Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Libramont in der belgischen Provinz Luxemburg — nicht 
zu verwechseln mit dem gleichnamigen anstoßenden Erz 
herzogtum — über Meziores—Rethel auf Reims. Unser 
Bild auf Seite 136/137 zeigt die vom Feinde gesprengte 
Maasbrücke, die wohl bald von unseren braven Pionieren 
wiederhergestellt sein wird. Die auf dem linken Ufer liegende 
Ortschaft ist bei den Kämpfen der letzten Tage in Brand 
geschossen worden, und unterhalb der zerstörten Eisenbahn 
brücke überschreiten deutsche Ulanen auf einer von unseren 
Brückentrains geschlagenen Pontonbrücke den Strom. Es 
sind Massen von Ulanen, die hier auf die Fertigstellung der 
Brücke gewartet haben, um dem zurückweichenden Feinde 
möglichst bald wieder auf den Fersen zu sein, ihn aus 
zukundschaften, aufzuscheuchen, zu umfassen und in die 
schöne Champagne, die Heimat des Champagners, ein 
zudringen. Nicht nur auf der Höhe ziehen sie heran, sondern 
auch am Ufer suchen sie im Trabe schnell an dem Fußvolk 
vorbeizukommen, das von den Pionieren teils auf Kähnen 
- übergesetzt wird, teils auf das Übersetzen wartet, mit zu 
sammengesetzten Gewehren ruht und wohlgemut sich die 
Zeit mit Schreiben an die Lieben in der Heimat oder 
heiterem Gespräch mit den Ulanen vertreibt. 
Die Kirche in St. B. . . . e. 
Von einem württembergischen Sanitätsoffizier. 
Um sechs Uhr brachen wir aus dem Vogesenstädtchen R. 
auf; es war ein herrlicher Augustmorgen, gegen Ende des 
Monats, der Weg führte uns durch ein enges Waldtal, 
und die Sonne sandte bald ihre wärmenden Strahlen und 
vertrieb die feuchten Nebel der Wiesen. Nach einer halben 
Wegstunde etwa erfolgte kurzes Halt und Absitzen, da der 
weitere Vormarsch durch Kolonnen gesperrt war; uns ent 
gegen kamen Artilleriemunitionskolonnen, die rückwärtig 
frischen Vorrat erheben wollten. Dann folgten Kavallerie- 
patrouillen, die vergangene Nacht an dieser Stelle noch 
von feindlichen Patrouillen überfallen wurden. An den 
lachenden Mienen der Dragoner und ihren Reden er 
kannten wir zum Glück, daß der Anschlag nicht geglückt war; 
uns aber war dies des Rätsels Lösung für den nächtlichen 
Alarm und die Knallerei, die uns samt Generalkommando 
für einige Stunden aus der Ruhe aufgeschreckt hatten. 
Weiter ging's, das Tal aufwärts; so ganz sicher war 
die Gegend noch nicht, denn bald platzten seitlich von uns 
einige Schrapnells mitten in unsere in Deckung stehende 
Artillerie hinein. Wir gingen unserseits ebenfalls in Deckung 
und warteten weitere Befehle von der Division ab. Sie ließen 
nicht allzulange auf sich warten, und wir atmeten auf, denn 
auch wir Arzte sind stets froh, wenn es vorwärts geht, weil 
wir es als Zeichen einer allgemeinen Vorwärtsbewegung 
begrüßen können, wenn man die Sanitätskompanie vorzieht. 
Hieraus ist nicht etwa zu schließen, daß letztere dauernd den 
Schwanz bildet; man erlebt Fälle, wo man in eine Auf 
klärungstruppe verwandelt zu fein glaubt — indessen bringt 
das der Krieg so mit sich. 
Beim Weitermarsch sahen wir die Verwüstungen am 
Bahnhofsgebäude F.; an der Wegbiegung dahinter war 
die Eisenbahnbrücke über den Bach gesprengt, und an ihrer 
Stelle hatte man daneben eine Holzbrücke errichtet, die 
bequemen Übergang selbst für schwerste Gefährte gestattete. 
Beim Hinüberreiten erfolgte plötzlich ein Knall, eine un 
geheure Erschütterung der Luft, daß man glauben mochte, 
der Kopf würde einem vom Rumpfe gerissen: es waren 
unsere schweren Feldhaubitzen, die fast unsichtbar auf 
5—6, Kilometer Entfernung über die Berge hinweg ihre 
Schuldigkeit taten! 
Um elf Uhr etwa langten wir an unserem Bestimmungs 
ort an. Wir befanden uns vor einer Dorfkirche, woselbst 
Truppenärzte in fieberhafter Tätigkeit ihre Arbeit ver 
richteten. Auf den Anhöhen draußen, 2 Kilometer weit, 
stand der Feind; dort tobte der Kampf. Gewehr- und 
Maschinengewehrgeknatter drang an unser Ohr. Gegen 
über der Straße platzte im nächsten Augenblick eine 
Granate, kaum 30 Schritt von uns. Die Lage war für uns 
recht unerfreulich. Doch hier half kein Besinnen; da 
warteten unzählige leidende Brüder, die von ihren Kame 
raden auf Tragen und Zeltbahnen vom Kampfplatz herein 
getragen wurden, auf ärztliche Hilfe. Drum frisch ans 
Werk. Seitlich vom Kirchenportal erblickten wir ver 
schiedene Körbe mit französischem Verbandmaterial, die offen 
bar ganz kurz zuvor in aller Hast verlassen worden waren 
und uns nun gut zustatten kamen. Es muß an dieser 
Stelle gesagt werden, daß das französische Rote Kreuz an 
scheinend aufs beste zu arbeiten versteht, denn das von uns 
erbeutete Material erwies sich als äußerst gediegen und 
sehr zweckentsprechend. 
