Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
So manche Greueltat der russischen Soldateska wurde hier 
von durchaus einwandfreien Zeugen wiedergegeben und 
erweckte überall Zorn und tiefste Empörung. Ein alter 
Herr verlas den Brief seines Sohnes, der in der Front 
kämpft. In dem Schreiben heißt es unter anderem: Mir 
find sehr empört über die hinterlistige Kampfesweise der 
Nüssen. Sobald Teile von uns im Gefecht vorgehen und 
den Nüssen aufs Fell rücken, heben diese die Arme schon 
von weitem hoch und lassen durch Niederlegen der Gewehre 
erkennen, daß sie sich ergeben wollen. Sobald wir aber 
bis auf einige Schritte nahegekommen sind, schießen die 
Halunken mit dem schnell aufgehobenen Gewehre auf uns. 
In vielen Fällen wurde auch auf Mitglieder des Roten 
Kreuzes geschossen? Die feindlichen Gefangenen, die durch 
Gumbinnen geführt wurden, bestanden zum größten 
Teil aus russischer Infanterie. Einige sprachen Deutsch 
lind erzählten, daß sie bisher in allen Gefechten schreckliche 
Verluste erlitten hätten; die Schützengräben seien bis zum 
Rande von Gefallenen voll, viele Offiziere hätten sich 
immer hübsch vorsichtig hinter der Front gehalten. 
Inzwischen ist unser Zug eingefahren; er hätte doppelt 
so lang sein müssen. Es schien einfach unmöglich, alle zu 
befördern; einige Eumbinner kehrten um, um zu Wagen 
oder zu Fuß zunächst Insterburg zu erreichen. Wir anderen 
aber versuchten, so gut es ging, uns einzurichten, und bald 
saßen oder standen wir eingekeilt zwischen Betten und 
Reisegepäck aller Art im Zuge. Wer nie eine solche Fahrt 
mitgemacht, hat keinen Begriff davon, was es heißt, zwei 
undvierzig Stunden auf engstem Raum eingepfercht zu 
zubringen, während der Nacht völlig im Finstern, dazwischen 
Kindergeschrei. Und vor allem die Sorge um die Heimat! 
Würden wir noch einmal unser Häuschen unversehrt wieder 
sehen? Unwillkürlich denkt man der Friedenszeit, wo eine 
solche Fahrt im v-Zug Eydtkuhnen—Berlin fast eine Er 
holungsfahrt bedeutet. In Insterburg trafen wir auf 
einen Zug mit Gefangenen und Verwundeten. Neben 
deutschen Soldaten, die auf dem Schlachtfelde verwundet 
waren, sah man auch russische Verletzte. Sowohl diese 
als auch die in unsere Gefangenschaft geratenen Russen 
präsentierten sich zum größten Teil in recht schlechter 
Verfassung. Schuhwerk und Bekleidung lassen viel zu 
wünschen übrig, einige waren barfuß, die Uniformen be 
schmutzt und zerrissen. Wie gut, praktisch und haltbar ist 
dagegen der Anzug unserer deutschen Soldaten. 
In langsamer Militärzugfahrt ging die Reise über 
Königsberg, Dirschau, Schneidemühl. Am Sonntag, 
dem 23., gegen Morgen trafen wir auf Bahnhof Alerander- 
platz ein. Trotz der großen körperlichen Müdigkeit — zu 
nächst eine Zeitung! Und mit gespanntestem Interesse 
lasen wir: ,Das I. Armeekorps hat am 20. d. M. erneut 
den auf Gumbinnen vorgehenden Feind angegriffen und 
geworfen, dabei sind achttausend Gefangene gemacht und 
acht Geschütze erbeutet worden? Dankbaren Herzens ge 
denken wir unseres tapferen Heeres an der Ostgrenze, das 
unser Eigentum dort oben bisher machtvoll geschützt hat. 
Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, da wir im Gefühl 
vollkommener Sicherheit wieder die Rückfahrt antreten 
können!" 
