Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
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die Franzosen, daß eine Armee, die kaum erst den Auf 
marsch vollzogen hatte, ihnen anscheinend aus dem Wege 
ging, plötzlich aber, im Zurückweichen, die Taktik änderte 
und einen mächtigen Gegenstoß vollführte, der alles, was 
sich ihr entgegenstemmte, vor sich herfegte. 
Nach dem siegreichen Gefecht bei Lagarde, dem der 
erste Einbruch in französisches Gebiet folgte, erhielten die 
Truppen, die trotz mehrfacher Zusammenstöße schon bis 
Blämont-Badonviller vorgedrungen waren, den Befehl, 
hinter die Saar zurückzugehen, und seine Ausführung mag 
ihnen nicht leicht geworden sein. Die französische Vorhut 
drängte sofort nach, und sie hinter sich herziehend, mußten 
unsere Braven schweren Herzeus auch Saarburg räumen, 
wo sie erst vor wenigen Tagen den Anmarsch gegen die 
Grenze angetreten hatten. Zwei französische Kavallerie 
divisionen tauchten auf, feindliche Jnfanteriemassen schoben 
sich nach; sie besetzten Saarburg und füllten westlich von 
Saaraltdorf das ganze Waldgebiet. Unsere Truppen standen 
nur zwischen Rommelfingen und Riedning, den Befehl 
auszuführen und die Stellung zum Schein zu verteidigen. 
Dü wurde in der Nacht vom 19. zum 20. August der 
freudig begrüßte Befehl ausgegeben, daß der allgemeine 
Angriff am kommenden Vormittag 11 Uhr zu beginnen 
habe. Nun war der Gang der Dinge so weit gediehen, daß 
man den Spieß umkehren konnte. Unter dem Donner der 
Geschütze — die französischen Batterien hatten schon am 
frühen Morgen zu feuern begonnen — erfolgte die Um 
gruppierung zum Angriff, ohne daß der Feind etwas da 
von merkte. Die Infanteriedivisionen standen zur vor 
geschriebenen Zeit bei Oberstürzel und Saaraltdorf, Hil 
bersheim und Rieding auf den zugewiesenen Punkten 
angriffsbereit. Die Artillerie blieb vorläufig in ihren 
Stellungen. Bei Kirberg war ein Ballon hochgegangen, 
den Artilleristen dienliche Beobachtungen mitzuteilen. 
Schlag 11 Uhr begannen die vordersten Linien vorzu- 
brechen. Die Masse der feindlichen Infanterie, die gerade 
abkochte, war völlig überrascht. Fast gleichzeitig erschien 
der ganze Himmel wie besät mit hellen Sprengwölkchen, 
aus denen sich ein vernichtender Geschoßhagel entlud. 
Unsere Artillerie hatte eingegriffen. Und nun brandete 
und tobte die Schlacht mit größter Heftigkeit den ganzen 
Tag, bis mit Einbruch der Dunkelheit der Feind auf allen 
Punkten geworfen war. Die Verfolgung wurde sofort 
mit allem Eifer aufgenommen, und jetzt zeigte sich erst 
die Größe des Erfolges. Das entflammte unsere braven 
Truppen noch mehr, den Feind vor sich herzufegen, und 
so standen sie in der Linie Nancy vorwärts Lunöville, 
bei Blainville, St. Die und südlich davon, noch immer 
den Feind nicht zu Atem kommen lassend. 
Diese glänzende Waffentat, zusammen mit dem Schlage, 
den nördlich Metz die Armee des deutschen Kronprinzen 
führte, das waren zwei gewaltige Hiebe; durch sie wurde 
die französische Offensive, die den prahlerischen Marsch nach 
Berlin einleiten sollte, kläglich gebrochen. 
Der Künstler hat auf unserem prächtigen Farbbilde 
die Wiedergabe einer Begebenheit aus dieser großen Schlacht 
gewählt, des Augenblicks, als am 20. August morgens die 
Umordnung aus der scheinbaren Verteidigung zum ent 
scheidenden Angriff erfolgte, und er hat dabei der macht 
vollen Größe des Vorgangs in glücklichster Weise Rechnung 
getragen. 
Vorübermarschierende Truppenmassen im Sonnen 
brand des Tages. In der Mitte des Bildes der Heerführer, 
Kronprinz Rupprecht von Bayern, gefolgt von seinen 
Generalstäblern; alle in ruhigem Schritt, mit ernsten, 
siegessicheren Blicken den Gang der Dinge beobachtend. 
Jagende und meldende Adjutanten! Vorn die daher 
rasselnde Artillerie, die den Vormarsch der Fußtruppen zu 
decken hatte, und im Hintergründe die Infanterie, deren 
Sehnen sich in dem begeisterten Drängen: „Vorwärts, 
vorwärts!" immer straffer spannen. Als das Werk zum 
großen Teil gelungen war, da hat der Heerführer die 
wackeren Seinen, die ihm den großen Sieg erkämpfen halfen, 
nicht vergessen. Schlicht und kurz hieß es: „Meine braven 
Truppen! Ich spreche euch mit dankerfülltem Herzen meine 
höchste Anerkennung und Bewunderung aus. Ihr habt wie 
die Löwen gekämpft und in stürmischem Anlauf einen an 
Zahl und Zusammensetzung überlegenen Feind geschlagen. 
