Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
warfen sich an den Häusern flach auf die Straße. Es war 
ein ohrenbetäubender Lärm. Wir dachten alle, hier kommt 
niemand wieder heraus. Da sprang unser Hauptmann in 
die Mitte der Straße und rief: Lehnte Kompanie hierher', 
und trotz des heftigen Feuers sammelten wir uns sofort 
um unseren Führer, und indem wir jetzt das Feuer energisch 
erwiderten, verließen wir vollkommen geordnet den Ort, 
mit unserer Feldküche in der Mitte. Die andere Bagage 
mußte zurückgelassen werden, da die Pferde erschossen 
waren. Das Regiment sammelte sich um sieben Uhr auf 
einem Bergkegel, wo wir Bereitstellung einnahmen. 
Da wir um drei Ahr nachmittags Artilleriefeuer von den 
Außenforts erhielten, wobei einem Mann, das Bein ab 
gerissen wurde, mußten wir den Berg verlassen. Unser 
Regiment sammelte sich hinter der großen Steinhalde eines 
Erzbergwerkes. Unsere Kompanie bekam den Befehl, den 
links vor uns liegenden Ort zu säubern und nach vorn auf 
zuklären. Als wir das Dorf betraten, schossen wieder die 
Einwohner auf uns. Doch diesmal ließen wir nicht mit 
uns spaßen. Wir stürmten die Häuser, holten die Männer 
heraus, die sofort vor dem Hause standrechtlich erschossen 
wurden. Dann wurden die Frauen und Kinder, denen kein 
Haar gekrümmt wurde, weggejagt und das Haus an 
gezündet, und bald brannte das ganze Dorf, was in der 
Nacht einen grausig schönen Anblick bot. 
Um ein Uhr wurde wieder aufgebrochen, wir mußten 
entladen und das Seitengewehr aufpflanzen, dann kam eine 
Pionierkompanie mit Leitern'und anderem Sturmgerät 
an uns vorbei, und sofort wußten wir, daß es jetzt.erst 
richtig losgehen, sollte. Schon um zwei Uhr bekamen wir 
Feuer, aber es ging immer vorwärts. Wir hatten vorerst 
keine Artillerie, während der Feind uns aus sechs Ge 
schützen mit Schrapnells überschüttete. Die, einzige An 
marschstraße, die wir benutzen konnten, wurde von drei 
Geschützen bestrichen. Im Laufschritt ging es. vorwärts. 
Unser Oberst fällt, aber die sechs Geschütze werden erobert. 
Jetzt entbrennt ein heißer Kampf um das Dorf. Bellaire, 
jedes Haus muß erobert werden, und endlich trifft unsere 
Artillerie ein. In diesem Dorf fällt unser Brigadekom 
mandeur. Um acht Uhr ist der Feind geworfen. Auf 
unserem Vormarsch finden wir viel weggeworfene belgische 
Waffen und Tornister. Noch einmal hat der Feind Front 
gemacht. Er wird angegriffen und geworfen. 
Wir nehmen sofort die Verfolgung auf, und um vier 
Uhr liegt unten ganz tief im Tal Lüttich. Ein prachtvoller 
Anblick, mit den Maasbrücken und den vielen Kirchtürmen, 
aber überall sieht man belgische Flaggen. , Eine Maasbrücke 
gesprengt, deutlich sieht man in dem hellen Sonnenschein die 
zerbrochenen Pfeiler. Hier oben werden Schützengräben 
ausgehoben und Anstalten zum Übernachten getroffen. 
Unsere Artillerie beschießt die Zitadelle und die Stadt. 
Letztere ergibt sich bald, während die Zitadelle noch bis zum 
Morgen standhielt, dann aber die weiße Flagge hißte. 
Leider kamen wir auch diese Nacht nicht zur Ruhe. Da 
wir einen Angriff befürchten mußten, wurden die Schützen 
gräben besetzt. Am anderen Morgen, den 7. August, rückten 
wir als Sieger in Lüttich ein, doch fehlte mancher liebe 
Kamerad, der jetzt bei Bellaire den ewigen Schlaf schläft." 
