Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
damals breit die Gefahren, die von Szawle aus sowohl der 
Stadt Riga wie der höchst wichtigen Bahnverbindung Düna 
burg—Erodno—Warschau—St. Petersburg drohten. 
Die Kämpfe um Seddil-Bahr. 
(Hierzu Bilder und Kartenskizze Seite 172—171.) 
Lange genug hatte das alte, noch von Sultan Moham 
med II., dem Eroberer Konstantinopels, erbaute Fort Seddil- 
Bahr der Beschießung durch die schwersten Geschütze der 
englisch-französischen Flotte standgehalten, und es war schließ 
lich keine große Heldentat mehr, das an der äußersten Dar-, 
danelleneinfahrt gelegene Fort zum Schweigen zu bringen. 
Ein rauchender Schutt- und Trümmerhaufen — das war 
Seddil-Bahr, als hier Ende April Engländer und Fran 
zosen Truppen landeten, die sich über die Halbinsel Eallipoli 
(s. die Karten Band I Seite 494, Band II Seite 242 u. 243) 
den Weg nach Konstantinopel bahnen sollten, was zur See 
der stolzen Armada der Verbündeten nicht gelingen wollte. 
Von Ari-Burun am Agäischen Meere bis zu dem Fort Eski 
Hissarlik zieht sich die englisch-französische Front; ihr liegen 
auf den Höhen von Krithia die Türken gegenüber, an deren 
uneinnehmbaren Stellungen jeder Angriff des Feindes zer 
schellt. Erst unter großen Opfern gelang es den Eng 
ländern allmählich, sich bei Seddil-Bahr und Kap Helles 
festzusetzen und von hier aus gegen das stark befestigte Krithia 
und das dahinter gelegene Bergfort Aki-Baba ihre stets ab 
geschlagenen Angriffe vorzubereiten. Diesen Kampf leitete 
die Artillerie ein, und um die türkischen Befestigungen und 
Stellungen wirkungsvoller unter Feuer nehmen zu können, 
haben die Engländer ihre schwersten Belagerungsgeschütze 
ans Land gebracht und in den Trümmern von Seddil-Bahr 
eingebaut. Es sind dies außer den gewaltigen Schiffs 
geschützen, die man von den beschädigten Panzerschiffen ge 
nommenhat, 38-om-Schrapnellkanonen, von denen jedes Ge 
schoß 20 000 Kugeln enthält, und die großen „Long-Toms", 
deren 16-Zoll-Eranaten mit Lyddit geladen sind, das furcht 
bare Erplosionen hervorruft und das Gelände weithin in 
dichten, gelben Rauch hüllt. Natürlich schweigen die Türken 
nicht, sondern antworten auf die Herausforderung, und 
wenn sie auch keine so großen Geschütze haben wie die 
Engländer und auch ihre Munition nicht sinnlos ver 
schießen, so fügen ihre Batterien den Angreifern doch 
ungleich schwerere Verluste zu. Sehr anschaulich schildert 
der englische Berichterstatter Ashmead Bartlett diese Artil 
lerieduelle: „Die 12-Zoll-Eeschosse suchten jeden Fleck der 
Abhänge ab, die zum Aki-Baba hinaufführen, während 
die kleineren Kanonen das Gelände, das unseren Schützen 
gräben näher lag, bestrichen. Das Geräusch war schreck 
lich; die Hügel gaben ein Echo von dem Donnern der 
schweren Geschütze und dem Knall der Tausende von platzen 
den Geschossen. Als Schauspiel ist die Szene wohl nie über 
boten worden: das ganze Land sah nicht aus, als ob es 
beschossen werde, sondern als ob es plötzlich ganz in Brand 
gesteckt und in wenigen Minuten von einer festen Schicht 
von gelbem, grünem und weißem Rauch bedeckt sei, aus 
Schauplatz der Dardanellenkämpfe. 
dem plötzlich Vulkane auszubrechen schienen, wenn die Gra 
naten auf den höheren Bergkuppen platzten." Aber das 
furchtbare Unwetter, das sich über den türkischen Stellungen 
entladet, vermag ihnen wenig anzuhaben, denn kaum ver 
stummen die englischen Geschütze und die Infanterie will 
zum Sturmangriff vorgehen, da wird es drüben auf Aki- 
Baba lebendig. „Kaum tauchten unsere Leute aus der 
Deckung auf, als ein wahrer Sturm von Gewehr- und Ma 
schinengewehrfeuer aus den Schützengräben und der Busch 
deckung, die die Granaten verbrannt hatten, losbrach." So 
tobt der furchtbare Kampf monatelang, ohne daß es den 
verbündeten Engländern und Franzosen trotz der ungeheuren 
Opfer, die sie rücksichtslos bringen, gelänge, auch nur 
einen nennenswerten Erfolg über den tapferen Feind 
davonzutragen. 
