Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
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zehn Kilometer vor Andenne angelangt waren, um sich in 
die Kolonne des Eros einzuschieben. Wir machten vor 
einem Dorf, an dem die Landstraße nach Andenne vorbei 
führt, Rast. Andenne selbst war unseren Blicken durch vor 
gestreckte bewaldete Anhöhen entzogen. Plötzlich vernahmen 
wir in der Richtung nach Andenne heftiges Gewehrfeuer, 
das etwa eine Stunde lang anhielt und von dem Donner 
einiger Kanonenschüsse begleitet war. Dann wurde es still. 
Wir zogen langsam durch das Dorf nach der Landstraße. 
Vor einzelnen Häusern mit Brunnen standen Trinkeimer. 
Da wurde von vorne der Befehl durch die Truppen weiter 
gegeben: „Nicht aus den Brunnen trinken; die Brunnen 
sind vergiftet." Gleich darauf pflanzte sich der weitere 
Befehl durch die Truppen durch: „Revolver heraus, Achtung 
auf Franktireurs!" Diese Warnung war nur zu berechtigt. 
Denn wenige Minuten später galoppierte ein Unter 
offizier mit der Meldung heran, daß er mit seinen Leuten 
aus einem Haus beschossen worden sei. Sofort drang die 
begleitende Infanterie in das Anwesen ein, erschoß die 
erwachsenen männlichen Einwohner und steckte das Haus 
in Brand. 
Langsam vorrückend, näherten wir uns bei einbrechender 
Nacht Andenne. Uber dem bewaldeten Höhenrücken, hinter 
dem die Stadt liegen mußte, glänzte in breiter Ausdehnung 
ein Feuerschein, bald stärker, bald schwächer werdend, das 
sichere Anzeichen eines gewaltigen Brandes. Um elf Uhr 
nachts waren wir auf der Höhe angelangt. Da bietet sich 
unseren Augen ein wunderbar grausiger Anblick. Vor uns 
in der Maasebene liegt eine brennende Stadt — Andenne 
— brennend an allen Ecken und Enden. Der Brand mußte 
schon stundenlang gewütet haben. Denn von vielen Häusern, 
insbesondere Fabriken, stehen nur noch die Mauern, zwischen 
denen brennende, glühende Ballen mit lautem Krachen 
zusammenstürzen. An anderen Stellen, an denen das 
Feuer besonders günstige Nahrung gefunden hat, lodern die 
Flammen zum Himmel empor, das furchtbare Schauspiel 
grell beleuchtend. Es war kein angenehmes Gefühl, in 
diese Stadt zwischen brennende Häuser einzureiten, immer 
gewärtig, von glühenden Balken getroffen zu werden. 
Unsere Vermutung, daß hier vor wenigen Stunden ein er 
bitterter Straßenkamps getobt haben mußte, wurde zur 
Gewißheit, als wir beim weiteren Einrücken die Leichen 
erschossener Franktireurs in wildem Durcheinander an den 
Rändern der Straße liegen sahen. 
Die innere, nach der Maas zu belegene Stadt, in die 
wir kurz nach Mitternacht einrückten, war vom Brand zum 
großen Teil verschont. Die Läden der Häuser waren ge 
schlossen. Kein Licht zeigte sich. Alles schien in voll 
kommener Ruhe zu sein. Wir biegen gerade nach einem 
freien Platz ein, als unter meinem Pferd ein harter Gegen 
stand aufschlägt. In demselben Augenblick erdröhnt ein 
fürchterliches Krachen und Zischen unter mir, Feuerstrahlen 
schießen knatternd rechts und links an meinem Pkerd empor, 
das noch einen gewaltigen Satz in die Höhe macht, dann 
nach der Seite zusammenbricht und mich zum Teil unter 
sich begräbt. Das Platzen dieser Bombe war offenbar das 
verabredete Zeichen zum Beginn des Kampfes. Denn nun 
begann aus allen Häusern des Platzes ein geradezu ohren 
betäubendes Schießen auf die Fahrzeuge der Munitions 
kolonne, die in kurzen Abständen im Galopp über den Platz 
eilten, um dieser gefährlichen Zone zu entrinnen. Man 
schoß aus allen Fenstern, Kellerlöchern und Dachluken; man 
schoß von den Balkons, aus Schießscharten und aus den 
halbgeöffneten Haustüren. Rechts und links neben mir 
prasselten die Kugeln funkensprühend auf das Pflaster. Ich 
versuchte, trotz der heftigsten Schmerzen, die ich infolge des 
Sturzes verspürte, meinen Schenkel unter dem Pferd 
herauszuziehen. Ich bildete hierbei für die Franktireurs 
jedenfalls ein bequemeres Zielobjekt, als die im Galopp 
dahinstürmenden Fahrzeuge. Endlich gelang es mir, mich 
freizumachen. Ich versuche, mich aufzurichten — da füllt 
aus unmittelbarer Nähe, aus einer Ecke des Platzes, ein 
Schuß. Ich sehe den Feuerschein, empfinde eine Er 
schütterung am Knie und spüre gleich darauf, wie Blut an 
meinem Schenkel herunterläuft. Ich raffe mich aus und 
taumle — begleitet von einem wüsten Kugelregen, aber 
begünstigt durch die Dunkelheit der Nacht — über den Platz 
nach der Straße, in welche die Fahrzeuge verschwunden 
waren, und sinke schließlich an der Treppe eines Gartens 
zusammen. Da knallt es auch schon hinter dem Gartentor 
und links und rechts hinter den Büschen und Bäumen unb 
aus den Fenstern des Hauses auf der anderen Straßenseite 
rneuchelmörderischer belgischer Bauern. 
Originalzeichnung von Fritz Bergen. 
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