Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
santeriesoldaten und schossen über das Brückengeländer gegen den 
Kanal zu, während die deutschen Flintenkugeln nur so auf der Brücke 
niederprasselten. Da Zwischendurch nuner wieder Kanonendonner 
sich einmischte und man keinen Augenblick sicher war, ob man mit den 
Kindern noch heil über die Brücke konnte, liefen wir ein Stück am 
Kanal entlang und bogen an der Post gegen die Säulengänge an 
den Häusern ein, die gegen den neuen Quartierpalast zu stehen. 
Immer wieder prasselten die Geschosse auf die Dächer und in die 
Straßen, es war ein Höllenlärm. Dennoch kamen wir gegen sieben 
Uhr unversehrt vor dem Zentralhotel an. Aber hier war alles ge 
schlossen, die eisernen Rolläden herunter, die Eingangstür zu. Mit 
Mühe und Not erlangten wir Eintritt und wurden in den gewölbten 
Keller hinuntergeführt, wo schon etwa vierzig Menschen gerüstet 
waren, die Nacht zu verbringen. Da sahen Mann an Mann und 
Frau an Frau auf Stühlen und Kisten die ganze Nacht herum, wäh 
rend es ununterbrochen brausten krachte und donnerte. 
Gegen vier Uhr früh klopfte es heftig an die Haustür. Es waren 
Franzosen. Mit jubelnder Freude bemerkten wir, daß sie auf der 
Flucht waren. Sie wollten sich ins Hotel hineinflüchten, aber es 
wurde ihnen nicht aufgemacht. Die Franzosen hatten es derartig 
eilig mit dem Fliehen, dast sie sich nicht mehr die Zeit nahmen, die 
Tür einzuschlagen; sonst wären ihnen die Unseren natürlich auf 
dem Fust gefolgt, und es hätte in unserem Keller in der. Dunkel 
heit ein für uns Zivilisten unangenehmes Gefecht gegeben. Wir 
hatten nur ein paar Stearinkerzen, die keine ausreichende Be 
leuchtung zur Unterscheidung von Freund und Feind abgaben. 
Gegen fünf Uhr früh wurde es still; das Schiesten hörte auf, wir 
gingen, sobald der Lärm nachliest, sofort auf die Straße hinauf, und 
Hurra, eins und zwei, eins und zwei, marschierten auch schon die 
deut chen Soldaten heran, und in unendlichen Zügen kamen unsere 
braven Truppen an. Es wurde gerufen: „Türen auf! Fenster 
auf! Hüte ab!" und unsere Herzen schlugen wieder froher und 
höher. Den ganzen Morgen zogen Soldaten ein, von den Leuten 
-mit allen möglichen Lebensmitteln, mit Speise und Trank beim 
Durchziehen bewirtet. Von einem Tabakgeschäft waren im Nu 
Tausende von Zigarren unter sie verteilt. Das war am Montag 
früh. — 
Meine Hoffnung, dast mit der Wiedereinnähme von Mülhausen 
durch die Unseren eine ruhigere Zeit kommen werde, hat sich nicht 
erfüllt. Schon in der Nacht zum Dienstag, den 11. August, begann 
wieder ein furchtbares Geknalle. Man behauptete, aus der ein 
heimischen Bevölkerung sei auf unsere Truppen geschossen worden. 
Am nächsten Tage wurden die Häuser der ganzen Stadt durchsucht, 
das Standrecht erklärt, und es wurde bekanntgegeben, wer Fran 
zosen versteckt habe und dies nicht anzeige, werde erschossen. 
Am Freitag, 14. August, durcheilten Mülhausen wieder Ge 
rüchte von neuen Gefechten. Man sah unheimlich viel Durchmärsche 
von deutschen Truppen; am späten Vormittag wustte man, dast es 
wieder Gefallene und Verwundete gegeben hatte, und es kamen 
eine Menge Wagen mit Verwundeten in die Stadt. Die Leicht 
verwundeten, die schon von der Woche zuvor da waren, wurden 
nach Freiburg gebracht und die Spitäler, Schulen usw. für neue 
Verwundete freigemacht. Gegen Mittag hörte man das Geschütz 
feuer wieder ganz in der Nähe, und die Bevölkerung erwartete 
die Franzosen nochmals in der Stadt. Die Behörden waren wieder 
nach Müllheim gefahren, und gegen sechs Uhr abends wustte ich: 
Jetzt geht der Tanz wieder los! Da zog ich es vor, den Spuren 
der Behörden zu folgen. Es gelang mir noch, eine Viertelstunde, 
ehe alle Wege für das Zivil gesperrt wurden, einen Passierschein 
und ein Auto aufzutreiben, und so sind wir zwischen Artillerie und 
Train, zwischen Munitionskolonnen und Fourageabteilungen durch 
passierend, noch in der Nacht nach Baden herübergekommen. 
Erwähnenswert ist noch, dast die Franzosen bei ihrem 
Rückzüge eine Anzahl Einwohner von Mülhausen, darunter 
sieben Beamte und Arbeiter des Elektrizitätswerkes, als 
Geiseln und Wegweiser mitgenommen haben, ebenso einen 
Lehrer aus Riedesheim. 
(Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte 
Die Schlacht bei Zamosc. 
(Hierzu das Bild Seite 108/109.) 