Der bisherige Kriegsverlauf bildet ein unvergängliches 
Ruhmesblatt für die Truppen Ostpreußens, die allein den 
Ansturm der Russen auszuhalten hatten. Hocherfreulich war 
u. a. auch das schon im amtlichen Bericht mitgeteilte famose 
Reiterstückchen. (Siehe Seite 91.) 
Amtlich wurde über diesen Sieg von Gumbinnen ein 
gewisser Schleier gebreitet, und dieser Schleier wurde noch 
dichter, als folgende amtliche Meldung bekanntgegeben wurde: 
„Berlin, 24. August. (Wolffsches Telegraphenbüro.) Während 
auf dein westlichen Kriegschauplatze die Lage des deutschen Heeres 
durch Gottes Gnade eine unerwartet günstige ist, hat auf dem 
östlichen Kriegschauplah der Feind deutsches Gebiet betreten. Starke 
feindliche Kräfte sind in Richtrmg der Angerapp und nördlich der 
Eisenbahn Stallupönen—Insterburg vorgedrungen. Das I. Armee 
korps hatte den Feind bei Wirballen in siegreichem Gefecht auf 
gehalten. Es wurde zurückgenommen auf weiter rückwärts stehende 
Truppen. Die hier versammelten Kräfte haben den bei Gumbinnen 
und südlich vordringenden Gegner angegriffen. Das I. Armeekorps 
warf den gegenüberstehenden Feind siegreich zurück, machte sechs 
tausend Gefangene und eroberte mehrere Batterien. Eine zu ihm 
gehörende Kavalleriedivision warf zwei russische Kavalleriedivisionen 
und brachte fünfhundert Gefangene ein. Die weiter südlich kämpfen 
den Truppen stießen teils auf starke Befestigungen, die ohne Vor 
bereitung nicht genommen werden konnten, teils befanden sie sich 
in siegreichem Fortschreiten. Da ging die Nachricht ein vonr Vor 
marsch weiterer feindlicher Kräfte aus Richtung des Narew gegen 
die Gegend südwestlich der masurischen Seen. Das Oberkommando 
glaubte hiergegen Maßnahmen treffen zu müssen und zog seine 
Truppen zurück. Die Ablösung vom Feinde erfolgte ohne jede 
Schwierigkeit. Der Feind folgte nicht. Die auf dem östlichen Krieg 
schauplatz getroffenen Maßnahmen mußten zunächst durchgeführt 
und in solche Bahnen geleitet werden, daß eine neue Entscheidung 
gesucht werden kann. Diese steht unmittelbar bevor. Der Feind 
hat die Nachricht verbreitet, daß er vier deutsche Armeekorps ge 
schlagen habe. Diese Nachricht ist unwahr. Kein deutsches Armee 
korps ist geschlagen. Unsere Truppen haben das Bewußtsein des 
Sieges und der Überlegenheit mit sich genommen. Der Feind ist 
über die Angerapp bis jetzt nur mit Kavallerie gefolgt. Längs der 
Eisenbahn soll er Insterburg erreicht haben. Die beklagenswerten 
Teile der Provinz, die dem feindlichen Einbruch ausgesetzt sind, 
bringen dieses Opfer im Interesse des ganzen Vaterlandes. Daran 
soll sich dasselbe nach erfolgter Entscheidung dankbar erinnern. 
Der Generalquartiermeister, 
(gez.) v. Stein." 