Bald war die ganze Kirche in eine Art Lazarett ver 
wandelt; die Verletzten, die draußen von uns auf dem 
„Hauptverbandplatz" Schuh- und Stützverbände erhalten 
hatten, wurden, je nach Art der Verletzung, sitzend zu den 
Leichtverwundeten gebracht oder als Schwerverwundete 
im Altarraum auf Stroh und Heu gebettet. Soweit 
möglich wird aufs schnellste für die Überführung in Feld- 
beziehungsweise Kriegslazarette Sorge getragen. Die nicht 
transportfähigen Schwerverwundeten, wie zum Beispiel 
solche mit Kopf- und Bauchschüssen und andere, bettet man 
tunlichst getrennt; sie werden zur weiteren Versorgung dem 
uns später ablösenden Feldlazarett übergeben. Manch 
einer von ihnen, leider ein hoher Prozentsatz, haucht fast 
unter unseren Händen seinen Geist aus. So erinnere ich 
mich eines alten Landwehrmanns, der mit einem schweren 
Bauchschuß halb besinnungslos darniederlag. Ich machte 
mir um ihn zu schaffen, als er ins Weite stierend die Augen 
aufschlug. „Seid Ihr Offizier?" so fragte er mich. Sein 
Geist war vielleicht noch auf dem Schlachtfeld in Visionen 
befangen. „Ja, ich bin Arzt und will Euch Hilfe bringen," 
so sagte ich über ihm knieend, seine kalte Stirne streichelnd, 
ihm zur Tröstung, denn Hilfe war hier nicht mehr möglich, 
wie ich mich alsbald überzeugte. „Ach Gott, ich habe 
fünf kleine Kinder daheim." — Gesagt, verschied er! — 
Zu stillen Betrachtungen hat man während seiner ärzt 
lichen Arbeit indessen nicht viel Zeit; am wenigsten an jenem 
denkwürdigen Tage, der uns allen als kritischer Tag erster 
Ordnung im Gedächtnis haften bleiben wird. Der Kanonen 
donner hüllte unser Dorf bald derartig ein, daß kaum eine 
Minute verstrich ohne ohrenbetäubenden Lärm. Der 
Geistliche schritt Zwischen den armen Verwundeten einher 
mit Teilnahme und Zuspruch, Krankenträger und Frauen 
labten die nach Flüssigkeit Lechzenden mit Getränken, wir 
Arzte suchten weiter zu arbeiten, doch alles drängte von 
vorn in das Kirchenportal herein, um Schutz zu suchen gegen 
die herüber und hinüber fliegenden Granaten und Schrapnell- 
geschosse. So war man jeden Augenblick gewärtig, von 
Artillerie zugedeckt und unter den Trümmern der Kirche 
in wildem Durcheinander begraben zu werden oder in die 
Hände des Feindes zu fallen, der wieder, anscheinend in 
folge Verstärkungen, wild vorstürmte. Das Dorf ward in 
Verteidigungszustand gesetzt, Häuser wurden verbarrikadiert, 
und unsere brave Landwehr tat tapfer wie immer ihre Pflicht. 
Auch nahte uns später Hilfe. Doch hätte der Feind unsere 
anfangs im Verhältnis zu ihm schwächere Stellung geahnt 
— ich glaube kaum, daß ich in der Lage wäre, heute diese 
Zeilen zu schreiben. 
So ging das Unheil an uns vorüber. Mit wenigen 
Pausen erheischten die schweren Verluste unsere ganze 
Arbeitskraft, und erst die Mitternacht machte dem Kampf 
gegen den Feind einerseits und gegen Schmerzen und 
Wunden anderseits für dieses eine Mal ein Ende. 
Kriegsneurosen. 
Von Privatdozent vr. med. Jul. Weiß. 
Der Krieg, wie er mit allen seinen Schrecknissen ganz 
Europa durchtobt, der Krieg mit den furchtbaren Wirkungen 
moderner Geschosse, Schrapnellerplosionen, Bombenwürfen 
aus den Lüften, Minenerplosionen, mit der modernen Ee- 
fechtsart, die ganze Truppenmassen mit Stachelzäunen um 
garnt, mit dem Geknatter der Maschinengewehre, mit der 
kolossalen Sprengwirkung der 42-om-Eeschütze, mit der 
erdbebenartigen Wirkung Kruppscher Mörser — diese 
furchtbare Weltkatastrophe stellt ungeheure Ansprüche an 
das Nervensystem aller daran Beteiligten. Ein kleiner 
Eisenbahnzusammenstoß mitten im Frieden, eine Explosion 
in einer Fabrik, ein Blitzschlag bei starkem Gewitter erzeugen 
jene schweren Erkrankungen des Nervensystems, die man 
als traumatische Neurosen bezeichnet. Der erste Arzt, der 
sich mit den nach Verletzungen auftretenden nervösen 
Krankheitszuständen beschäftigte, war Erichsen, dessen dies 
bezügliche Schrift im Jahre 1866 in London erschien. Die 
Erscheinung der traumatischen Nervenerkrankungen wurde
	        
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