Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
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Am Sonntag morgen sechs Uhr marschierten wir weiter, 
über Banzenheim (das Dorf war zum großen Teil geräumt) 
unb machten in Battenheim an: Friedhof eine etwa zwei 
stündige Rast. In der Nähe mußte der Feind gemeldet 
worden sein, man hörte Kanonendonner, und wir brachen 
auf, nachdem zwei Schützenschleier vorausgeschickt waren. 
Im nächsten Dorfe Sausheim langten wir gegen sechs 
Uhr an und wurden scheinbar freundlich aufgenommen. 
Als wir jedoch zwei Kompanien stark am Ende des Dorfes 
angelangt waren, wurden wir durch ein mörderisches Feuer 
überfallen, das aus dem gegenüberliegenden Walde aus 
einer Entfernung von 150—200 Metern kam. Eine große 
Panik entstand unter den Dorfbewohnern, die sich in die 
Keller ihrer Häuser flüchteten. Wir Krankenträger blieben 
anfangs in den Straßengräben der Dorfstraße in Deckung. 
Als das Feuer etwas schwächer geworden war, gingen wir 
Krankenträger vor, um Hilfe zu leisten. Mehrere Kugeln 
pfiffen mir dicht am Kopfe vorbei, aber ganz gefährlich 
wurde unsere Lage, als ich mit drei Mann die Dorfstraße 
entlang ging und wir auf einmal von links und rechts 
ja noch ärger als dort waren französische Soldaten in den 
Häusern versteckt. Heute, am dritten Tage, sind noch einige 
verhaftet worden. Vom General ist eine Bekanntmachung 
an die Bevölkerung ergangen, daß jeder, bei dem noch 
ein französischer Soldat in Uniform oder in Zivil verkleidet 
gefunden wird, auf der Stelle erschossen wird. Seit zwei 
Tagen schon müssen die Läden und Wirtschaften um acht 
Uhr geschlossen sein, und kein Zivilist darf sich dann auf 
der Straße noch zeigen." 
t Verschiedene interessante Einzelheiten über die Kämpfe 
bei Mülhausen bis zum 14. August enthält ein Artikel des 
„Berliner Tageblatts", der auch über die Flucht der Fran 
zosen berichtet. In diesem Artikel heißt es: 
Freiburg i. V., 18. August. 
Hier, wo es aussieht, als ob es überhaupt keinen Krieg in der 
Welt gäbe, kann ich mit meiner Familie und vielen anderen Mül 
häuser Bürgern, die die Stadt geräumt haben, mich etwas erholen 
und in Ruhe über die Ereignisse der vergangenen Woche berichten. 
Also am Sonnabendmittag zogen die Franzosen mit großem 
Pomp in die Stadt ein, von ekelhaften Kundgebungen eines Teils der 
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Deutsches Massengrab bei Lautersingen nach der Schlacht vom 16. August. 
H. Bensemann, Hofphot., Metz. 
aus den Kellerfenstern befeuert wurden. Anfangs merkte 
ich das gar nicht, ich glaubte, es feien die Kugeln, die über 
dem Dorfe wegflogen, ich blieb deshalb in größter Ruhe 
und ging so die Dorfstraße entlang, um Tragbahren zu 
holen. Meine Kameraden wurden aber sehr unruhig, zwei 
flüchteten sich in die Häuser und einer in den Straßengraben. 
Ich war darüber sehr erbost, blieb ruhig auf der Straße 
stehen, drehte mich um sich hatte immer noch keine Ahnung, 
daß die Geschosse wirklich aus den Kellern kamen) und rief 
den drei Kameraden zu, sie sollten machen, daß sie her 
kämen; einer kam dann auch, und wir gingen im Lauf 
schritt nach dem Lazarett. Hier erst erfuhr ich den Sach 
verhalt. Die Franzosen hatten sich in die Keller und Läden 
der Häuser versteckt, und aus den Häusern, aus denen wir 
anfangs Wasser und Limonade bekommen hatten, geschossen. 
Einige Krankenträger sind schon gefallen und verwundet. 
Denke Dir, das Franzosenvolk hat auf uns Krankenträger, ja 
auf den Stabsarzt und sogar aus Verwundete geschossen. 
Gegen zehn Uhr begann das Gefecht von neuem, und zwar 
viel heftiger als zuvor, und bis zum Morgen hatten wir 
eine Unmenge Verwundete. Am 10. August rückten wir 
in Mülhausen ein, wo wir j-etzt noch sind. Wie in Sausheim, 
so ist auch hier nur ein geringer Teil der Bevölkerung gut 
auf die Soldaten zu sprechen. Als am Sonnabend und 
Sonntag die Franzosen einzogen, da war großes Leben 
in M. Die meisten trugen blauweißrote Abzeichen und 
bewirteten die Franzosen aufs beste. Und wie in Sausheim, 
Elsässer umbraust. Ein Teil der Bevölkerung schrie aus Leibeskräften: 
„Vive la France!“ Die französischen Soldaten wurden mit Blumen 
empfangen, wie Freunde behandelt. Es wird mir erzählt, daß Ein 
heimische das Zaumzeug ihrer Pferde küßten! Als wir am Sonntag 
früh aufstanden und wie gewöhnlich unseren Kaffee auf dem Balkon 
tranken, in gespannter Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, 
sahen wir auf der Zimmersheimer Höhe eine Menge französischer 
Truppen aufgestellt, die sich dort mit Baumzweigen Verstecke machten, 
sich nebenbei dadurch vor der großen Hitze schützten. Wir konnten 
die ganze Sache mit dem Fernglas von unserer vor der Stadt ge 
legenen Villa aus sehr gut verfolgen. Es blieb alles ruhig, 
und nichts rührte sich bis nachmittags. Auf einmal, gegen vier 
Uhr, fing es ganz in der Nähe an, mächtig zu knattern, und zwar von 
allen Seiten zu gleicher Zeit. Wir glaubten zuerst, es sei ein Vor 
postengefecht, und blieben ruhig auf dem Balkon beim Kaffee sitzen. 
Plötzlich hub es aber an, aus Haubitzen zu schießen, und die Granaten 
und Schrapnells schlugen in die Stellungen der Franzosen ein. Es 
kam Leben in die Reihen oben auf dem Berge, und ein mörderisches 
Schießen begann. Wir sahen die Schrapnells kaum fünfzig Meter 
von unserer Villa in die Erde fliegen, so daß ich zu meiner Frau sagte: 
„Wir wollen ein bißchen Nachtzeug packen und sehen, daß wir noch 
in die Stadt hinunterkommen, dem: ich glaube, unser Haus holt der 
Teufel heute nacht." In einer Zeit von fünf Minuten waren wir 
bereit. Mein elfjähriger Sohn hatte unseren Hund an der Leine, 
das Dienstmädchen mein vierjähriges Töchterchen an der Hand. Ich 
trug das Handtäschchen, und meine Frau hatte ihre engen Röcke hoch 
zuhalten, und das mit gutem Grund. Denn es hieß, unter fort 
währendem Kugelregen vom Rebberg aus so schnell wie möglich bis 
auf die Brücke hinunterzukommen, die über den Rhein-Rhone-Kanal 
führt. Links und rechts auf der Brücke lagen die französischen In-
	        
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