Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
und daran knüpfte Reuter, klug die günstigen Umstände 
benutzend, an. Da Belgien noch keinen Telegraphen 
hatte und Nachrichten aus dem Westen nur durch die 
Eisenbahn nach Aachen gebracht wurden, von wo sie tele 
graphisch weitergegeben wurden, richtete er in Holland, 
Belgien und Nordfrankreich Brieftaubenposten ein, wie das 
auch Havas getan, durch die alle Nachrichten schneller als 
mit der Eisenbahn über Brüssel nach Aachen kamen, von 
wo sie dann Reuter telegraphisch nach dem Osten weitergab. 
Wenn er auch nur um Stunden schneller unterrichtet war, 
so gewannen er und mit ihm seine Abonnenten doch oft 
für ihre Dispositionen in politischer und kommerzieller 
Hinsicht einen wichtigen Zeitraum und überflügelten so alle 
Konkurrenten. 
Im selben Jahr, als das erste llberseekabel Calais— 
Dover gelegt wurde, 1851, siedelte Reuter nach Lon 
don über. Hier in dieser großen Zentrale des Geld 
markts und des Handelsverkehrs wurde er erst das, was 
ihm als eigentliches Ziel vorschwebte: R.T.C. (Reuter’s 
Telegram Company), Reuter schlechthin. Allerdings dauerte 
es noch eine Reihe von Jahren, ehe er so weit kam, und 
er hatte Widerstände und Hindernisse mannigfachster Art 
zu überwinden. Erst volle acht Jahre nach seiner Aber- 
siedlung nach London hatte er die Genugtuung, eine seiner 
Meldungen im ersten Blatt der Hauptstadt zu finden. 
Da hatte er allerdings auch einen Rekord erreicht: denn 
was Napoleon III. mittags ein Uhr in den Tuillerien 
gesprochen hatte, konnten eine Stunde später die Times 
bereits ihren Lesern mitteilen. Damit war der Bann ge 
brochen und Reuter wurde nun R.T.C. Wie er einst 
mals seine Brieftaubenpost eingerichtet hatte, so hatte er 
in der Folge, - ehe es noch Kabel nach Amerika gab, 
Segeljachten, die die atlantischen Dampfer unterwegs ab 
fingen und ihre Nachrichten eiligst ans Land brachten, von 
wo sie dann telegraphisch nach London gingen, und so ge 
wann er wie damals wichtige Vorsprünge, wenn auch nur 
von Stunden. Als er abtrat, wurde sein Sohn Herbert 
sein Nachfolger, der 1915 durch Selbstmord endete. R.T.C. 
ist ebenso wie Havas schon lange eine Aktiengesellschaft 
mit einem Kapital von zwanzig Millionen Mark. Reuter 
und Havas haben , wie bereits erwähnt, uns lange vor 
dem Krieg, nur nicht so offenkundig, ihre Feindschaft be 
zeigt, und es wird nach dem Krieg eine sehr wichtige 
Aufgabe sein, unseren Nachrichtendienst im Ausland, um 
ihnen wenigstens einigermaßen das Gleichgewicht zu halten, 
neu zu gestalten. 
Die Defensive gegen Rußland ergab sich somit von selbst. 
— Kurz bevor dieser Übergang von unserer verfolgenden 
Offensive zum verteidigenden Stellungskrieg sich vollzog, 
spielte sich im Raume zwischen Dünaburg und Grodno die 
Schlacht bei Wilna ab. Nach dem Fall von Kowno hatten 
starke russische Kräfte, in der Richtung auf die Bahn Warschau- 
Dünaburg zurückgehend, sich im Raume von Wilna festgesetzt. 
