Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914. 
(Fortsetzung.) 
Die Vorgänge auf dem westlichen Kriegschauplatze haben 
von Anfang an weit mehr Interesse in Anspruch genommen, 
als die Kriegsoperationen im Osten. Bestand doch kein 
Zweifel darüber, datz sich die deutsche Kriegskunst in erster 
Linie im Westen bewähren müsse; denn mit den russischen 
Horden fertig zu werden, blieb immer noch Zeit genug. Wir 
wussten ja auch, dasz die Franzosen seit dreiundvierzig Jahren 
einen Nevanchekrieg gegen uns rüsteten und all ihr Sinnen 
und Trachten darauf gerichtet hatten, nicht etwa nur Elsatz- 
Lothringen zurückzuerobern, sondern ganz Deutschland zu 
grunde zu richten. Ein reiflich erwogener, jahrzehntelang 
überlegter und in allen Einzelheiten angeblich sorgfältig 
vorbereiteter Kriegsplan diente diesem Zwecke. Die Parole 
unserer Kriegsleitung mutzte deshalb lauten: „Auf nach 
Westen!" Die ersten Kriegstage bis zum 3. August haben 
wir bereits geschildert (Seite 52). Es waren nichtssagende 
Grenzgefechte, sozusagen Plänkeleien, die beweisen sollten, 
datz unsere westlichen Nachbarn gerüstet seien. Wir be- 
schränkten uns darauf, die französischen Einfülle abzu 
wehren, und unser erster Vorstotz über die Grenze wurde 
erst am 6. August gemeldet, an welchem Tage amtlich 
bekanntgegeben wurde, datz Briey nordwestlich von Metz 
von deutschen Truppen besetzt worden sei. Briey liegt 
wenige Kilometer nordwestlich von St. Privat. Hätte 
inan 1871 ahnen körmen, datz sich bei Briey gerade die 
riesigen Minetteerzlager befinden, so wäre natürlich die 
Grenze jenseits dieses 
nicht gegen Frankreich, sondern gegen Belgien gerichtet 
sein würden. 
In London und Paris hatte man über die Haltung 
der deutschen Negierung in der belgischen Frage die gröbsten 
Unwahrheiten verbreitet. Diesen Unwahrheiten wird am 
besten, entgegengetreten durch den Wortlaut der dem 
deutschen Gesandten in Brüssel am 2. August gegebenen 
telegraphischen Anweisung. Sie lautet: 
„Der deutschen Regierung liegen zuverlässige Nachrichten über 
den beabsichtigten Aufmarsch französischer Streitkräfte an der Maas- 
strecke Givet-Namur vor. Sie lassen keinen Zweifel über die Ab 
sicht Frankreichs, durch belgisches Gebiet gegen Deutschland vorzu 
gehen. Die Kaiserliche Regierung kann sich der Besorgnis nicht 
erwehren, datz Belgien, trotz dem besten Willen, nicht imstande sein 
wird, ohne Hilfe den französischen Vormarsch mit so grotzer Aus 
sicht auf Erfolg abzuwehren; datz darin eine ausreichende Sicherheit 
gegen eine Bedrohung Deutschlands gefunden werden kann. Es 
ist ein Gebot der Selbsterhaltung für Deutschland, einem feindlichen 
Angriff zuvorzukommen. Mit dem größten Bedauern würde es 
daher die deutsche Negierung erfüllen, wenn Belgien einen Akt der 
Feindseligkeit gegen sich darin erblicken würde, datz Maßnahmen 
seiner Gegner Deutschland zwingen, zur Gegenwehr auch seinerseits 
belgisches Gebiet zu besetzen. Um jede Mißdeutung auszuschließen, 
erklärt die Kaiserliche Regierung das folgende: 
1. Deutschland beabsichtigt keinerlei Feindseligkeiten gegen Bel 
gien. Ist Belgien gewillt, in dem bevorstehenden Kriege Deutschland 
gegenüber eine wohlwollende Neutralität einzunehmen, so verpflichtet 
sich die deutsche Regierung, beim Friedensschluß den Besitzstand und 
reichen Landstrichs ge 
zogenworden. Militärisch 
diente die erwähnte Maß 
nahme dem Bedürfnis, 
unseren Grenzschutz in 
Feindesland vorzuschie 
ben; anderseits stellte 
Briey — wenn der Krieg 
glücklich für uns ausging 
— eine Beute dar, die 
wir natürlich nicht wie 
der aus der Hand geben 
durften. 
Bevor wir aber diese 
Kunde von unserem Vor 
stoße auf französischem 
Boden erhielten, gab es 
ganz andere Aberraschun 
gen. In der Reichstags 
sitzung vom 4. August, 
über deren Verlauf wir 
auf Seite 33 u. folg, aus 
führlich berichtet haben, 
wurde das deutsche Voll 
durch die in der Rede 
des Reichskanzlers ent 
haltene Nachricht über 
rascht, datz unsere Trup 
pen in Belgien eingerückt 
seien. England hat diesen 
Einmarsch zum Vorwand 
für seine Kriegserklärung 
genommen, die gleichfalls 
am 4. August erfolgte. Wenn sich also England auf seiten 
Österreich-ungarische Infanterie besetzt ein Dorf an der serbischen Grenze. 
Belgiens schlug, so war auch mit einem kriegerischen Ein 
greifen Belgiens zu rechnen. In der Tat hat auch der 
belgische Gesandte noch am 4. August seine Pässe verlangt, 
was einer Kriegserklärung gleichzuachten rst. Unterm 
5. August wurde dann amtlich gemeldet: „Der englische 
Bot chafter und der belgische Gesandte haben heute früh 
Berlin verlassen." Von den deutschen Behörden waren 
den beiden Diplomaten zwei Salonwagen mit Sperse- 
wagen zur Verfügung gestellt worden. Ein höherer Be 
amter des Auswärtigen Amtes war ber der Abreise auf 
dem Bahnhof anwesend. 
Es war also klar, wir hatten auch gegen Belgien zu 
kämpfen. Aber diese Erkenntnis reichte nicht aus, um 
vorahnen zu lassen, datz unsere ersten großen Schlage 
Amerika,i. Copyright 1914 Bi) Union Deutsche Verlagsgesellschast in Stuttgart. 
die Unabhängigkeit des Königreichs in vollem Umfange zu garan 
tieren. 
2. Deutschland verpflichtet sich unter obiger Voraussetzung, das 
Gebiet des Königreichs wieder zu räumen, sobald der Friede ge 
schlossen ist. 
3. Bei einer freundschaftlichen Haltung Belgiens ist Deutschland 
bereit, im Einvernehmen mit den belgischen Behörden alle Bedürf 
nisse seiner Truppen gegen Barzahlung anzukaufen und jeden Schaden 
zu ersetzen, der etwa durch deutsche Truppen verursacht werden 
könnte. Sollte Belgien den deutschen Truppen feindlich entgegen 
treten, insbesondere ihrem Vorgehen durch Widerstand der Maas 
befestigungen oder durch Zerstörungen von Eisenbahnen, Straßen, 
Tunneln oder sonstigen Kunstbauten Schwierigkeiten bereiten, wird 
Deutschland zu seinem Bedauern gezwungen sein, das Königreich 
als Feind zu betrachten. In diesem Falle würde Deutschland dem 
Königreich gegenüber keine Verpflichtungen übernehmen können, 
sondern müßte die spätere Regelung der Verhältnisse beider Staaten
	        
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