Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
der „Täglichen Rundschau" einen Brief zur Verfügung, dem 
wir folgendes entnehmen: 
Hinter schwarz-weiß-roten Pfählen! Auf der Chaussee 
nach Nancy liegen wir jetzt, und ich schreibe den Brief 
hier am Lagerfeuer. 
Montag sahen wir unseren ersten gefangenen Fran 
zosen. Wie sah der aus, nichts Ganzes am Leibe, geflickt 
und genäht. Noch waren wir in Besprechungen über ihn 
vertieft, als schon von den Vorposten einige Meldungen 
kamen, die uns erwarten ließen, daß es bald zur Schlacht 
kommen werde, und richtig, am Nachmittag fing der Tanz an. 
Brav haben wir uns geschlagen, unser General v 
immer an der Spitze, und wir nach. Kugeln und Kar 
tätschen sausten über uns hinweg, manch einen rissen sie 
herunter, aber „Vorwärts, vorwärts!" war die Parole. 
Wir drängten mit voller Kraft vor. Jede Kugel von uns 
war wohl ein Treffer; waren doch die rotblauen Farben 
herrliche Schießziele. Heftig wogte der Kampf. Entschlossen 
und mit Schneid gingen wir Feldgrauen vor. Immer 
weiter drängen wir vor, schon stoßen wir auf französische 
verwundete und tote Soldaten — das erhöht unseren Mut. 
Zu schnell war für uns der Kampf zu Ende. Der linke 
französische Flügel wich, und damit war es geschehen, nun 
konnten sich die Franzosen nicht mehr halten und flohen. Du 
hättest mal sehen sollen, wie die roten Hosen in wildester Flucht 
davonjagten. Da war es noch einmal unsere Kavallerie, die die 
Verfolgung in die Hand nahm und das Treiben gut besorgte. 
Das war unser erster Sieg; schön war er, doch viel Opfer hat er 
gefordert. Fritz K., mit dem ich noch Seite an Seite kämpfte, 
hat ins Gras gebissen für König und Vaterland, seine arme 
Mutter tut mir leid. Geh doch mal hin und besuche sie. Hier 
haben wir vom deutschen Boden die Franzosen ganz 
vertrieben. Wie bei dem ersten Gefangenen, so sahen auch 
bei diesen anderen die Uniformen verlottert aus. „Hunger, 
Hunger!" riefen die Gefangenen und baten um Brot. 
Seit Sonntag haben sie nichts mehr gegessen und sind 
froh, daß sie bei uns find. Unsere Deutschen müssen drüben 
viel ertragen, unsere Gefangenen erzählen schauderhafte 
Grausamkeiten. Eben kommt zu uns die Nachricht von 
Mülhausen von dem großen Sieg. Heil, Heil, Heil! Kaum 
war die Meldung da, kaum hatte der Freudentaumel sich 
gelegt, da schallte das alte Lied: „Nun danket alle Gott!" 
über das Feld, in einem Tone, wie wir es noch nie ge 
sungen hatten. 
Die Bedeutung des siegreichen und ehrenvollen Gefechts 
von Lagarde in Deutsch-Lothringen liegt darin, daß hier 
Grenzschuhtruppen, die seit dem Augenblick der Erklärung 
der Kriegsbereitschaft Tag und Nacht nicht zur Ruhe ge 
kommen waren, den mit großer Übermacht versuchten Ein 
fall in deutsches Gebiet glänzend zurückgeschlagen hatten. 
Das mehrstündige heiße Gefecht bei tropischer Hitze war 
die Feuertaufe des neuen Grenzkorps. Heinrich Hinrich, 
der Musketier, der seinen verwundeten Offizier ins Lazarett 
nach Deutschland gebracht hat, erzählt nach einem im 
„Lokal-Anzeiger" wiedergegebenen Bericht folgendes: 
Sonnabend und Sonntag waren wir in Lagarde, wir, 
das Bataillon vom Erenzschuhregiment. Lagarde ist wie 
alle Lothringer Dörfer, nur größer. Es liegt am Rhein- 
Marne-Kanal und ist Zollstation. Das Wasser ist aber fast 
alles abgelassen. Alle Lothringer Dörfer sind lange nicht 
so schön wie die Dörfer in Deutschland. Sie haben so kahle 
Häuser, weißgetüncht, mit wenig Fenstern, und einen Mist 
haufen grad' vor dem Haus. Sonntag abend sind wir 
von Lagarde weitermarschiert. Nur eine Kompanie blieb 
dort. Und wie wir abgezogen waren, da haben die Be 
wohner ein Zeichen mit der Glocke im Kirchturm gegeben, 
und aus all den vielen Wäldern über der Grenze sind sporn 
streichs Franzosen herausgekommen und haben Lagarde 
besetzt. Das haben wir aber erst später gehört, als wir's 
wiedergewonnen hatten. Zu uns ist am anderen Morgen 
der Befehl gekommen: „Das Bataillon nimmt Lagarde!" 
Also wir wieder hin und marschiert, erst die Straße entlang, 
dann durch Haferfelder, auf die die Sonne herabbrannte, 
daß es so eine Art war. Wir sind dann neben dem Wald 
hergegangen und der Wald war voller Franzosen. 
Dann ist das Bataillon in den Wald hineingegangen 
und bei jeder Schneise haben wir gedacht: „Sind sie da? 