Ich habe im felsenfesten Vertrauen auf eure Kraft und 
Tapferkeit nicht gezögert, euch zum Angriff gegen diesen 
Feind vorzusenden. Aber noch ist nicht alles getan. Es 
gilt noch, mit Aufbietung der letzten Kräfte den Feind 
gänzlich niederzuringen und ihn so zu verfolgen, daß er 
nicht mehr zur Besinnung kommt. Dies ist die Aufgabe der 
nächsten Tage. Die Vollendung des Siegs zum Heile des 
Vaterlandes, zum Verderben der Feinde. Das Vaterland 
wird euch jeglichen Dank wissen. 
Rupprecht, Kronprinz von Bayern." 
Übergang über die Maas. 
(Hierzu die Bilder Seite 136/187 und 189.) 
Welch ein Aufatmen nach jahrelanger Beklemmung war 
es doch, als am Neujahrstage 1814 der alte „Feldmarschall 
Vorwärts" bei Caub den Rhein überschritt! Damals hatte 
Deutschland seit 1806 dem ersten Napoleon geknechtet zu 
Füßen gelegen, und zwar bis zur Weichsel! Erst mit dem 
Rheinübergang Blüchers fühlte man sich endgültig von der 
Kriegsnot befreit, denn ein Strom bildet von jeher einen 
sicheren Schutz gegen den jenseits befindlichen Feind, und 
wenn die Streitkräfte eines Landes den Strom vollends 
überschritten haben, nimmt man an, daß nunmehr die 
Kriegsgefahr über diese Linie hinübergerückt ist. 
Noch im Jahre 1870 hatte Moltke damit gerechnet, daß 
wenigstens für den Anfang, für die sichere Versammlung 
und Bereitstellung der Heere, was man den „strategischen 
Aufmarsch" nennt, die „Strombarriere" des Rheins aus 
genutzt werden müßte. Erst nachträglich, nachdem sich die 
Unfertigkeit der Franzosen herausgestellt hatte, wurde be 
fohlen, daß die Truppen weiter vorwärts, in der Pfalz, 
ausgeladen werden sollten. Auch darin zeigte sich die Zu 
verlässigkeit und Vorsicht seiner Arbeit, denn ein Verschieben 
nach rückwärts wäre sehr mißlich gewesen. 
Wie ganz anders heute! Durch die Rückgewinnung des 
Elsaß und die Einverleibung Lothringens konnten im Süden 
die Vogesen, und weiter nördlich die Mosel zur Deckung des 
Aufmarsches dienen, während auf dem rechten Flügel ein 
blitzartiges Vorbrechen über Aachen auf Lüttich und über 
Trier und Luxemburg auf Longwy uns überraschend an 
die Maaslinie geführt hat, nach dem alten Fechtergrundsatz: 
„Die beste Parade ist der Hieb." 
Während nun das Eroßherzogtum Luxemburg ver 
nünftigerweise sich mit einem formellen Einspruch gegen 
die Verletzung seiner Neutralität begnügt und im übrigen 
nicht versucht hat, sich dem Strom der deutschen Heere 
unnütz entgegenzustemmen, löste der Durchmarsch durch 
Belgien ein Wutgeheul in diesem Lande, in Frankreich 
und in England aus. England gab sich auch den An 
schein, dieserhalb, angeblich als Schützer des vergewaltigten 
Belgien, an Deutschland den Krieg erklären zu müssen. 
In Wirklichkeit war aber die Wut dadurch verursacht, daß 
die drei edlen Brüder ihre Felle fortschwimmen sahen: der 
Knoten war so schön geknüpft, und nun hieb ihn der 
Michel einfach durch! Dem deutschen Eeneralstab war, 
wie an anderer Stelle schon erzählt, bekannt geworden, 
daß Frankreich und England beabsichtigten, durch Belgien 
zu marschieren — ja noch mehr, es fanden sich die Be 
weise, daß das arme verletzte Belgien mit der Unschulds 
miene völlig mit im Einverständnis gewesen war. 
Wie gut also, daß man den Ränkeschmieden das Spiel 
verdarb! Daß Deutschland nur notgedrungen neutrales 
Gebiet verletzt, zeigt uns ein Blick auf die Karte. Die 
holländische Provinz Limburg mit Maastricht versperrt uns 
sehr unbequem den Weg auf Brüssel, das wir ja auch in 
Besitz nehmen wollten. Wären wir wirklich die Verächter der 
Rechte neutraler Staaten, als die unsere Feinde uns so gern 
darstellen, so hätten wir uns die Operationen auf Brüssel 
durch eine Verletzung holländischen Gebiets sehr erleichtern 
können, indem wir durch Limburg gezogen wären. Aber 
Brüssel ist nur Nebensache. Hauptziel zur Beendigung des 
Krieges ist Paris. Indem die Franzosen nicht nur diese 
ihre Hauptstadt zur stärksten Festung der Welt gemacht, 
sondern auch die Annäherung von Osten her durch mehrere 
außerordentlich starke Befestigungslinien erschwert haben, 
blieb uns nur der Weg durch das Maastal, um schnell 
vorwärts zu kommen. 
Zwischen den beiden etwa 160 Kilometer voneinander ent 
fernten Hauptanmarschstraßen Aachen—Namur—St. Quen 
tin und Trier—Longwy—Chälons an der Marne genau in 
der Mitte führt eine Linie von dem Eisenbahnknotenpunkt
	        
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