Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
anderen erregte. Die Ursache ist darin zu suchen, daß das 
viele Geld irn Lande ausgegeben wurde, also die eigene 
Wirtschaft befruchtete, und daß die kriegerischen Tugenden 
der Ordnung, der Beharrlichkeit, der Hingebung, der Kühn 
heit, der Abhärtung, und wie sie alle heißen, der Volkskraft 
auch im wirtschaftlichen Kampfe zugute kamen. Schließlich 
wirkt eine gute Kriegsrüstung den politischen Bränden gegen 
über, die von Zeit zu Zeit da und dort in der Welt aus 
zubrechen pflegen, wie in der Stadt das Bewußtsein, eine 
vorzügliche Feuerwehr zu besitzen. Ein blühender Handel 
verlangt aber vor allem: Sicherheitsgefühl. 
So kam es, daß die im Laufe der 43 Friedensjahre seit 
1871 angeblich dem „Moloch des kulturfeindlichen Militaris 
mus" geopferten Milliarden eine Saat waren, aus der 
neben einem starken Heer die anerkannt höchste Kultur 
dieser Erde emporsproß und außerdem, wie sich zeigte, 
auch eine ungeahnte Kraft der Finanzen. 
Die Erfolge der kriegerischen Rüstung stehen so vor 
aller Augen, daß sich ein Wort darüber erübrigt. Nur auf 
eines sei in dieser Richtung hingewiesen, das sich nach 
unserer Meinung von selbst versteht, aber bei unseren 
Gegnern durchaus nicht, daß nämlich die für das Heer 
bewilligten Gelder wirklich dorthin flössen, wohin sie ge 
hörten, und daß mit scharfem Auge über einer sprichwört 
lich gewordenen Sparsamkeit gewacht wurde. Vielleicht löst 
sich das Rätsel des für den Feind unerklärlichen deutschen 
Aufschwungs durch die einfache Formel: Pflege der Wahr 
heit und Unantastbarkeit. — 
Das Wirtschaftsleben eines Volkes fließt nicht gleich 
mäßig dahin, sondern auf die sieben fetten pflegen, wie vor 
alters, die sieben mageren Jahre zu folgen. Wir hatten 
1907 Ebbe, dazwischen Flut und jetzt wieder Ebbe. Dies 
kommt neben unserer besonders guten Ernte dieses Jahres 
als neues günstiges Moment hinzu, wenn wir aufzählen, 
aus welchen Gründen unsere Feinde nicht eben glücklich 
waren in der Wahl der Stunde, zu der sie die Brandfackel 
an unser Haus legten. Sie zündeten eben die Fabrik an 
zu einer Zeit, da das Geschäft ohnedies flau war. Hätten 
wir gerade mit llberschicht gearbeitet, wäre die Störung 
fühlbarer gewesen. Bei England kam zu seiner größeren 
Empfindlichkeit als Handelsstaat hinzu, daß seine Wirt 
schaft keine Ebbe hatte. So stieg der Zinsfuß dort sofort 
auf zehn Prozent, während man in Berlin mit sechs Prozent 
auskam. Eine Zeitlang waren sogar die Noten der Bank 
von England, die man früher bei unseren Eeldleuten nur 
„mit frommem Schauder" nannte, der sichersten Bank der 
Welt, ohne Zahlkraft! Wechsel der besten Häuser wurden 
wertlos. Drei Milliarden Forderungen schweben in London 
in der Luft. Man mußte, ebenso wie in Frankreich, Ruß 
land usw., gesetzlich einen Zahlungsaufschub, Moratorium 
genannt, bewirken. All dies gab es bei uns nicht, sondern 
es geht einfach seinen regelmäßigen Gang weiter. Und 
warum? Weil bei allem großartigen, beneideten Auf 
schwung unser Außenhandel doch nur etwa ein Viertel der 
Gesamtwirtschaft bedeutet, bei England aber mehr als drei 
Viertel. Wir haben genügend Fleisch und, wenn wir 
etwas mehr Schwarzbrot statt Weißbrot essen, auch genug 
Brot. Jedenfalls können wir das Notwendige von den 
neutralen Nachbarn beziehen und mit unseren Erzeugnissen 
bezahlen. Was wir über See außer den Rohstoffen für 
unsere Industrie bezogen, waren mehr Luxusartikel als 
zur Ernährung unbedingt Notwendiges. 
