Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

354 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
ungemeinen Einfluß das Verhalten des Führers in einem 
solchen Augenblick auf die Truppe hat, wird mir klar, wenn 
ich daran zurückdenke, wie sich die Soldaten, ich mitten unter 
ihnen, blindlings an den nächsten Offizier anschlossen, die 
Augen starr nach vorn gerichtet, in allem seinem Beispiel 
folgend. Ich muß sagen, daß unsere Verluste auch jetzt 
nicht so groß waren, wie die Übermacht des gegen uns los 
gelassenen Granatfeuers vielleicht hätte erwarten lassen. 
Erst als mit sausendem Pfeifen die tückischen Schrapnelle 
herangeflogen kamen, gab es der Toten und Verletzten nach 
manchem Schuß eine erschreckliche Anzahl. Kam so ein 
Geschoß mit dem charakteristischen Ton heran, so nahm 
ein jeder möglichst Deckung, ich nicht minder, ohne Rück 
sicht auf die scharfen Stoppeln, die mich jämmerlich zer 
kratzten. Ob unsere eigene Artillerie unser Vordringen 
unterstützte, bemerkte ich nicht; später sah ich allerdings 
ihre treffliche Arbeit. Meine Nachbarn hatte ich schon 
längst gewechselt, jetzt lagen rote und grüne Aufschläge 
n^ben mir, als es endlich zum Sturm ging. Bei dem rasenden 
Wettlauf gegen die feindliche Stellung blieb ich gegen meine 
langbeinigen Kampfgenossen im Nachteil, und als ich auf dre 
russische Brustwehr hinaufstieg, war die Arbeit schon getan. 
Ein rasendes Feuer knatterte hinter den Zurückgehenden 
her. Mit diesem Erfolg war unsere Aufgabe aber gelöst. 
Das feindliche Artilleriefeuer verzog sich langsam und 
uns blieb es überlassen, unser Mittagsmahl, durch die russische 
Brustwehr gedeckt, zu halten. Unsre Stimmung war dabei 
vorzüglich. Ich konnte nachher auch den Bau der Deckungen 
untersuchen. Da sah ich, daß die Brustwehren aus einer 
Art Lehmbrei, untermischt mit kurzgeschnittenem Stroh, 
zusammengeklebt waren. Die Masse, einmal hart, ist 
für Jnfanteriegeschosse undurchdringlich. Unsere Granaten 
aber hatten sich die Russen herausgeholt. Wo ich einen 
der bekannten, von den Hohlgeschossen gerissenen Krater 
im Boden sah, lagen sie manchmal zu dreien und vieren 
in weitem Umkreis, wie sie die Macht der Erplosion 
aus der Deckung herausgeschleudert hatte. Unsere Sanität 
soldaten waren mittlerweile herangekommen und hatten 
ihr Werk aufgenommen. In dieser verhältnismäßig be 
quemen Stellung blieben wir bis vier oder fünf Uhr nach 
mittags, wobei wir nur zweimal den Besuch von kleineren 
Kosakenabteilungen erhielten. 
Endlich hieß es: ,Zurück'! Wir legten die heute vor 
mittag durchmessene Strecke nunmehr viel rascher zurück 
und hatten bald das bereits erwähnte Stoppelfeld erreicht. 
Von hier ging es mehr in südlicher Richtung weiter. Der 
Feind, der das Verlassen unserer Stellungen wohl bemerkt 
hatte, drängte auf einmal kräftig nach, und wir bezogen, 
gedeckt von zwei Maschinengewehren, eine. Abwehrstellung 
auf der Krone des gestern überschrittenen Bahndammes. 
Eben hatte ich mich einigermaßen an das ganz unglaublich 
nervenerregende Feuer der beiden Gewehre zu gewöhnen 
begonnen, als sie mangels Kühlwasser und Munition ihre 
Arbeit einstellten. Also ^Abmontieren und unter Teil 
bedeckung zurück!' Als wir eben eine breite, sumpfige 
Stelle überwunden hatten, ereilte mich ein niedrig gehendes 
Schrapnell in Gestalt zweier tiefer Streifschüsse am Ober 
arm. Die Wunde, die stark blutete, wurde mir sofort von 
Kameraden verbunden, und nach glücklichem Eintreffen im 
Feldspital war ich einer der ersten, die über Budapest die 
Reise nach der Heimat zur Ausheilung antreten konnten." 
(Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte 
Unser Seesieg bei Coronet. 
(Hierzu die- Kunstbeilage sowie das Bild und die Karte Seite 355.) 
