Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
3 Uhr morgens schwamm der Honvedoberleutnant Kolo- 
man Pogany, den Übergang über die Brücke nicht er 
wartend, über den Bug und gelangte als erster in die 
Festung Brest-Litowsk. Der Brigadier General Desider 
Molnar, der erste Stationskommandant von Brest-Litowsk, 
teilte mir mit, daß seine Honveds bei Sonnenaufgang 
über die von ihnen selbst geschlagene Brücke, den König 
und das Vaterland hoch leben lassend, mit fliegenden 
Fahnen singend als erste in die flammende Stadt und 
Festung einzogen. Nach Mitteilungen des Hauptmanns 
Baron Gayer stürmten die Truppen wirklich durch Feuer 
und Wasser hindurch in die Festung, denn „wer keinen 
Platz auf der glühenden, glimmenden und schwelenden 
Brücke fand, stürzte sich in seiner Ungeduld in den Fluß 
und schwamm so nach dem anderen Ufer hinüber". Am 
Morgen des 26. August erschienen gleichzeitig mit diesen 
unseren vorgeschobenen Bataillonen auch deutsche Patrouillen 
in der Zitadelle und in der Stadt. Die Festung Brest- 
Litowsk war gefallen. 
Nächtlicher Leitungsbau. 
Von Ernst Trebefius. 
(Hierzu das Bild Seite 433.) 
Regenschwangeres, schweres Gewölk schiebt sich ohne 
Unterlaß über die Höhen und Täler der Aisne. Launisch, 
sprunghaftwieeine 
Katze greift die 
Windsbraut hinein 
in die nasse Luft, 
reißt riesige Fetzen 
heraus aus dem 
eilenden, fliehen 
den Element, 
schleudert sie auf 
und nieder in necki 
schem Spiel. Klat 
schend schlagen die 
nassen Blätter und 
Zweige gegenein 
ander. Dicke Trop 
fen rasseln her 
nieder ins feuchte 
Gras. Dichte, un 
durchdringliche 
Finsternis hüllt 
Wald und Wiesen 
ein, legt sich blei 
ern auf die Sinne 
und erweckt heiße, 
leidenschaftliche 
Sehnsucht nach ei 
nem warmen, woh 
ligen, trockenen 
Lager. 
Doch wir müs 
sen eine Fernsprechleitung bauen. Jetzt, zur Nachtzeit. 
Denn am Tage wäre das ein Unding. Wieder, immer wieder 
und immer wieder hatte uns der Feind die Strippe zer 
schossen. Unverdrossen hatten wir die Leitung Wochen 
hindurch dann stets wieder geflickt, an Stelle des so oft 
zerschossenen und so oft wieder geflickten Kabels ein neues 
eingebaut. Doch die feindlichen Geschosse fragten nichts nach 
unseren Nöten. Auch das neue Kabel sah bald wieder aus 
wie ein Strick mit vielen Knoten. Dazu die unaufhörlichen 
Scherereien und Betriebsstörungen, die natürlich gerade 
dann auftraten, wenn die Leitung am notwendigsten ge 
braucht wurde. Es half alles nichts. Die Leitung mußte 
noch einmal — zum drittenmal — neu gebaut werden. 
Diesmal jedoch wollten wir den rücksichtslosen Granaten 
ein Schnippchen schlagen. Wir waren durch sie gewitzigt. 
Die Leitung, die wir diesmal zu bauen auszogen, sollte 
uns so leicht kein feindliches Geschoß mehr zerstören. Mit 
einer Panzerung wollten wir unser Kabel versehen, an der 
sich auch die dickbauchigsten und härtesten Granaten ver 
geblich versuchen sollten. Freilich, ein hartes Stück Arbeit 
wird es werden diesmal; doch dafür wird es dann auch 
ganze Tage und Nächte, ja Wochen geben, in denen das 
gefürchtete, verhaßte Wort: „Unsere Leitung ist zerstört!" 
nicht mehr an unser Ohr dringen wird, wo wip während 
der dienstfreien Stunden wirklich der Ruhe pflegen können, 
statt wie bisher hinaus zu ziehen und in mehr oder minder 
heftigem Eranatfeuer unsere Leitung zu flicken. 
