160
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914.
Anhöhe, wo gehalten wird. Schon ist die treue Feldküche
da. Das Essen wird gierig verschlungen, dann werden die
Gewehre zusammengesetzt, und bei den Gewehren, trotz
Kälte und Wind, finden wir bald einen kurzen todähnlichen
Schlummer. Montag früh fünf Uhr wird geweckt, und
um sechs Uhr beginnt schon wieder die feindliche Artillerie
Hunderte von Granaten und Schrapnells in unsere Reihen
zu werfen. Unsere Kompanie, mit dem Haupimann als
einzigem Offizier etwa 80 Mann stark, liegt in Kompanie
kolonne als Artilleriedeckung hinter einer Batterie auf
freiem Feld. Doch da kommen sie schon, die Granaten und
Schrapnells, immer näher. 10 Meter von unserem Zug
schlagen sie ein, uns mit Erde und Eisen überschüttend.
Unser Hauptmann sieht ein, datz wir hier nicht bleiben
dürfen, da wir sonst verloren sind. In: letzten Augenblick
ziehen wir uns daher nach rechts hinter die Anhöhe. Mir
hatten unseren seitherigen Platz noch keine zwei Minuten
verlassen, als auch schon fünf feindliche Granaten nach
einander genau dahin fielen, wo unsere zusammen
geschmolzene Kompanie gelegen hatte. Doch gleichgüliig
sahen wir zurück, das war nicht das erste Mal, daß wir so
dem Tode entronnen sind. Noch einige Stunden lagen
wir so im feindlichen Eranatfeuer, dann ging^s von neuen:
vor, durch ein Dorf, an einen Bach, wo wir uns wieder
sammelten. Da sahen wir auch wieder unseren Major, und
zugleich erhielt das Bataillon den Befehl, die vorliegenden
beiden Höhen zu nehmen, die vom Feinde besetzt waren.
Also wieder auf, dem Hauptmann nach! Noch waren wir
nicht ganz oben, da gesellt sich zu dem rasenden Artillerie
feuer ein wahrer Hagel von Jnfanteriegeschossen. Rechts
und links von mir fielen die Kameraden. Auch der
Hauptmann wirft beide Arme in die Luft: ein Schutz in
den Arm und einer in die Brust hatten ihn hingestreckt.
Also unserem Major nach! Ich sah ihn immer vor mir,
das Gewehr in der Hand, als allerersten des Regiments.
Schlietzlich wird das feindliche Feuer so furchtbar, daß auch
die Tapfersten stutzen und Miene machen zu weichen.
Doch mit übergeschnappter Stimme ruft vorne unser
Major, ein Held. Ich bin der erste neben ihm und rufe:
„Vorwärts!" Gehorsam kommen sie, Mann für Mann,
legen sich schweigend hin und schießen. Mein Major fragt
mich nach Namen und Kompanie, ich soll eine Aus
zeichnung erhalten. Und nun schieße ich neben meinem
Major auf die in hellen Haufen zurückflutenden Fran
zosen; als Aufläge für mein Gewehr dient ein toter Franzos.
Drei Stunden lang schießt ich so, dann wird es Nacht, und
wir werden von dem mit so viel Tapferkeit und Blut
genommenen Hügel zurückgezogen, gesammelt und neu
eingeteilt.
Nun wollten wir nur noch schlafen. Da hatten wir
uns aber verrechnet, denn sofort wurde mit Schanzen be
gonnen. Tiefe Deckungsgräben gegen feindliches Artillerie
feuer sollten wir ausheben; es gehe um unser Leben. Da
nahmen wir lodmüde die kurzen Spaten zur Hand und
gruben in steinhartem, steinigem Boden, in der Stunde
10 Zentimeter tief. Am Morgen erhielten wir, es herrschte
noch tiefes Dunkel, einen Kaffee, und dann hinein in die
Gräben, die manchem Braven zum Grab werden sollten.
Wir hatten sie nach Kräften groß gemacht; dennoch war
der Raum für den einzelnen mehr als beschränkt. Zu
sammengerollt zu einer Kugel lagen wir da. Mit
dem ersten hellen Schein im Osten ging^s los; furcht
bar, alles bisher Erlebte überbietend, so flogen die feind
lichen Granaten um unsere Gräben. Sie mutzten wissen,
wo wir lagen, so gezielt waren die Hunderte von
Schüssen. Dort legten sie einen Toten hinaus, hier schrie
ein Verwundeter laut auf. Und so lagen wir, bis es
wieder Nacht wurde; keiner durfte sich regen, obwohl wir
den ganzen Tag mit Erde und Granatsetzen überschüttet
wurden. Bei Nacht erst durften wir heraus; die steifen
Glieder wurden gestreckt, und die Feldküche tauchte auf.
