Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
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füllt den weiten Raum mit ihren Klängen. Das Orchester
stellte die Kapelle des Armierungsbataillons Nr. ... unter
der kunstsinnigen Leitung des Offizierstellvertreters Rie-
mann, die ihre Aufgabe mit Hingebung meisterhaft löste.
Mächtig verhallen die Akkorde, und nun nimmt die edle
Sprache unseres großen Altmeisters Goethe Herz und Sinn
gefangen, ein gleich erhebender Augenblick für die Zuhörer
wie für die Darsteller.
„Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann,
Und in der Fremde weiß er sich zn helfen,
Ihn freuet der Besitz, ihn krönt der Sieg,
Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet!"
Wie mögen diese Eoethischen Verse in den Herzen der
andächtigen Zuhörer mitgeklungen haben. Wohl niemals
ist die Dichtung vor einem tiefer ergriffenen Hörerkreis
wirkungsvoller gesprochen worden, als hier vor den Feld
grauen, die noch unter dem Eindruck mancher Kampf
szene standen, auf so geschichtlichem Boden, in dessen Nähe
noch die Kanonen des Weltkrieges ihren ehernen Ton weit
hin erschallen ließen. Zweieinhalb Stunden dauert das
Spiel ohne Pause, aber willig folgen unsere braven Feld
grauen dem Meister, wo
hin er sie führt in dem
erhebenden Geist edler
Dichtung, die uns über
den Alltag aufderMensch-
heit reine Höhen erhebt.
Ein endlos tosender Bei
fall dankt den Künstlern,
die selten mit solcher Hin
gebung ihr Bestes den
Besten gegeben haben.
Freundlich e Aufnahme
fanden die Künstler bei
den militärischen Behör
den in Namur. Schon
die Fahrt durch Belgien
war an Eindrücken reich.
Geschützt und wohlbe
wacht von einer deutschen
Postenkette jagt der Zug
durch das Land, das die
ersten Schrecken des Krie
ges gesehen. Aber nur
wenig Zeichen noch mah
nen an diese Schrecken.
Ein reiches, blühendes
Land bietet sich den
Blicken. Überall hat die
gründliche deutsche Ord
nung, wo es ging, die
Zerstörung des Krieges
wieder ausgeglichen und
schnell wieder aufgebaut,
was gegen unseren Willen
zerstört werden mußte. Der Empfang in Namur gestaltete
sich sehr herzlich. In kaiserlichen Automobilen wurden sie zur
Probe abgeholt und konnten auf der Fahrt durch Namur die
Schönheiten der freundlichen an der Maas und Sambre ge
legenen Stadt bewundern. Nur das Rathaus und seine Um
gebung boten noch ein Bild der Zerstörung. Von hier
aus haben belgische Soldaten auf unsere Rote-Kreuz- und
Lazarettzüge geschossen. Doch hinweg jetzt mit diesen kriege
rischen Bildern. Von der prachtvollen Kathedrale ertönt das
Sanktusläuten, weich schwellen die Schallwogen der reinen
Elockentöne über die in herrlichem Sommerschmuck da
liegende Stadt dahin, alles atmet eine friedliche Stimmung.
Eine stille Messe wird in der Kirche gelesen, an der so
mancher Feldgraue andachtsvoll teilnimmt. Vor der Kirche
spielt später eine Militärkapelle Platzmusik, deren rhyth
mischen Klängen auch die Namurer lauschen. Der Vor
stellung folgte am Abend bei einer Bowle ein gemütliches
Beisammensein im belgischen Lancierkasino, bei welcher Ge
legenheit der Gouverneur von Namur, Erzellenz Freiherr
v. Hirschberg, den Künstlern nochmals dankte und viel
Schönes über die Kunst und die Künstler, die zu einer
einzigartigen Aufgabe hierher gerufen wurden, zu sagen
wußte. Ein an Eindrücken reicher Tag fand so seinen
schönen Abschluß, undchankbar verließen die Künstler Namur
in dem frohen Bewußtsein, unseren braven feldgrauen
Soldaten in den Wirrnissen des Krieges einen herrlichen
Sommersonnentag verschönt und verklärt zu haben.
Wie wir uns das Kreuz 1. Klasse holten.
... Für Deine Glückwünsche herzlichen Dank. Deiner
Bitte um eine nähere Schilderung der Ereignisse komme
ich gerne nach. Unsere Stellung bei P. (Champagne) liegt
in ziemlich flachem Gelände, das nach dem Feinde zu lang
sam ansteigt. Der französische Schützengraben beschrieb
nun gerade uns gegenüber einen starken Bogen auf unsere
Stellung zu. Er wirkte ähnlich wie ein Keil und wurde
uns noch dadurch doppelt ungemütlich, daß sich auf dem
schmälsten, unbesetzten Streifen zwischen den Gräben, un
gefähr 100 Meter von uns wie auch vom Gegner entfernt,
in einem Eranatloch ein feindlicher Unteroffiziersposten
eingenistet hatte. Er beobachtete uns Tag und Nacht und
verhinderte uns, unbemerkt einen Annäherungsgraben an
die französische Stellung heranzuschieben. Der Posten
mutzte also in erster Linie verschwinden, und dann sollte von
dem Erdloch aus der feindliche Bogen eingedrückt werden.
Phot. Gebr. ^»aeclel, Berlin.
Goethes »Iphigenie auf Tauris" vor deutschen Soldaten und Verwundeten auf der Freilichtbühne in Namur.
Das war damals im Dezember. Die ersten Uberrump-
lungsversuche schlugen bei der Wachsamkeit des feindlichen
Postens fehl. Endlich in einer dunklen Nacht bekamen mein
Freund E. und ich vom Bataillonskommandeur die Er
laubnis, auf eigene Faust den Versuch zur Aushebung des
französischen Postens zu machen. Unsere Aufgabe war nicht
leicht, denn geschossen durfte nicht werden, um die Fran
zosen drüben im Graben nicht auf uns zu ziehen. Wir krochen
also wie zwei Indianer auf dem Kriegspfade, Seitengewehr
aufgepflanzt, an das Loch heran. Es dauerte etwa eine
halbe Stunde, aber dann waren wir unbemerkt bis auf
fünf Schritt vor unserem Ziel. Unterwegs hatten wir drei
Olsardinenbüchsen mit Sand gefüllt und mit diesen voll
führten wir jetzt eine köstliche Kriegslist. Auf ein Zeichen
warfen wir rasch hintereinander die drei Büchsen mit Sand
in das Loch, in dem wir die Rothosen schwatzen hörten.
Unsere „Handgranaten" hatten auch richtig die erhoffte
Wirkung. Mit einem entsetzten „Ob, malade, allons, allons!“
flitzten ihrer drei aus dem Loch heraus und rannten
auf den jenseitigen Schützengraben zu, während wir lachend
in die leicht eroberte Stellung schlüpften. Gleich darauf
begann drüben eine wahnsinnige Knallerei, aber wir saßen
wohlgeschützt in unserem Loch und lachten dazu. Wir hatten
jetzt die Rollen getauscht. In der nächsten Nacht kroch ich
zurück. Der Kommandeur gab mir zwanzig Mann mit und