Dieser Gedanke versöhnte uns denn auch einigermaßen 
mit dem Geschick, das uns nun schon die vierte Nacht zum 
Leitungsbau verurteilte. Weniger versöhnlich betrachteten 
die 200 Kameraden von der Infanterie, die uns zur Unter 
stützung beigegeben waren, die ganze Angelegenheit. Kamen 
sie doch gleich uns um den ersehnten Nachtschlaf. Zudem 
hatten sie in all den Monaten des Stellungskrieges schon 
so viel gebuddelt, mußten auch jetzt noch so oft zum Spaten 
greifen, daß man es ihnen wohl nachfühlen konnte, wenn 
ihnen das Ausheben des zwei Meter tiefen Grabens, in das 
wir unser mit einer B'leibewehrung versehenes Kabel ver 
legen wollten, keinen sonderlichen Spaß bereitete. Doch 
ob mit Spaß oder Verdruß, das Kabel mußte in die Erde 
verlegt, der Graben also notwendigerweise ausgehoben 
werden. 
Es war ein hartes Stück Arbeit. Langsam nur kamen 
wir voran. Spaten und Kreuzhacken waren jede Nacht bald 
stumpf und mußten dann bis zum Tagesgrauen in diesem 
Zustand weiter benutzt werden, was der Förderung des 
Baues wenig zuträglich war. 
Noch war alles gut gegangen. 4 X 2 Kilometer Bleikabel 
lagen schon, gut eingebettet und mit zwei Meter schützender, 
festgestampfter Erde bedeckt, auf der durch Granattrichter 
zerfetzten, durch den 
Schwefel der Ge 
schosse gelblichgrün 
gefärbten Walstatt. 
Keine 500 Meter 
mehr, und die 
Strecke ist vollen 
det. Die gefähr 
lichste Stelle aller 
dings, diese 500 
Meter. Die meisten 
Leitungstörungen 
hatte sie uns bis 
her gebracht. Die 
Laufgräben zu un 
seren vordersten 
Stellungen kreuz 
ten die Strecke. 
Grund genug, daß 
sich das feindliche 
Artilleriefeuer Tag 
und Nacht gegen sie 
richtete. Bei Tage 
wäre das Eingra 
ben des Kabels eine 
Unmöglichkeit, ein 
törichter Selbst 
mord gewefen.Aber 
auch zur Nachtzeit 
war man keinen 
Augenblick sicher vor feindlichen Geschossen. 
300 Meter haben wir noch zu bauen. Die Strecke soll 
in dieser Nacht, der siebenten, noch fertig werden. Unter 
allen Umständen. Mehr als zweidutzendmal ist seit Bau 
beginn unser oberirdisches Kabel zerschossen worden. Zwei 
Tote und drei Schwerverwundete hat das Zusammen 
flicken der Leitung unserem Zuge gekostet. Stundenlang 
waren die vordersten Stellungen ohne telephonische Ver 
bindung mit dem Eeneralstab gewesen. Dieser unerquick 
liche Zustand mußte ein Ende nehmen. Unter allen Um 
ständen in dieser Nacht noch. 
Die 200 buddelnden Infanteristen sind durch 60 Pioniere 
verstärkt worden. Emsig, unverdrossen, kaum verschnaufend, 
graben und picken die Wackeren drauf los. Die feindliche 
Artillerie schweigt seltsamerweise diese Nacht. Um so besser. 
Hin und her laufen die beiden Pionieroffiziere; hier an 
spornend, dort Ratschläge erteilend. Wir Telegraphisten 
aber betten unsere Leitung im Schoß des Grabens. Be 
hutsam, umsichtig, mit liebevoller Sorgfalt. Werfen selbst 
die ersten, weichen Schollen nieder auf den bleibewehrten 
Nervenstrang des Feldheeres, damit kein scharfer Stein noch 
in letzter Stunde eine tödliche Verwundung herbeiführe. 
Alle, Infanteristen, Pioniere und wir Telegraphisten, sind 
ganz bei der Sache, alle gleich stark interessiert an der glück- 
Explodierte französische 7,3-em-Granate. P(ot. Beil. Jllustrat.-Ges. m. b. H.
	        
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