In der richtigen Annahme, daß die Engländer nach den 
für ihren Handel und ihr Ansehen so verderblichen Fahrten 
unserer kleinen Kreuzer starke Kräfte aufbieten würden, um 
alle die hohe See noch haltenden deutschen Schiffe unschäd 
lich zu machen, hatte der Chef des Kreuzergeschwaders, Vize 
admiral Graf v. Spee (siehe das Bild Seite 356), die Ver 
einigung seiner Schiffe mit den an der Westküste Südamerikas 
befindlichen angestrebt, um diese zu decken und mit größerer 
Macht dem auf der Lauer liegenden Gegner die Spitze bieten 
zu können. Nach glänzender Durchführung dieses Sammelns 
sichtete das aus den großen (Panzer-) Kreuzern „Scharnhorst" 
und „Gneisenau", sowie den kleinen Kreuzern „Nürnberg", 
„Dresden" und „Leipzig" bestehende deutsche Geschwader 
am Sonntag, den 1. November, abends sechs Uhr bei Nord- 
sturm und hoher See nahe der Insel Santa Maria, 60 Kilo 
meter vom chilenischen Hafen Coronel entfernt, die in Kiel 
linie fahrenden englischen Panzerkreuzer „Good Hope" 
und „Monmouth", den kleinen Kreuzer „Glasgow" sowie 
den Hilfskreuzer „Otranto", unter dem Befehl des Admirals 
Craddock. Wie mögen die Unseren da gejubelt haben! Bot 
sich ihnen doch zum erstenmal die Gelegenheit, sich in einem 
größeren Verbände mit Schiffen der größten Flotte der 
Welt in offener Seeschlacht zu messen! 
Auf deutscher Seite bestand nur auf große Entfernung 
eine beträchtliche Feuerüberlegenheit, da jedes der Schwester- 
schiffe „Scharnhorst" und „Gneisenau" acht 21-oin-Eeschütze 
führt, denen zwei 23,4-om der „Good Hope" gegenüber 
standen. Dagegen hatten die Engländer mit sechzehn 15-oin- 
Geschützen der „Good Hope", vierzehn 15-om des „Mon 
mouth" und zwei 15-om der „Glasgow" — die Bestückung 
des „Otranto" ist unbekannt— gegenüber den je sechs 
gleichkalibrigen Geschützen der beiden deutschen Panzer 
kreuzer eine weit stärkere Mittelartillerie. Die zahlreicheren 
10,5-om-Eeschütze unserer kleinen Kreuzer (32 gegen 16) 
kamen für den Hauptkampf nicht in Betracht, da sie auf 
die eingehaltene Gefechtsentfernung gegen Panzerziele 
keine Wirkung ausüben können. 
Der deutsche Admiral wählte.sehr geschickt die Westseite, 
bei der seine Geschütze die Sonne im Rücken hatten, und 
eröffnete schon auf 9000 Meter das Feuer, dieses auf den 
stärksten der Gegner, das Flaggschiff „Good Hope", ver 
einigend, das schon nach kurzer Zeit kampfunfähig war und 
sank. Nun ereilte den „Monmouth" ein gleiches Geschick! 
Er» dessen Geschütze erst bei 6000 Meter gegen leichte Panzer- 
ziele wirken konnten, war bald derart zerschossen, daß das 
Wasser in Strömen eindrang und die See ihn verschlang. 
Die „Glasgow" und der „Otranto" sind, dank ihrer 
überlegenen Geschwindigkeit, entkommen. Ersterem Schiff 
gelang es, mit fünf Schußlöchern den Hafen von Rio de 
Janeiro zu erreichen, während über den Verbleib des 
„Otranto" nichts bekannt wurde. Vielleicht ist auch er 
fchwer beschädigt untergegangen. 
Im Verlauf einer Stunde war alles vorüber! Das 
englische Geschwader bestand nicht mehr, während die 
deutschen Schiffe nur unbedeutende Beschädigungen und 
geringe Mannschaftsverluste erlitten hatten. 
Die russischen Festungen. 
Von Rittmeister a. D. Eroßmann. 
(Hierzu der Plan von Warschau Seite 352.) 
Das einheitlich angelegte, ziemlich ausgedehnte Be 
festigungsnetz Rußlands schließt sich, der Topographie 
Polens folgend, an das Flußnetz an und zeigt, wie das 
Stromgebiet, drei verschiedene Gruppen. 
1. Die Linie des Njemen. Sie verläuft ziemlich parallel 
der Ostgrenze von Ostpreußen, von Norden nach Süden, 
60 Kilometer östlich der ersteren, dem Flußlauf folgend; 
der nördlichste Stützpunkt ist die Festung erster Klasse 
Kowno, an der Einmündung der Wilja (siehe die Karte 
Seite 16). Für diese ziemlich modern ausgebaute Strom- 
festung sind wohl von vornherein besondere Besatzungs 
truppen ausgeschieden worden. Südlich anschließend decken 
zwei Brückenköpfe den Stromübergang: Olita, das die Eisen 
bahnbrücke nach dem von uns besetzten Suwalki deckt, und 
Merec, ohne besondere Bedeutung. Den Südpfeiler dieser 
Front bildet das ziemlich starke Grodno, das im Frieden 
schon ein großes Heerlager ist. Es deckt, hart am Flusse 
gelegen, die zwei wichtigen Bahnübergänge Petersburg- 
Warschau und Grodno—Suwalki—Olita. Letztere Bahnlinie 
ist in Form eines Kreises angelegt, dessen äußerster westlicher 
Punkt in Suwalki liegt; sie streift längs der Grenze entlang, 
ohne sie (echt russisch) an irgendeinem Punkte zu berühren. 
Westlich anschließend, und ziemlich parallel laufend mit 
der Südgrenze, stoßen wir aus
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.