Sofort nach dem Essen mutzten wir weiterschanzen bis zum
Morgen. Es kam der Mittwoch. Wir turnten in die jetzt
etwas tieferen Gräben hinein, denn schon beim Morgen
grauen ging^s wieder los, Schutz auf Schutz. So liegen,
ohne sich zu wehren! Es gibt keinen Ausdruck, um diese
Gefühle zu beschreiben! Mittwoch nacht dasselbe. Feld
küche, Essen und Weiterschanzen. Ihr fragt Euch wohl,
wann wir schliefen. Nun, bei Tag, im gräßlichsten feind
lichen Artilleriefeuer, so abgestumpft waren wir und so
todmüde. Da, Mittwoch nacht zwölf Uhr, kam der Befehl,
nicht weiterzuschanzen, es wird ein Sturmangriff mit
Bajonett gemacht. Eine Stunde Ruhe gönnt man uns,
dann wird entladen, Bajonett hinauf und marsch! den:
Feind entgegen. In geschlossenen Kolonnen geht's vor.
elfte Kompanie ganz vorne. Etwa eine Stunde sind wir
marschiert, da fährt der erste Bleihagel in unsere Glieder.
Rechts und links fallen die Braven, doch vor, nur vor!
Fürchterlich dröhnt unser Hurra durch die Nacht, der Feind
weicht. Da setzt ein furchtbarer Wolkenbruch ein, in zehn
Minuten sind wir bis auf die Haut durchnäßt; die armen
Verwundeten! Nur noch einen Hauptmann und einige
Leutnants haben wir. Von überall her erhalten wir jetzt
Feuer, und selbst dürfen wir doch nicht schießen, um keine
Kameraden zu treffen. Da heißt es wieder eingraben.
In zweieinhalb Stunden hak/ ich im Wolkenbruch meinen
Hauvtmann und mich vollständig eingegraben. Ich erhalte
ein Lob. Endlich wirt/s Tag. Es ist Zeit, denn mein
Hauptmann und ich stehen schon bis zum Knöchel im Wasser.
Eine Brigade Franzosen liegt vor uns tief eingegraben
an einem Bahndamm. Jetzt können wir auch schießen.
Kaum haben wir begonnen, da laufen sie auch schon.
Nun geschah wohl das Gräßlichste, was meine Augen je
sahen. Eine Brigade Franzosen lief Mann an Mann in
dichtem Schwarm zurück. Sie mutzten eine 800 Meter
lange, deckungslose Anhöhe hinauf, aber nur wenige
erreichten die Höhe, so wurden sie zusammengeschossen.
Wir folgten natürlich, so gut unsere Kräfte reichten. Im
Weitertaumeln sehe ich hinter einem Garbenbündel in:
letzten Augenblick einen gesunden Franzosen. Er legt
auf mich an, ich werfe mich zurück; doch in der Hand saß
schon der Schuß. Meine Kameraden haben ihn dann
stumm gemacht. 12 Kilometer schleppte ich mich zurück,
wurde verbunden, dann 6 Kilometer auf einem Wagen,
6 Kilometer zu Fuß, 60 Kilometer auf dem Lastauto,
35 Kilometer auf dem Trittbrett eines „Tietz"-Lieferungs-
autos in strömendem Regen, einen Tag und eine Nacht
im Viehwagen, dann Genesungsheim Landstuhl. —• Ja,
furchtbar ist der Krieg, doch der Sieg ist unser!
Euer Eustel.
An der Grenze der Bukowina.
(Hierzu bas Bild Seite 156/157.)
Auch an der Grenze der Bukowina, unweit Czernowitz,
dort, wo Österreich-Ungarn, Rußland und Rumänien eine
Dreilandecke bilden, ist es zu heftigen Kämpfen gekommen.
Die Bukowina, die für uns noch ein besonderes Interesse
dadurch gewinnt, datz in Czernowitz eine deutsche Universität
besteht und neben ruthenischen, madjarischen und polnischen
Elementen viele Deutsche wohnen, wird im Südwesten
vom Hauptzug der Karpathen durchstrichen, die von da in
mehreren Parallelzügen und zahlreichen Ausläufern nach
der russischen Grenze abfallen.
Hier stehen österreichisch-ungarische Linientruppen und
Landsturm; auch sie haben sich mit starken russischen
Kräften, die in die Bukowina einzudringen versuchten,
tapfer geschlagen.
Es war hier, in dieser Dreilandecke, wiederholt schon zu
kleinen Kämpfen gekommen. Ein verwundeter österreichischer
Offizier berichtet über ein derartiges Gelegenheitsgefecht:
Etwa 10 Kilometer von Russisch-Nowosielica unternahm ein
Husarenoffizier mit 62 Mann einen Aufklärungsritt.
Der Weg führte durch dichten Wald, der wenig Aussicht
gewährte. Auf einmal gewahrten sie beim Austritt ins
Freie, datz sie den Feind vor sich hatten. Sie befanden sich
unmittelbar vor drei Maschinengewehren. Dahinter standen
zwei Batterien, die rechts und links von je einer Sotnie
Kosaken gedeckt waren. Die Handvoll Husaren zögerte
nicht lange, sondern warf sich mit Ungestüm auf die
Russen. Diese konnten, also überrumpelt, weder von den
Maschinengewehren noch von den Geschützen Gebrauch
machen, und die Kosaken ergriffen die Flucht. — Der tapfere
Husarenoffizier versicherte nachher, er habe beim Anblick der
feindlichen Stellung sofort das Bewußtsein gehabt, datz
sie alle verloren seien, sobald sie wendeten, datz aber ein
tollkühner Angriff vielleicht glücken könne. Und er glückte!
Am 23. August kam es bei Czernowitz zu einem
größeren Gefechte. Aus Podolien drang eine russische
Division vor, die von den österreichisch-ungarischen Truppen