Die einerseits zwischen Kowno—Wilkomir und nordöstlich 
davon, anderseits zwischen der Linie obere Meredschanka— 
Wilna—Swenzjany liegende, etwa 80 Kilometer breite 
Landstrecke gaben die Russen nur mit größtem Widerstreben 
nach und nach auf. Es war Sache der Armee Eichhorn, 
sie Schritt für Schritt zurückzudrängen. Die russischen 
Hauptkräfte wurden unterdessen, durch starke Nachhuten 
gedeckt, auf Minsk weiter zurückgeführt. Es entwickelten 
sich dann nordwestlich der genannten Bahnlinie lang 
andauernde, hartnäckige Kämpfe, in denen die Russen auch 
zu erkennen gaben, daß die von Japan und Amerika emp 
fangene Munition den Truppen zugeführt war. 
Es ist noch zweifelhaft, ob den Russen ihr Entschluß, 
den Raum von Wilna auf das Hartnäckigste zu vertei 
digen, zum Heile gereichte. Vielleicht wäre es klüger 
gewesen, die Nachhuten weniger stark zu machen und 
die Hauptkräfte einheitlicher einzusetzen. Die über meh 
rere Tage sich hinziehenden Schlachten gaben uns, ehe 
es zum eigentlichen Entscheidungskampf bei Wilna kam, 
die Gelegenheit, ein Umfassungsmanöver auszuführen, wie 
es in diesem Kriege leider nur selten zu ermöglichen war. 
.Der breite Raum zwischen Kowno und Dünaburg (siehe 
auch die Vogelschaukarte Seite 199) weist ein vielfach 
durchschnittenes Gelände auf. Eine große Anzahl von 
Seen breitet sich auf sanft gewelltem Landrücken aus und 
schafft manche Geländeenge, die leicht verteidigt werden 
kann und hinter der sich Truppenbewegungen vollziehen 
lassen, die der Gegner nur schwer zu ermitteln vermag, 
wenn er nicht über einen guten Fliegerdienst verfügt. 
Letzterer war bei den Russen nur in sehr geringem Grade 
entwickelt, wie uns die Karpathengefechte und die Rück 
zugsschlachten in Galizien und Polen gezeigt haben. Wir 
nutzten das Gelände und die hartnäckige Absicht der rus 
sischen Führung, bei Wilna in Nachhutkämpfen uns auf 
zuhalten, dahin aus, durch unsere Kavallerie die Umfassungs 
bewegung zu verschleiern, die uns den Sieg in der eigent 
lichen Hauptschlacht vor Wilna vorbereiten sollte. 
Der Ort Wilna selbst war als Hauptknotenpunkt der 
Eisenbahnen, als wichtiger Platz für den Nachschub und als 
Der Kampf um Wilna. 
Von Major a. D. Ernst Moraht. 
^Hierzu das Bild Seite 37t.> 
Der schier endlose Rückzug der 
Russen wurde nach der Übernahme 
des Oberbefehls durch den Zaren an 
einigen Stellen unterbrochen. Es schien 
der ernste Versuch gemacht zu werden, 
zunächst unsere seit Monaten an 
dauernde Offensive zum Stehen zu 
bringen, um sie dann durch starken 
Gegenstoß zurückzuwerfen. Wie vor 
weg bemerkt werden soll, ist letzteres 
den Russen nirgends gelungen, wäh 
rend man zugeben muß, daß der Still 
stand unserer Operationen im Osten 
bis zu einem gewissen Grade aus der 
weit über 1000 Kilometer langen 
Front eingetreten ist. Zwar lag der 
Grund hierfür nicht nur an dem Auf 
raffen der Russen und in der Ver 
stärkung ihrer Heere, welche zeitlich 
mit der Übernahme des Oberbefehls 
durch den Zaren zusammenfiel, son 
dern auch in dem leitenden Gedanken 
unserer Strategie. Dieser wurde mehr 
oder minder beeinflußt durch das Auf 
treten unserer westlichen Feinde in 
Frankreich und Belgien, und ander 
seits durch die Vorbereitungen, die 
von langer Hand her für den ser 
bischen Feldzug zu treffen waren. 
Serbische Soldaten an einer Feldküche. 
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
	        
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