Diese Meldung klingt nicht wie ein Siegesbericht. Nach 
Lage der Dinge handelte es sich aber lediglich um eine 
notwendige strategische Maßnahme. Das geht auch aus 
einer in der „Ostdeutschen Volks stimme" vom 22. August 
veröffentlichten Mitteilung des Ortskommandanten von 
Insterburg, Generalmajor Mittelstaedt, hervor, durch welche 
die Einwohner auf eine russische Invasion vorbereitet 
wurden. Da heißt es: 
„Die Russen sind gestern und heute vorwärts Gumbinnen schwer 
geschlagen und können vor acht Tagen nicht hier sein. Die hiesigen 
Truppen sind auf höheren Befehl anderswo zu verwenden, werden 
aber zwei bis drei Tage mindestens in der Nähe bleiben. Es wird 
bald größere Einquartierung kommen. Die Intendantur ist an 
gewiesen, durch die Stadtbehörden den hiesigen Einwohnern alles 
an Lebensmitteln zu geben, was sie hat. Einzelne direkt Anfordernde 
erhalten nichts. Falls die Stadt von preußischen Truppen geräumt 
und später (was überhaupt vor acht Tagen nicht möglich) die Russen 
Insterburg besetzen sollten, so ist es das beste, wenn jeder Einwohner 
in feinem Hause bleibt und den Russen gegenüber Gastfreundschaft 
übt. Nur dann, aber auch nur dann ist es gewährleistet, daß keine 
Repressalien geübt werden. Erfahrungsgemäß rauben die Russen 
nur die Häuser aus, die verschlossen sind. Es wird daher ernstlich 
geraten, daß jeder in seinem Hause bleibe. Ich ersuche in diesem 
Sinne zu wirken!" 
Der Oberbürgermeister von Insterburg, Or. Kirchhofs, 
erließ eine ähnliche Bekanntmachung an die Bevölkerung. 
Ängstliche Gemüter sahen in dieser Veröffentlichung 
und noch mehr in der amtlichen von uns oben wieder 
gegebenen Meldung vom Zurückziehen unserer Streit 
kräfte aus Gumbinnen ohne Grund einen Sieg der Russen. 
Am 26. August wurde amtlich bekanntgegeben, daß die 
ganze Sachlage unserer Kriegsleitung durchaus nicht un 
erwartet kam, sondern geradezu in ihrem Plane begründet 
lag. Dieser mußte ja darauf ausgehen, den ersten großen 
Hauptschlag nach Westen zu führen. War diese Absicht 
erreicht, so konnte mit vollen Kräften nach Osten vor 
gestoßen und den inzwischen kämpfenden österreichischen 
Brüdern zu Hilfe geeilt werden. In Wahrheit handelte es 
sich, wie bald klar werden sollte und später ausführlich 
berichtet werden wird, bei all diesen Maßnahmen um die 
Vorbereitung eines in den letzten Augusttagen geführten 
Hauptschlages. 
Unser Kriegsplan zeigte eine gewisse Übereinstimmung 
mit dem Österreichs. Auch die Österreicher hielten es nicht 
für der Mühe wert, besondere Streitkräfte nach Serbien 
zu werfen, denn dieser Staat drohte allein zugrunde zu 
gehen; schon durch den Kriegszustand an sich, weil ihm 
geradezu alles zum Kriegführen fehlte. Dagegen hatte 
Österreich-Ungarn seine Hauptmacht den Russen entgegen 
gestellt und fast zu gleicher Zeit, als die obige amtliche 
Meldung über Gumbinnen verbreitet wurde, einen ver 
nichtenden Schlag gegen Rußland geführt. Damals lagen 
die Verhältnisse so, daß die Russen einige Ortschaften in 
Ostpreußen besetzt hatten, die Österreicher aber schon weit 
in Russisch-Polen eingerückt und im Begriff waren, uns 
die Hände zu reichen. 
Auch der oberste Kriegsherr weiß, welches Bollwerk 
gegen die Russen unsere braven Ostpreußen darstellen. 
Unterm 27. August hat Seine Majestät der Kaiser dem 
Staatsministerium nachstehendes Telegramm zugehen lassen: 
„Großes Hauptquartier, 27. August. 
Die Heimsuchung meiner treuen Ostpreußen durch das 
Eindringen feindlicher Truppen erfüllt mich mit herzlicher
	        
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