Die Schlacht bei Zamosc, oder richtiger im weiten Raume 
zwischen dem Huczwa und dem Wjeprz, die vom 26. August 
bis zum 1: September tobte und mit einem großen Sieg 
der österreich-ungarischen Truppen unter General v. Auffen- 
berg über die Russen endete, ist die bis jetzt längste ge 
wesen, die je in Europa ausgefochten wurde, und eine der 
größten, die die Weltgeschichte kennt. Die beiden Flüsse, 
die nahe voneinander entspringen und von denen der eine, 
westlichere, Wjeprz, sich direkt in die Weichsel ergießt, 
während der Huczwa in den Bug mündet, einen anderen 
Nebenfluß der Weichsel, der auf eine weite Strecke die 
Grenze Russisch-Polens bildet, schließen ein großes, meist 
ebenes Terrain im südlichen Teil des Gouvernements 
Lublin ein, das durch die Straße geteilt wird, die von der 
galizischen Grenze nördlich von Rawa-Ruska über To- 
maszow, Zamosc und Krasnostav zur Gouvernements- 
Hauptstadt führt. Südöstlich von Zamosc liegt Komarow, 
eine wichtige russische Garnisonstadt, in der sich ein großer 
Schießplatz befindet, der ein bekannter Übungsplatz der 
russischen Artillerie ist. In diesem Raume traf die Armee 
Aufsenbergs, die von Rawa - Ruska nördlich zog, mit 
den russischen Truppen zusammen, die von Eholm gegen 
Süden nach Galizien stürmten. Diese russische Armee 
wollte mit dem Einsatz ihrer gesamten Kraft die österreich- 
ungarische Front durchbrechen. Sie konzentrierte ihren 
Angriff auf Komarow und bedrohte das Zentrum der 
Armee Auffenbergs. Mit beispielloser Kühnheit hielten 
deutsch-böhmische und tschechische Regimenter diesem An 
sturm stand, obwohl die russischen Kräfte, die von General 
Plehwe, einem Vetter des gewesenen gleichnamigen Mi 
nisters befehligt wurden, in großer Aberzahl waren. Ge 
waltige Opfer kostete der Kampf beiderseits, blutbedeckt 
war schon die Walstatt, als den wackeren Österreichern aus 
der Richtung von Cesniki Verstärkung, Hilfe und Rettung 
kann Die neuen Truppen, die die Entlastung der Tapfe 
ren brachten, standen unter dem Befehl des Erzherzogs 
Joseph Ferdinand und des Generals der Infanterie Boroe- 
vics. Letzterer drang mit seinen ungarischen, der Erzherzog 
mit seinen Tiroler und Salzburger Regimentern vor. In 
breiter Front rückten sie nordwärts und bedrohten am 
28. und 29. August die russischen Streitkräfte mit der Ab 
schneidung ihrer Rückzugslinie, worauf die Russen unter 
steten Gegenangriffen zu wanken begannen. Südöstlich 
von Tysowce brachte die Zurückwersung der stark ver 
schanzten Russen die Entscheidung. Am 31. schritt die Ein 
kreisung des Feindes unter heftigen Kämpfen fort. General 
der Infanterie Boroevics drückte ihn am südlichen Flügel 
nordwärts, worauf General v. Auffenberg die russische 
Hauptmacht von Norden her auseinanderschlug. Komarow 
und die Höhe südlich von Tysowce wurden im Sturm ge 
nommen, und der Erzherzog drang gegen Staroje-Sielo 
vor. In den späten.Nachmittagstunden des 1. September 
war der Sieg entschieden. Scharen von Gefangenen, zahl 
loses Kriegsmaterial, darunter 200 Geschütze, fielen in die 
Hände der Österreicher und Ungarn. 
Die Schlacht war reich an interessanten Episoden. Viele 
kühne Heldenstücke werden erzählt. So manche Stellung 
konnte erst nach wiederholten Angriffen unter Aufgebot 
der äußersten Anstrengungen erobert werden. Dort mähten 
die Maschinengewehre ganze Reihen nieder, hier entbrannte 
ein harter Kampf um einige Geschütze. Unaufhaltsam 
drang die Infanterie Schritt für Schritt vor. Oft sah man 
keinen der Kämpfenden, alle lagen flach auf dem Boden, 
und nur schwache Rauchwolken verrieten, von wo die 
mörderischen Schüsse kamen. An anderen Stellen fanden 
kühne Reiterangriffe statt. Unter diesen verdient ein heißer 
Kampf österreichischer Ulanen mit russischer Infanterie be 
sonders hervorgehoben zu werden. Es war ein schreckliches 
Gemetzel, das unser Künstler im Bilde festhält; mit Todes 
verachtung dringen die tapferen Reiter vor, obwohl die 
Kugeln ununterbrochen an ihren Ohren vorbeisausen. Es 
kommt zum Handgemenge; so mancher Ulan und sein braves 
Roß wird vom feindlichen Bajonett schwer verwundet. 
Mit geschwungenen Säbeln dringen die Reiter vorwärts, 
da beginnt die Flucht der Russen. Die Infanteristen werden 
niedergehauen und überritten. Noch einige harte wohl- 
gezielte Streiche und die Maschinengewehre werden zum 
Schweigen gebracht, ihre Bedienungsmannschaft liegt 
schwer verwundet oder tot am Boden, andere fliehen und 
reiche Beute fällt in die Hände der triumphierenden Sieger, 
deren Reihen ebenfalls manche Lücke aufweisen. 
Die Schlacht von Zamosc wird ein glänzendes Ruhmes 
blatt sein in der Geschichte dieses Krieges und in der der 
österreich-ungarischen Armee überhaupt. Sie bedeutete 
für die Russen eine förmliche Katastrophe. Im Zusammen-
	        
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