Illustrierte Geschichte des Weltkrieges . 1914.
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Maßnahmen zu verständigen. Die k. u. k. Regierung er
wartet die Antwort der königlichen Regierung spätestens
bis Sonnabend, 26. d. M., um sechs Uhr nachmittags."
Ein Memoire über das Ergebnis der Untersuchung von
Serajewo, soweit es sich auf die in Punkt 7 und 8 ge
nannten Funktionäre bezieht, war dieser Note beigeschlossen.
Der österreichisch-ungarische Gesandte Baron Giesl war
von seiner Regierung zugleich beauftragt worden, die ser
bische Regierung davon zu verständigen, daß Österreich-
Ungarn sofort den Krieg erklären werde, wenn Serbien nicht
innerhalb der gestellten achtundvierzigstündigen Frist den
Forderungen Österreich-Ungarns nachkomme. Es kann nicht
wundernehmen, daß eine derartige Sprache das größte Auf
sehen in der ganzen Welt erregte. So zum Beispiel schrieb
die „Kölnische Zeitung", die vom Auswärtigen Amte in
spiriert ist:
„Die österreichische Note stellt eine Anklagerede von
einer Wucht und einem Ernst dar, wie sie zwischen Staat
und Staat in der neuesten Geschichte nicht mehr gehört
wurde. Die Befristung verstärkt den Zug unbedingter
Entschlossenheit. Mit Erstaunen wird Europa aus den
Einzelheiten der Note entnehmen, bis wohin die Fäden
der Verschwörung reichten, deren Ergebnis der Mord in
Serajewo ist. Man sieht in den Abgrund politischer Ent
artung und Unkultur, wenn man liest, wie das verbrecherische
Treiben wahnwitziger Mörder unterstützt und gefördert
wurde. Dies gibt der Angelegenheit eine allgemein euro
päische Bedeutung. Angesichts des bedeutsamen Noten
inhalts wird ^ wohl. niemand in Europa zweifelhaft sein,
daß es das Friedensinteresse erfordert, daß durch die Sprache
der europäischen Presse in Belgrad der Eindruck vertieft
werde, Serbien müsse solchen gerechten Forderungen nach
geben, um einen Konflikt zu vermeiden. Aus den Tat
sachen der Note ergibt sich, daß die politische Vernunft und
die elementarste Gerechtigkeit es gebieten, in die Ausein
andersetzung nicht einzugreifen und den möglichen Zu
sammenstoß örtlich begrenzt zu halten. Für alle europäischen
Zuschauer der Auseinandersetzung erfordert die Rücksicht
des europäischen Friedens, demjenigen, der in dem
Streit so schwer unrecht hat, nicht den Rücken zu stärken,
sondern ihn mit Entgegenkommen zu mahnen, damit der
Streit Sache der österreichisch-serbischen Beziehungen bleibe.
Vom europäischen Standpunkte aus ist es wünschenswert,
daß, nachdem Serbien die nötige Genugtuung gegeben
hat, die Beziehungen sich doch wieder normal und ersprieß
lich gestalten."
In Osterrerch selbst fand das Ultimatum zunächst keine
ungeteilt günstige Aufnahme. Glaubten die grundsätzlichen
Gegner der Regierung doch wieder einen Anlaß zu haben,
um gegen den Krieg zu protestieren. Aber als sie merkten, daß
es galt, die höchsten Errungenschaften der Kultur gegen
russische Willkür zu verteidigen, standen sie ebenso treu zu
ihrem Herrscher wie die Regierungspartei. In Ungarn da
gegenfand der österreichische Schritt sofort begeisterte Zustim
mung. Hier hatte die Regierung des Ministerpräsidenten
Graf Tisza seit Monaten in heftigstem Kampfe mit der
von Graf Andrassy geführten Gegenpartei gelegen. Bis zu
Tätlichkeiten und persönlichen Angriffen war die Gegner
schaft ausgeartet, wie sie in der Geschichte des Parlamen
tarismus einzig dastehen. Aber die gemeinsame Not des
Vaterlandes hat die Gegensätze, wenn auch nicht vergessen,
so doch schweigen gemacht. Andrassy stellte sich an Tiszas
Seite, um gemeinsam mit ihm als ein leuchtendes Beispiel
für das ganze Ungarland die schweren Tage durchzukämpfen.
Bei Beginn der Sitzung des ungarischen Abgeordneten
hauses am 24. Juli sagte der Ministerpräsident: „Der
Schritt Österreich-Ungarns bedarf keiner Rechtfertigung.
Es müßte vielmehr erklärt werden, warum der Schritt
erst jetzt erfolgte. Wir wollten abwarten, bis die Unter
suchung in Serajewo über gewisse Umstände vollständige
Klarheit schafft. Auch wollten wir den Anschein vermeiden,
als ob die Leidenschaft oder berechtigte Entrüstung uns
geleitet habe. Der Schritt ist vielmehr nach reiflicher
Überlegung unternommen worden. Der Schritt ist keines
wegs aggressiv, noch bedeutet er eine Herausforderung, da
wir in der Note nichts anderes fordern als das, was Serbien
aus natürlicher nachbarlicher Pflicht gewähren muß. Nie
mand kann uns vorwerfen, daß wir den Krieg suchen.
