Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Ein Eisenbahnzug mit gefangenen Russen auf der Fahrt durch die Karpathen. 
der Sturmangriff ein, der von Truppen ans Westungarn, 
dem Banat und der Bukowina unternommen wurde. 
Mit gefälltem Bajonett rannten sie mitten im Schützen- 
und Maschinengewehrfeuer des Feindes gegen die Gräben 
auf den Höhen von Gologory an, wo die Russen mit dem 
Todesmut der Verzweiflung den ungestümen Anprall der 
Söhne der Pußta aufzuhalten suchten. In den vordersten 
Gräben kam es zu erbittertem Nahkampf, Mann gegen 
Mann, während die Pioniere die Drahtverhaue durchschnitten 
und so den eingreifenden Reserven den Weg zu den hinteren 
Schützengräben des Feindes bahnten. Hier hatte die öster 
reichische Artillerie bereits ihre Schuldigkeit getan. Mit 
unheimlicher Genauigkeit waren die Geschosse der schweren 
Geschütze in Abständen von wenigen Schritten in die rus 
sischen Schützengräben gefallen, alles vernichtend und ver 
schüttend. Obwohl die russischen Truppen, die hier lagen, 
durchweg kampferprobte und tapfere Soldaten waren, 
so vermochten sie doch unter dem mörderischen Feuer die 
Stellung nicht zu halten. Wer nicht tot oder verwundet 
am Boden lag, der flüchtete beim Ansturm der österreichisch 
ungarischen Infanterie oder ließ sich gefangen nehmen. 
„Gegen einen Feind, der über eine so ausgezeichnete und 
überlegene Artillerie verfügt, werden wir niemals auf 
kommen können," bekannten gefangene russische Offiziere. 
Die Verluste der Russen waren allerdings sehr groß; 
von den in den Kampf geführten Truppen wurde fast die 
Hälfte getötet oder verwundet. Die Russen konnten, 
obwohl sie sich zu den schwersten Opfern entschlossen, den 
Durchbruch der österreichisch-ungarischen Truppen nicht 
mehr aufhalten. Schon am Abend des 27. August war 
Gologory erobert und bereits am nächsten Tage zog das 
V. Armeekorps in die an der Eisenbahnlinie Brody—Lem 
berg liegende Stadt Zloczow ein, die von den fliehenden 
Russen, die hier große Vorräte aufgestapelt hatten, in Brand 
gesteckt worden war. Die Stunde der Befreiung Nord 
ostgaliziens, das im August 1914 zuerst eine Beute des 
Feindes geworden war, hatte geschlagen, am 2. September 
erreichte die Armee Böhm-Ermolli die Stadt Brody, und 
damit war den österreichisch-ungarischen Heeren der Weg 
zum wolhynischen Festungsdreieck geöffnet. Am 6. Sep 
tember bereits schlug die Armee Böhm-Ermolli den Feind 
bei Podkamien und Radziwilow. Sie griff ihn in ganzer 
40 Kilometer breiter und stark verschanzter Front an und 
entriß ihm in heftigen, bis zum Handgemenge führenden 
Kümpfen das Schloß Podkamien, die stockwerkförmig be 
festigte Höhe Makutra, südwestlich von Brody, die Stel 
lungen bei Radziwilow und zahlreiche andere zäh verteidigte 
Stützpunkte. Die Schlacht dauerte an einzelnen Punkten 
bis in die Morgenstun 
den. Der Feind wurde 
überall geworfen und 
räumte stellenweise flucht 
artig die Walstatt. 
Der Stacheldraht 
im Kriege. 
(Hierzu die Bilder Seite 369.) 
Die Verwendung des 
Drahtes im Kriege wird 
zum erstenmal 1870 bei 
der Einschließung von 
Paris erwähnt. Damals 
war die Umfassungslinie 
durch einen mehrere 
Millimeter starten Eisen 
draht gekennzeichnet, der 
in der Höhe der deut 
schen Vorpostenstellungen 
um die französische Haupt 
stadt geschlossen herum 
geführt war. Aber dieser 
Draht war nur eine Mar 
kierungslinie und kein 
Verteidigungsmittel. 
Mehr ein Symbol des 
eisernen deutschen Ringes 
als ein Kriegsmittel. Da 
nach vergeht eine lange 
Zeit, und erst im Buren 
kriege hören wir vom Stacheldraht und von seiner Ver 
wendung zu sogenannten Stolperdrahtanlagen, und im 
späteren Verlaufe des Krieges auch von seiner Benutzung 
zu vollkommenen Drahtverhauen. 
Im Russisch-Japanischen Kriege feierten Stacheldraht und 
Drahtverhau bereits Triumphe. Die Russen, schon da 
mals Meister im Eingraben, errichteten vor ihren Gräben 
Verhaue, aus zehn und mehr Pfahlreihen, zwischen denen 
der Stacheldraht in Längen von Tausenden von Kilometern 
in unendlichem Kreuz und Quer gezogen und gespannt 
wurde. Die Praris zeigte auch, daß solch Verhau einen 
vorzüglichen Schutz gewährt. Ein schnelles Überspringen 
oder Überklettern dieser Stacheldrahtwälder durch stür 
mende Truppen war ganz ausgeschlossen. Die Truppen 
hätten sich dabei das Fleisch von den Knochen gerissen und 
wären doch nicht herübergekommen. Die Verteidiger be 
hielten unter allen Umständen genügend Zeit, die Stürmen 
den abzuschießen. So wurde die Entscheidung im Russisch- 
Japanischen Kriege in der Tat schließlich durch Umgehungs 
manöver herbeigeführt, da der Frontangriff für die Japaner 
vollkommen undurchführbar war. 
Sehr wirksam erwies sich der Stacheldrahtverhau auch 
bei der Behauptung der Tschadalschalinie seitens der Türken 
gegen die stürmenden Bulgaren. So darf es nicht wunder 
nehmen, daß das seit fünfzehn Jahren gut bewährte Mittel 
auch im Weltkriege sofort und in ausgiebigstem Maße An 
wendung fand. Der Stacheldraht gehörte bald, scherzhaft 
gesagt, zum täglichen Brot des Soldaten. Haben die 
Truppen sich irgendwo eingegraben, so müssen sie bei Tage 
begreiflicherweise im Schutze des Grabens hleiben und 
ständige schärfste Wachsamkeit ist gegen Überfälle am Platze. 
Sobald aber die Dunkelheit gekommen ist, beginnt die 
Drahtarbeit. Zuerst am weitesten vorgeschoben, nur wenige 
Zentimeter über dem Erdboden und möglichst im Grase 
verborgen, der sogenannte Stolperdraht. Er soll stürmende 
Gegner zum Stolpern und Hinstürzen bringen, daher sein 
Name. Zwischen ihm und dem eigenen Graben folgt 
nun erst der Bau des Drahtverhaues, das Eingraben der 
etwa mannshohen Pfähle und ihre Bespannung mit dem 
Stacheldraht. Schätzungsweise kann man annehmen, daß 
der Draht zwischen einer vierfachen Pfahlreihe etwa die 
fünfzig- bis hundertfache Länge der zu schützenden Front 
hat. Um also einen Strich von einem Kilometer zu decken, 
dürften 50—100 Kilometer Draht gebraucht werden, bei 
schweren Verhauen kann der Bedarf aber auch auf das 
Fünf- bis Zehnfache steigen. Das heißt also, daß Stachel 
draht ein Artikel ist, der im Felde im großen verbraucht 
wird, den man besser nicht nach Metern, sondern nach Meilen
	        
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