichen 
Viertel, wo nach der friedlichen Übergabe der Stadt unsere 
Truppen in heimtückischer Weise planmäßig und anhaltend 
beschossen worden sind, vor allem die Stratzenzüge, die vom 
Bahnhof und aus der Richtung von Tirlemont nach dem 
Stadtinnern führen. Eine grausame Ironie des Schicksals 
will, datz die Straße von Tirlemont nach dem Stadt 
innern den Namen ,Rue des Joyeuses Entrees' (, Straße 
des fröhlichen Einzuges') führt, wie noch auf den weiß- 
blauen Straßenschildern zu lesen ist. Alle Häuser in dieser 
Straße sind mit Kugelspuren dicht übersät, ein Beweis, 
wie jedes einzelne Stratzenviertel erstürmt werden mutzte. 
Dagegen sind die ganze südliche Hälfte der Stadt und auch 
ein Teil des Westens so gut wie unversehrt geblieben. 
Zahlreiche Häuser tragen hier Inschriften wie: ,Hier wohnen 
gute Leute, bitte schonen'. Das Rathaus, die Perle Löwens 
(siehe Seite 101), ist völlig erhalten. Es ist durch unsere 
Truppen gerettet worden. Offiziere, die an den Stratzen- 
kämpfen beteiligt waren, erzählen, datz unsere Leute die 
Dampfspritze hervorholten, um den Brand der dem Rathaus 
benachbarten Häuser zu löschen und so dieses architektonische 
Kleinod vor dem Untergang zu bewahren. Sie führten 
das Rettungswerk durch, obwohl sie bei der Löscharbeit 
fortgesetzt von den Löwener Bürgern weiter beschossen 
wurden. Leider gelang es nicht, die wertvolle Universitäts 
bibliothek zu retten. Von der Kathedrale ist der Turm ein 
gestürzt; das Schiff ist gerettet." 
Auch der Sonderberichterstatterder „Frankfurter Zeitung" 
meldete, datz die Stadt Löwen zu vier Fünfteln unversehrt sei 
und die Zahl der zerstörten Häuser 150 schwerlich übersteige. 
Es kann nach alle dem nicht zweifelhaft sein, datz auch 
hier das deutsche Vorgehen lediglich ein Ausfluß bitterster 
Notwehr gewesen.ist. Mit der Bestrafung Löwens war dem 
Franktireurkrieg in Belgien, von vereinzelten Fällen ab 
gesehen, endlich ein Ziel gesetzt, da er nun nicht mehr, 
wie es früher zweifellos geschehen war, von der belgischen 
Regierung unterstützt wurde. 
Deutscherseits ging man jetzt daran, Belgien, soweit es 
von uns besetzt war, unter deutsche Verwaltung zu stellen. 
Schon am 1. September konnte die Zusammensetzung des 
Verwaltungskörpers bekanntgegeben werden. 
Deutschland hatte sich also, trotz Antwerpen, in Belgien 
häuslich niedergelassen. Dies konnte um so eher geschehen, 
als von Frankreich aus ein ernstlicher Vorstoß kaum mehr zu 
fürchten war. Schon am 28. August hatte der Brüsseler 
Bürgermeister dem deutschen Kommandanten in Brüssel 
mitgeteilt, datz die französische Regierung der belgischen 
die Unmöglichkeit eröffnet habe, sie irgendwie tat 
kräftig zu unterstützen, da sie selbst vollständig in die Ver 
teidigung gedrängt sei. Generalgouverneur v. d. Goltz führte 
die Verwaltung ganz nach deutschem Muster. Eine seiner 
Anordnungen, obwohl an sich weniger belangreich, 
wurde von den Deutschen in Belgien, der be 
gleitenden Umstände wegen, mit besonderem Bei 
fall aufgenommen. Die belgischen Uhren wurden 
eine Stunde zurück, also auf deutsche Zeit ge 
stellt, und als sich einige Bürger Brüssels darüber 
beschwerten, erhielten sie zur Äntwort, Deutschland 
müsse doch eine einheitliche Zeit haben. Schließlich 
gab man in Brüssel zu, datz im deutschen Heere 
glänzende Manneszucht herrsche. Alle Zahlungen 
erfolgten in Gold oder in Anweisungen auf die 
Deutsche Reichsbank. — 
Als die wichtigste militärische Aufgabe der 
Deutschen in Belgien galt nunmehr die Erobe 
rung Antwerpens, und es wurden alle Vorberei 
tungen getroffen, um dieses Bollwerk Belgiens 
zu Falle zu bringen. Schon Ende August und 
Anfang September flüchteten große Scharen der 
Zivilbevölkerung aus Antwerpen. Wie nötig es 
war, sich Antwerpens zu bemächtigen, dessen Be 
sitz nach einem Wort Napoleons I. die Pistole 
auf der Brust Englands bedeutet, bewies unter 
anderem der oben erwähnte Ausfall gegen Löwen. 
Der Belagerung der Stadt ging aber noch eine 
Reihe anderer kriegerischer Maßnahmen vorher. So 
meldete das offiziöse französische Depeschenbüro: 
„Am 28. August abends 11 Uhr beschoß die 
deutsche Artillerie während 40 Minuten Mecheln. 
Die Mehrzahl der öffentlichen Gebäude wurde be- 
Feldtelephon im Schützengraben. Venmnghoven, Berlin.
	        
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