Den Sturm auf Lüttich hat persönlich General von 
Emmich geleitet, und der Kaiser hat ihm für diele Helden 
tat am 7. August den Orden Pcmr le merite verliehen. 
Der Sieger von Lüttich, General der Infanterie Otto 
v. Emmich, dessen Bild wir auf Seite 21 brachten, wurde 
am 4. August 1848 geboren, hatte also drei Tage vor dein 
erfolgreichen Sturm auf Lüttich sein sechsundsechzigstes 
Lebensjahr vollendet. Er trat 1866 in das Infanterie 
regiment Nr. 55 ein, wurde 1868 Leutnant, 1874 Ober 
leutnant, 1880 Hauptmann und Kompaniechef, 1889 Major, 
1894 Kommandeur des Jügerbataillons Nr. 11, 1895 Oberst 
leutnant, 1897 Kommandeur des Infanterieregiments 
Nr. 114, 1901 Generalmajor und Kommandeur der 31. Jn- 
fanteriebrigade, 1905 Generalleutnant und Kommandeur 
der 10. Division, 1909 General der Infanterie und Kom 
mandierender General des 10. Armeekorps (Hannover). 
Am 27. Januar 1912 erhielt er den erblichen Adel. Emmich 
hat sich im Feldzuge 1870 
auf 71 das Eiserne Kreuz 
zweiter Klasse erworben 
und ist nun für die Er 
stürmung von Lüttich 
mit dem höchsten preu 
ßischen Kriegsorden aus 
gezeichnet worden. 
Die Eroberung von 
Lüttich war die erste große 
Waffentat. bet deutschen 
Armee. Der bis zum 
7. Augustin unbedeuten 
den Grenzgefechten sich 
abspielende Krieg ge 
wann durch diese Tat 
auf einmal das Inter 
esse der ganzen Welt. 
Man merkte, daß die 
Deutschen noch mehr 
Pfeile im Köcher hatten, 
und man ahnte es, daß 
auf diesen großen Auf 
takt eine Schlachtenmusik 
folgen werde, wie sie die 
Kriegsgeschichte allerZei- 
ten noch nicht gehört 
hatte. Die Folge hat ge 
lehrt, daß diese Erwartung nicht getäuscht worden ist und daß 
der deutsche Aar zu immer höheren Flügen seine Fänge aus 
breitete. Wie unsere Feinde aber versuchten, die öffentliche 
Meinung irrezuführen, geht daraus hervor, daß nach der 
Einnahme der Festung Lüttich durch die deutschen Truppen, 
wie der „Lok.-Anz." berichtet, in Brüssel an allen Straßen 
ecken und Litfaßsäulen folgender Anschlag erschien: 
„Revolution in Deutschland! 
Italien und die Schweiz haben Deutschland den Krieg 
erklärt! 
Große Schlacht bei Lüttich! 
60 000 Deutsche gefallen und 40 000 Deutsche gefangen 
genommen! 
Die deutsche Armee in voller Flucht über die Grenze! 
Die belgische Armee hat nur 300 Tote!" 
Besser kann man es nicht verlangen. 
* * 
Während noch aller Blicke nach Belgien gerichtet waren, 
bereiteten sich auch an der französischen Grenze in den 
ersten Tagen des August große Ereignisse vor. Am 
1U. August wurde folgender amtliche Bericht verbreitet: 
Der von Belfort ins Oberelsasz nach Mülhausen ge 
gangene Feind, anscheinend das 7. französische Armeekorps 
und eine Infanteriedivision der Besatzung von Belfort, ist 
heute von unseren Truppen aus einer verstärkten Stellung 
westlich von Mülhausen in südlicher Richtung zurückgeworfen 
worden. , Die Verluste unserer Truppen sind nicht erheb 
lich, die der Franzosen groß. 
Das 7. französische Armeekorps, das in Bruyeres steht, 
Phot. Dr. ^öhlrnami. 
Von deutschen Truppen mit Maschinengewehren heruntergeschossener französischer Flieger bei Luneville.
	        
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