Kommen sie?" Aber wir sind glücklich durchgekommen, 
und alle, die im Wald waren, haben keine gesehen. Wie 
wir aus den: Wald herauskommen, fallen die ersten Schüsse 
von den Franzosen. Nun hieß es, vorgehen über Wiesen, 
die mit Viehgattern überzogen sind. Einmal sind wir 
drunter durch, der Major und alle Herren Offiziere mit 
uns, einmal sind wir drüber weg. So kamen wir dem Feind 
immer näher. Und nun schossen wir auch und warfen uns 
nieder, und dann sprangen wir wieder eine Strecke vor; 
grad' wie im Manöver. Und einmal sagte der Major: 
„Kinder, der Sprung war zu kurz," und dann sprang er 
uns vor und wir mit. Die Kugeln pfiffen nur so über unsere 
Köpfe weg. Einmal fuhr eine an meiner Nasenspitze vorbei 
in die Erde und gab einen Schlag, wie wenn mir jemand 
eine Ohrfeige gegeben hätte. Dann sprangen wir wieder 
vor. Die Offiziere immer vorneweg. Und da, wo's dem 
Major nicht schnell genug ging, ist er selbst hingesprungen 
und hat die Kompanie geholt und gerufen: „Linker Flügel 
vor!" 
Sehen konnten wir die Franzosen schon von weitem, 
die roten Hosen und die blauen Fräcke. Es war bald Mittag 
und glühend heiß. Ganz blauer Himmel. Ein Flieger 
ganz hoch warf Bomben, aber die taten uns nichts. Aber 
vor uns auf dem Kirchturm schossen die Franzosen wie 
toll mit einem Maschinengewehr, das sie heraufgeschleppt 
hatten; auch von den Fenstern und aus den Gärten haben 
sie geschossen. 
Alles, was noch in Deckung war, ist jetzt heraus. Der 
Tambour hat geschlagen, da sind wir mit aufgepflanzten: 
Seitengewehr zum Sturm auf die Brücke hinauf. Die 
Offiziere immer voran. Wie mein guter Hauptmann aus 
der Hecke herauskommt, trifft ihn auch schon eine Kugel, 
und tot war er, ehe er ein Wort sagen konnte. Und er 
hatte grad' erst eine feindliche Radfahrerabteilung zurück 
getrieben und zweiundzwanzig Klappfahrräder, die die 
Franzosen auf dem Rücken tragen, erbeutet. Jammer 
schade um ihn! Er sah so schön aus in der Scheune, in die 
sie ihn nachher getragen haben, als wollte er sagen: „Ich 
hab' meine Pflicht getan!" 
Aber noch waren wir nicht drin im Dorf. Ach so — ich 
hab' ganz vergessen: Wir sind durch einen Bach, unser 
Kommandeur immer cüs Erster. Der Bach war so hoch, daß 
das Wasser bis an die Schultern ging, und es war gut, daß wir 
nicht von den Kleinen waren. Und wie die Franzosen uns 
haben stürmen sehen, da ging ihr Schießen erst recht los. 
Denn die Franzosen schießen alle auf einmal und mörderisch, 
und dann sind sie wieder still. Unser Major hat einen Schuß 
in den rechten Oberarm bekommen, und wie ihn einer hat 
halten wollen, kriegt der einen Schuß und fällt hin und ist 
tot. Die Artillerie hat uns geholfen von zwei Seiten, und 
unsere Maschinengewehre haben geschossen, was ging. Und 
die anderen Truppen sind von der anderen Seite gekommen 
und haben das Dorf beschossen und ganz umzingelt. Um 
ein Uhr war es unser. Da sind wir mit Hurra hineingestürmt. 
Und alle Franzosen mußten sich ergeben. Die hatten Angst, 
sie legten ganz schnell Gewehr und Seitengewehr ab und 
sprangen in die Ecken und hoben die Arme hoch. Es waren 
schmächtige Leute; sie sagen, aus Südfrankreich. Ich habe 
drei von ihnen gefangen hinter einem Weinfaß. Die 
liefen wie die Hasen! Vor dem Haus, in dem wir Sonntag 
Quartier hatten, haben drei tote Pferde gelegen, und an der 
Mauer hatten sie die Männer kurzerhand totgeschossen, die 
aus den Häusern auf uns geschossen hatten. Für uns hat's 
Rotwein aus einem Faß gegeben. Es war zu heiß gewesen, 
und wenn wir nicht beizeiten die Feldflaschen gefüllt ge 
habt hätten am Morgen, so wären wir verschmachtet. Ge 
sungen haben die Truppen die „Wacht am Rhein", als sie 
in Lagarde eingezogen sind. 
Dreizehnhundert Gefangene haben wir gemacht. Die 
machten bald die Hand rund zum Betteln, weil sie Hunger 
hatten. Einer, der etwas Deutsch konnte, sagte: „Gesehen 
haben wir euch nie in euren grauen Joppen, nur wenn ihr 
sprangt, wußten wir, wo ihr wart." Sie hatten alle rote 
Hosen und schwarze Wickelgamaschen und große Röcke wie 
Fräcke, und vorn am Kragen rote Achselstücke und am 
Käppi die Regimentsnummer. Nur das Käppi hatte einen 
grauen Aberzug. Einem haben wir ein Korsett ausgezogen! 
Und dann die Stiefel! Wie es heißt, müssen die französi 
schen Soldaten sich die Stiefel selbst halten, und deshalb 
sind sie wohl alle so schlecht. Zwei von den hundert 
fünfzig, die ich mit begleitete, hatten gar nichts an den 
Füßen. Bei anderen hingen die Sohlen herunter. Die 
Patronen hatten sie oft nur in Papier gewickelt. Sie
	        
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