Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Die Niederlage der Serben 
im Kampf an der Save. 
Nach einer Origmalzeichnung von 
Fritz 
Man kann sich also nicht wundern, 
wenn die Leistungen im Kriege 
recht ungleich ausfallen. Die Armee 
ist eben in der Mauserung begrif 
fen; neben Veraltetem, Unbrauch 
barem, das noch nicht ganz über 
wunden ist, steht Neues, Ungewohn 
tes, das sich noch nicht hat einleben 
können. 
Nehmen wir zunächst den Sol 
daten. Er ist zu allen Zeiten und 
von allen fremden Beurteilern sehr 
gerühmt worden, und er besitzt in 
der Tat ausgezeichnete Eigenschaf 
ten. Bedürfnislos, ausdauernd, 
willig, gehorsam, nicht leicht zu ent 
mutigen — ein bequemes, zuver 
lässiges Instrument in der Hand des 
Führers. Aber es fragt sich doch, 
ob damit schon alle, ob auch nur alle 
wichtigsten Eigenschaften erschöpft 
sind, die heute den wirklich guten 
Soldaten ausmachen. Jedenfalls 
stehen den angeführten Vorzügen 
gewisse Mängel gegenüber, die man 
nicht geringschätzen darf: Unwissen 
heit — 75 Prozent des russischen 
Volkes sind Analphabeten! — Lang 
samkeit , Unselbständigkeit sind die 
auffälligsten. Sodann ist es oft er 
probt worden, daß der Nüsse in der 
Verteidigung mehr leistet als im An 
griff. Er ist eben alles eher als 
schneidig. Auch Ordnungsliebe, 
Sauberkeit und Pünktlichkeit kann 
man ihm nicht nachrühmen. Als 
es sich um die Einführung des 
Magazingewehrs handelte, wurde 
das Bedenken ernsthaft geltend ge 
macht, ob dieses Instrument nicht 
zu hohe Anforderungen in bezug auf 
Pflege und Handhabung, an die 
Truppen stelle. Nach manchem, was 
man seitdem hörte, scheint das Be 
denken nicht ganz unbegründet ge 
wesen zu sein. Daß die Schiest- 
leistungen befriedigen, ist bisher noch 
nicht behauptet worden. Ein wirk 
lich guter Schütze war der Russe in 
früheren Zeiten jedenfalls nicht. 
Alles in allem dürfte die Passivität 
des Volkscharakters auch im Heere 
als ein starkes Hemmnis sich geltend 
machen. Im zähen Behaupten der 
eingenommenen Stellung sucht der 
russische Soldat gewiß seinesgleichen, 
aber im Angriffsgefecht, zumal in 
unebenem Gelände, ist der russische 
Infanterist dem deutschen oder fran 
zösischen nicht entfernt zu vergleichen. 
Von der Kavallerie ist wenig zu 
sagen. Sie ist weder gut ausgebil 
det noch gut bewaffnet. Nur die 
Garde macht eine Ausnahme. In 
ihr gibt es Regimenter, die glänzend 
beritten sind und tadellos reiten; oder vielleicht müssen wir 
sagen: es gab sie, denn zurzeit sind von ihnen kaum mehr 
als dürftige Überreste noch vorhanden, bei Tannenberg haben 
sie ihr Massengrab gefunden. Die Kavallerie der Linie hat 
weder gute Pferde noch gute Reiter. Es rächt sich da, daß 
der Russe von Natur gar kein Verhältnis zum Pferde hat: 
er pflegt es schlecht und versteht nicht mit ihm umzugehen. 
Vollends die Kosaken kommen als Gefechtstruppe kaum in 
Betracht. Diese Halbsoldaten, die im Frieden über weite 
Strecken Südrustlands und Sibiriens als Ackerbürger auf 
Staatsländereien in einer Art kommunistischer Wirtschafts 
gemeinschaft leben und sich bei der Kriegserklärung plötzlich in 
leichte Kavallerie verwandeln, wurden schon im japanischen 
Kriege von sachkundigen Beurteilern nicht ganz ernst ge 
nommen. Wehrlose Volksmassen niederzureiten, Dörfer 
anzuzünden und dergleichen Heldentaten zu verrichten, sind 
ste sehr geeignet, aber fechten können sie nicht, nicht einmal 
aufklären, weil sie dafür zu dumm und unwissend sind. Die 
übrige Linienkavallerie leidet an mangelhafter Bewaffnung 
und Ausbildung. Nur das erste Glied hat Lanzen (wie in 
Frankreich); das Dragonergewehr, das der Mann über dem 
Rücken trägt, ist minderwertig und die Ausbildung im 
Schiesten mangelhaft. Es ist eben nicht möglich, aus dem 
rohen Klotz, den der russische Rekrut darstellt, in der vor 
geschriebenen Zeit einen Reiter zu machen, der auch in- 
fanteristisch in einer den modernen Ansprüchen genügenden 
Weise ausgebildet wäre. 