Kosakenplünderung bei Brest-Litowsk. 
(Hierzu die farbige Kunstbeilage.) 
In eine ferne Vergangenheit glaubt man sich zurück 
versetzt, wenn man der grausamen und barbarischen Krieg 
führung der Russen gedenkt, deren Soldateska in den be 
setzten Teilen Ostpreußens und Galiziens nicht zügelloser 
und roher hausen konnte, als es einst die Horden Attilas und 
Dschingiskhans taten. Der Schaden, den die Russen in den 
blühenden Gauen der Ostmark anrichteten, beläuft sich 
auf viele hundert Millionen, und als sie nach der Wieder 
einnähme von Przemysl und Lemberg durch die verbün 
deten Heere Galizien fluchtartig räumen mutzten, raubten 
und plünderten sie in Stadt und Land und brannten 
selbst die ruthenischen Dörfer nieder, um den Siegern 
nur noch eine leergebrannte Trümmerstätte zu überlassen. 
Schlimmer noch als in Galizien, wo ihnen die deutschen 
und österreichisch-ungarischen Truppen in wilder Jagd auf 
den Fersen folgten, hausten die Russen in ihrem eigenen 
Lande, in Polen. Die russische Heeresleitung griff zu der Ver 
zweiflungsmatznahme, die man vor hundert Jahren gegen 
die auf Moskau marschierende große Armee Napoleons an 
gewandt hatte. Die Bevölkerung erhielt in allen von den 
Verbündeten bedrohten Gebieten den Befehl, sofort aus 
zuwandern und sich unter dem Schutze der russischen Truppen 
ins Innere des Landes zurückzuziehen. Alles Getreide sowie 
Vieh und sonstige Vorräte mutzten die Bauern mitführen, 
denn nur die leeren Dörfer und Gehöfte sollten in die Hände 
des Feindes fallen. In stummer Verzweiflung nahmen die 
polnischen Bauern Abschied von der Heimat, wo sie von Kind 
an in schwerer, harter Arbeit ihr Brot verdient hatten. Den 
Blick zur Erde gesenkt, schreiten die Greise, ihre Habe 
auf dem Rücken schleppend, neben den Wagen her, auf denen 
weinend Frauen und Kinder sitzen. Ein trauriges Bild 
menschlichen Elends, die Tragödie eines armen, betrogenen 
Volkes, das seine gewissenlosen Führer aus Ehrgeiz und 
Habsucht ins Verderben stürzten! Die russische Heeres 
leitung hatte ihre Truppen mit Zelluloid, Spänen, Benzin- 
und Petroleumspritzen ausgerüstet und angeordnet, daß 
alle Ortschaften auf der Rückzugslinie sofort niederge 
brannt werden sollten, nachdem sie von der Bevölkerung 
geräumt seien. Besonders hart wurden von dieser grau 
samen Verfügung die jüdischen Bewohner betroffen» 
denen es nicht gestattet war, ihren oft wertvollen Be 
sitz zu retten und auf die Flucht mitzunehmen. Ihr 
ganzes Hab und Gut fiel den plündernden Kosaken zum 
Opfer, und die Ärmsten mutzten froh sein, wenn sie nur 
das nackte Leben retten konnten. „Was wir gesehen haben," 
so berichten Augenzeugen, die die österreichisch-ungari 
schen Truppen auf ihrem Siegeszug nach Brest-Litowsk 
begleiteten, „waren die fürchterlichen Schrecken eines un 
glücklichen Landes, über das eine Horde von Mordbrennern 
dahingegangen ist. An allen Straßen, auf denen sich die 
geschlagene russische Armee zurückzog, stehen von den 
Dörfern — und es waren von Russen bewohnte fried 
liche Dörfer — nur noch die gemauerten Schornsteine. 
Fast stündlich sieht man hinten auf der endlosen wolhy- 
nischen Ebene ein neues Dorf aufflammen, Zeichen da 
für, daß dir kosakischen Verteidiger Polens jetzt dort an 
gelangt sind." 
Doch hat dies barbarische Werk der Selbstvernichtung 
dem Vormarsch der verbündeten Heere nicht zu wehren, 
den Zusammenbruch des Zarenreichs nicht aufzuhalten 
vermocht.
	        
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