Wir gingen vielmehr bis zur äußersten Geduldgrenze.
In der Überzeugung, daß der Schritt durch die Lebens-
Interessen der Monarchie und der Nation gefordert wurde,
werden wir die gesamten Folgen tragen."
* *
Hatten die österreichischen Schritte in der ganzen
Welt das größte Aufsehen erregt, so sah man den Folgen
des Ultimatums doch mit Ruhe entgegen. In Serbien
war man gedrückter Stimmung und schon zum Nach
geben bereit —da trat der Zar, der sich zum Beschützer der
Südslawen berufen fühlt, auf den Plan. Schon am
24. Juli wurde aus Petersburg gemeldet, daß der an
diesem Tage abgehaltene Ministerrat fast vier Stunden
gedauert habe, und man versicherte, daß Rußland unver
züglich eingreifen und von Österreich-Ungarn verlangen
werde, die Frist des Ultimatums hinauszuschieben, um der
europäischen Diplomatie Zeit zu geben, ihren Einfluß
geltend zu machen. Das amtliche Organ der russischen
Regierung schrieb: „Die Kaiserliche Regierung, lebhaft
besorgt durch die überraschenden Ereignisse und durch das
an Serbien durch Österreich-Ungarn gerichtete Ultimatum,
verfolgt mit Aufmerksamkeit die Entwicklung des öster
reichisch-serbischen Konfliktes, in dem Rußland nicht gleich
gültig bleiben kann." Am 26. Juli mittags erschien der russische
Botschafter Prinz Kudaschew in Wien im Ministerium des
Auswärtigen und überreichte das Ersuchen Rußlands, die
an die serbische Regierung gestellte Frist zu verlängern.
Das Ersuchen wurde in höflicher, aber entschiedener Weise
abgelehnt. Überdies verbreitete die österreichische Regie
rung noch die Nachricht, daß sie jede fremde Einmischung
ablehne und ihren eigenen Weg gehen wolle.
Daß dieser Weg auch zum Kriege führen könne, war
nach Lage der Verhältnisse jedem klar. Im Laufe des
26. Juli wurden bereits an acht Armeekorps die Mobili
sierungsbefehle abgesandt, so daß die Monarchie schon in
den nächsten Tagen über acht mobilisierte Armeekorps ver
fügte. Auch bei der Marine erfolgte sofort die Einberufung.
In Wien waren umfassende Maßnahmen zu beobachten.
Militärpatrouillen zogen durch die Stadt und wurden von
der Bevölkerung lebhaft begrüßt. Die Donaubrücken standen
unter militärischem Schutz, und alle Eisenbahnbrücken
wurden von Soldaten bewacht. Alle österreichischen und
ungarischen Familien verließen eiligst die serbische Haupt
stadt. In Serbien wurde ebenfalls schon am 26. Juli eine
Teilmobilisierung begonnen und zwei Divisionen sogleich
auf Kriegszustand gesetzt.
Die Entscheidungsstunde nahte heran. Mit Spannung
erwartete die ganze Welt, was nun folgen werde. Auch
in Deutschland war bereits in jede Brust die Ahnung ein
gezogen, daß die Entscheidung in Belgrad zugleich die Ent
scheidung über Krieg und Frieden in Deutschland sei. End
lich in den späten Abendstunden des verhängnisvollen
Tages erhoben sich in allen Großstädten der Kulturwelt die
Stimmen der Straßenverkäufer, die ihre Extrablätter
ausriefen. Erregt griff alles danach: die Würfel waren
gefallen, wie sie fallen mußten. Die kurze amtliche Mit
teilung lautete:
„Wien, 26. Juli. Ministerpräsident Paschitsch erschien
wenige Minuten vor sechs Uhr in der k. u. k. Gesandtschaft
in Belgrad und erteilte eine ungenügende Antwort auf
die Note. Baron Giesl notifizierte ihm hierauf den Ab
bruch der diplomatischen Beziehungen und verließ mit
dem Eesandtschaftspersonal um sechs Uhr dreißig Minuten
Belgrad. Die serbische Regierung hatte schon früher, um
drei Uhr nachmittags, die Mobilmachung der gesamten
Armee angeordnet. Der Hof und die Regierung, sowie
die Truppen räumen Belgrad. Die Regierung soll nach
Krakujewacz verlegt werden."
Die Haltung der österreichischen Regierung fand nicht
nur in der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie,
sondern auch im Deutschen Reiche begeisterte Aufnahme.
Schon am 26. Juli vormittags bildeten sich vor dem Kriegs
ministerium in Wien wiederholt größere Menschenansamm
lungen. Als Erzherzog Friedrich, der Nachfolger des er
mordeten Thronfolgers im Oberkommando der Armee, das
Gebäude verließ, wurde er vom Publikum mit lebhaften
Hochrufen begrüßt. Am folgenden Tage erneuerten sich
die Kundgebungen der Bevölkerung. Bei strömendem
Regen sammelten sich Tausende vor dem Kriegsministerium.
Die Soldaten und Offiziere wurden mit begeisterten Zu
rufen begrüßt und die Truppen marschierten unter Voraus
tragung schwarzgelber Fahnen und unter dem Absingen