Den größten Wert hat man in neuerer Zeit auf die 
Artillerie gelegt. Sie war früher die schwächste Seite der 
ganzen Armee — es gab vor 20 Jahren Batterien, die im 
Probeschiesten keinen Treffer erzielten — und sie ist heute, 
wie die Augenzeugen übereinstimmend berichten, die beste 
Truppe des russischen Feldheeres. Aber der deutschen 
Rivalin scheint sie doch nicht entfernt gewachsen zu sein. 
Ihr Kaliber ist kleiner — die Haubitze hat 12 Zenti 
meter Durchmesser gegen 15 — ihr Geschoß schwächer und 
unsicherer und die Feuertechnik nicht auf der Höhe. In 
den ostpreustischen Schlachten hat sie gegen unsere Artillerie 
nirgends aufzukommen vermocht. 
Wer den russischen Soldaten lobte, hat stets den Ton 
darauf gelegt, daß er in der Hand von tüchtigen Führern 
Ausgezeichnetes leiste. An diesen tüchtigen Führern hat 
es aber im russischen Heere von jeher gefehlt und fehlt es 
noch heute. Der russische Linienoffizier ist entschieden 
minderwertig. Schlecht bezahlt, infolgedessen schon sozial 
untergeordnet, meist ganz unge 
bildet, führt er in der Mehrzahl 
ein ödes Kommistleben, abseits der 
guten Gesellschaft, nicht selten in 
Liederlichkeit und Laster. 
Ausnahmen gibt es gewiß auch 
hier, einzelne Männer, die be 
scheiden und aufopfernd ihre Pflicht 
tun; aber sie bestätigen die Regel. 
Die Duma hat eine Wurzel des 
Abels richtig erkannt und auszu 
reißen versucht, indem sie die Be 
züge erhöhte. Aber die Maßregel 
ist erst in neuester Zeit erfolgt und 
kann noch keine Wirkung getan 
haben. 
So darf man getrost sagen, daß 
in der russischen Armee nur die Offi 
ziere der Garde, zu der sich die 
besseren Stände drängen, ungefähr 
dem Begriffe entsprechen, den man 
sich in westlichen Ländern von 
diesem Stande macht. 
Die Übergabe 
der Festung Longwy. 
(Hierzu die Bilder auf Seite 166 und 168/169.) 
Von einem Kriegsteilnehmer, 
der der Übergabe der französischen 
Festung Longwy beiwohnte, er 
halten wir die folgende Schilderung 
des historischen Vorgangs: 
Gestern, am 26. August, erlebte 
ich wohl meinen größten historischen 
Tag, und zwar die Übergabe der 
Festung Longwy, die mit großer 
Tapferkeit seitens der Franzosen 
verteidigt worden war. Gegen zwölf- 
einhalb Uhr kam unser Hauptmann 
Richter zu uns, um im Auto mit 
einem Befehl nach Halangy zu fah 
ren. Wir nahmen an, daß der Be 
fehl den Sturm auf Longwy be 
traf. In Halangy angekommen, 
fuhren wir sofort beim Komman 
danten vor. Während der Verhand 
lungen unseres Hauptmanns mit 
dem dortigen General kam ein Ar 
tilleriehauptmann auf einem Auto 
angesaust und rief schon vonweitem: 
„Erzellenz, Longwy will sich ergeben 
und bittet um Verhandlungen am 
Wasserwerk vor der Festung !" So 
fort wurden sämtliche verfügbaren 
Autos von Offizieren bestiegen. In 
unserem Auto nahm unser Haupt 
mann Richter und einer der drei 
in Halangy anwesenden Generale 
mit zwei Stabsoffizieren Platz. Rach 
einer sehr anstrengenden Fahrt 
kamen wir gegen zwei Uhr am Was 
serwerk vor Longwy an. Gleichzeitig 
mit dem Aufbruch des Kommandos 
war der Befehl erteilt worden, die Pferde zu satteln und zwei 
vollständige Sanitätskolonnen in der Richtung auf Longwy 
vorzuschicken. Am Wasserwerk angekommen, erwarteten uns 
von französischer Seite ein Major und ein Sergeant, der als 
Dolmetscher diente. Die Verhandlungen zogen sich fast zwei 
Stunden hin und wurden wegen des einsetzenden Regens im 
Auto geführt. Die Ausfertigung des Übergabeprotokolls er 
folgte in deutscher und französischer Sprache. Die Franzosen 
schienen von uns eine sehr schlechte Meinung zu haben, denn 
sie bestanden darauf, daß in das Protokoll eine Bestimmung 
aufgenommen werde, wonach allen gefangenen Franzosen 
ihr persönliches Eigentum sowie das Bargeld außer den 
Waffen zugesichert werden sollte. Unsere Generale ver 
sicherten dem gegenüber, daß wir doch keine Räuber seien 
und das persönliche Eigentum auch so achteten, eine solche
	        
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