England dagegen kann nicht vom Lande leben, denn 
es hat, fußend auf seiner Meerbeherrschung, die Landwirt 
schaft völlig verkommen lassen. Es verhungert, wenn es 
monatelang nichts bezieht, und da es vom Handel lebt, 
kann es die Lebensmittel nicht bezahlen, wenn es durch 
Stockung des Welthandels nichts verdient. Nun hat sich 
etwas Merkwürdiges ergeben: Seeherrschaft ist nicht gleich 
bedeutend mit Handelsbeherrschung. Selbst wenn wir 
unsere Bedrohung des englischen Seehandels nicht in An 
rechnung bringen, ist derselbe durch diesen Weltbrand 
schon ohnehin vernichtet bis auf einen kleinen Rest; 
denn auch diejenigen Staaten, die nicht selbst im 
Kampfe stehen, haben fast alle ihre Zahlungen eingestellt. 
Und wo nichts ist, hat auch England sein Geld verloren. 
So rächt sich alles auf 
Erden. 
Nun noch einige Worte 
über die Banken. Die 
Russen haben so viel Geld 
von Frankreich entliehen, 
daß jetzt eine hochange 
sehene , der privaten 
„Deutschen Bank" ver 
gleichbare Pariser Bank, 
der Credit Lyonnais, 
seine Dividende nicht be 
zahlen kann, ebensowenig 
wie die Stadt Paris die 
fälligen Zinsen ihrer An 
leihe. Die „Deutsche 
Bank" dagegen steht 
glänzend da. Bei der 
Deutsch en Reichsbank" 
vollends strömt das Gold, 
d.as sich sonst in Kriegs- 
Zeiten verflüchtigt, der 
art zu, daß es, in Frank 
ausgedrückt, gegen Ende 
September über zwei 
Milliarden betrug, wäh 
rend außerdem die lhr 
zur Aufbewahrung anvertrauten Gelder gar 2,7 Milliarden 
Mark erreichen. Was haben wir nicht alles ein Menschen 
alter zu hören bekommen! Der Militarismus führe 
zum Bankrott: dabei bringen die Eisenbahnen und andere 
Staatsbetriebe mehr ein, als die Zinsen unserer sämt 
lichen Staatsschulden ausmachen; wir könnten unsere 
Übervölkerung nicht ernähren: dabei müssen wir sogar 
fremde Arbeiter ins Land ziehen. Wir haben der Welt 
gezeigt, was eine Alters-und Invalidenversicherung ist, 
und in unseren Sparkassen zwanzig Milliarden ge 
sammelt. 
Jetzt stehen wir vor einer Aufgabe, die zu lösen uns 
unser ureigenes Talent erleichtert: die Anpassungsfähigkeit. 
Sie hat großenteils den Markt des Auslands erobert zum 
Verdruß der älteren Welthandelsmächte. Sie muß uns 
jetzt über die Stockung hinwegbringen, indem die vor 
handenen wirtschaftlichen Kräfte, denen ihre bisherige Be 
tätigung abgeschnitten ist, ohne viel Zeit zu verlieren in 
neue Bahnen geleitet werden. 
Der große Krieg aber, der entflammt wurde durch 
den Neid auf unseren wirtschaftlichen Aufschwung, hat uns 
erst recht gezeigt, wie stark wir auch auf diesem Gebiete sind, 
und die rund 4,6 Milliarden Mark, die das deutsche Volk 
dem Reiche in der Kriegsanleihe auf den ersten Anhieb zur 
Verfügung gestellt hat, bedeuten eine gewonnene Schlacht. 
Der Krieg, so viel Leid er bringt, wirkt wie ein Dampf 
pflug, der den Acker der Volkskraft aufwühlt, alle Kräfte, 
die verborgen schlummerten, ans Tageslicht und zu freier 
Entfaltung bringt und eine mächtige Zukunftssaat empor 
sprießen läßt. 
Berliner Illustrations-Gesellschaft nt. b. H. 
Ein schweres Geschütz wird durch Motorkraft befördert.
	        
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