Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 77
land an den Dardanellen schwer verwunden zu können,
mußte England — das ja für die Dardanellenkänipfe den
Ton angibt — den Versuch der Bedrohung Konstantinopels
durch einen gesteigerten Angriff auf die Dardanellen
wiederholen. Dieser erneute Versuch wurde mit den denk
bar gewaltigsten und großartigsten Mitteln begonnen. Unter
dem Wirbelfeuer der Schiffsgeschütze gelang die Landung
einer Armee auf türkischem Boden. Damit ist aber auch
alles gemeldet, was nach einem Erfolg aussehen könnte.
Wohl haben die englischen und französischen Söldnerheere,
ein recht buntes Völkergemisch, auf Eallipoli festen Fuß
gefaßt. Aber trotz der blutigsten Opfer, trotz übermächtiger
Anwendung der verheerendsten Kriegsmittel sind sie seit
vielen Wochen keinen Schritt vorangekommen. Der Strand
von Seddul Bahr ist besät mit dem Zeltlager und den
StapelplätzenderLandungsarmee(sieheuntenstehendesBild);
Transportkähne und Dampfer bringen ununterbrochen Ma
terial, Menschen und Tiere nach dem Landungsplatz und
nehmen zerschmetterte Kriegsmaschinen und — zerschmet
terte Menschen in Mengen mit zurück. Alles rücksichtslose
Draufgehen, alles noch so freigebige Nachschieben hilft nichts.
Der letzte übermenschliche Versuch, den harten Ver
teidigungsring endlich zu sprengen, geschah in der Dar
danellenschlacht vom 22./23. Juni. Der türkische Bericht
sagt von ihr, daß sie an Heftigkeit und Erbitterung alle
vorangegangenen Kämpfe in den Schatten stelle. Nach
ungeheuerlicher Artillerievorbereitung setzten die englisch
französischen Sturmkolonnen zum Angriff an. Farbige
und Weiße kamen bis dicht an die türkischen Linien. Erst
als der Gegner sich voll entwickelt hatte, traten dort die
Maschinengewehre und Schützen in Tätigkeit. Deutsche
Disziplin hob das Feuer der türkischen Schützen zu höchster
Wirkung. Die englisch-französischen Kolonnen wurden buch
stäblich weggemäht. Wo sie stellenweise die türkischen
Gräben erreichten, mußten sie im Nahkampf dem heiß
blütigen, ehrlichen Grimm der türkischen Soldaten unter
liegen. Dann stießen die Türken zum Gegenangriff vor.
Die Engländer und Franzosen wissen schon, was es heißt,
dem türkischen Soldaten bei seinem Sturmangriff zu be
gegnen. Sie wissen, daß dem stürmenden Türken gegen
über die Flucht der bessere Teil der Tapferkeit ist.
Der Ansturm vom 22./2Z. Juni war wieder vollständig
ergebnislos und blutiger als jeder vorangegangene. Nach
der vorsichtigsten Schätzung hatten die Angreifer allein
7000 Tote. Von Kampfzeugen wird aber betont, daß die Zahl
der Toten mit 12 000 nicht zu hoch angegeben sein dürfte.
Von der fürchterlichen Höhe der Menschenopfer, die der
Dardanellensturm kostet, kann man sich einen ungefähren
Begriff machen nach den Angaben eines Fremdenlegionärs
aus Lausanne, der vor den Dardanellen schwer verwundet
wurde und einige Briefe an seine Eltern richtete, die in der
Lausanner „Revue" veröffentlicht wurden.
Zunächst drückt er seine „Verblüffung" über die hoff
nungsvollen Zeitungsberichte von den Dardanellenlämpfen
aus und dann macht er auf Tatsachen beruhende Zahlen
angaben. Bei der ersten Landung am 28. April blieben
von den 1300 Mann seiner Abteilung 130 übrig. Sie erhielt
■ 800 Mann Verstärkung. Aber nach zwei Bajonettangriffen
am 8. Mai zählte die Abteilung wieder nur noch 300 Mann.
Mit neuen Verstärkungen in der Höhe von 1200 Mann
rückte die Abteilung am 1., 2. und 4. Juni ins Gefecht.
Auch jetzt kommen nur 300 bis 400 zurück, gut die Hälfte
mit so schweren Verletzungen, daß sie als völlig kampf
unfähig abgeschoben werden müssen. Außerdem wurde an
diesem Tage ein Linienregiment, ein Kolonialregiment
und ein australisches Regiment fast vollständig vernichtet.
Der Strand von Seddul Vahr mit dem Feldlager der englischen Landungsarmee
III. Band