Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Achter Band. (Achter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
Deutscher Aufklär>mgsLrupp Ln Makedonien vor seinem Quartier, zum Aufbruch bereit. 
Und Werner, der sich fast fürchtete, verfrühte Hoffnungen 
in seinen Leidensgenossen zu erwecken, entgegnete aus 
weichend: „Es mutz von deutschen Krieg 
schiffen herrühren. Die russischen Batterien 
antworten nicht mehr." 
Nicht mehr! Sie antworteten nicht mehr! 
Hietz das — konnte es möglich sein? Wollte 
man die Stadt kampflos übergeben? 
Sie bestürmten Werner mit Fragen, sie 
klammerten sich an jedes Wort, neues Licht 
kam in die erloschenen Augen, Farbe auf 
die bleichen Wangen. 
Die Deutschen — wenn die Deutschen 
diesmal wirklich kämen! Wenn es nicht wie 
der nur ein vorübergehender Angriff wäre, 
wenn sie Ernst machten, die Stadt erober 
ten» noch vor dem nächsten Morgen, für den 
ein Transport festgesetzt war, das wußten 
alle, wenn vielleicht, nöck) in der Nacht ihre 
Landung im Hafen, vom Strande her über 
Bernathen ihr Aufmarsch sich vollzöge — — 
„Von Bernathen," sagte Werner behut 
sam, „hat sich das russische Militär zurück 
gezogen, vorläufig wenigstens. Die Haupt 
macht soll sich in Neu-Libau versammelt ha 
ben, man sprach sogar von einem Abzug 
über Grobin hinaus, aber wer kann die Ge 
rüchte nachprüfen? Was mag wahr sein? 
Phot. A. Grohs, Berlin. 
Der mehrfach im bulgarischen Hee 
resbericht rühmend genannte deut 
sche Kampfflieger Leutnant v. Esch- 
wege wurde nach seinem 20. Luft- 
sieg vom feindlichen Abwehrfeuer 
getroffen und starb den Heldentod. 
Vielleicht ant 
worten unsere Batterien nicht, um die Deutschen im Glauben 
zu lassen, die Stadt sei bereits preis 
gegeben —" 
Man stürzte sich über diese Nach 
richten, untersuchte sie auf ihre Mög 
lichkeit hin, überlegte, hoffte, nahm 
an, datz alles so sein müßte, und ver 
sank nach Stunden aufgeregtesten Mei 
nungsaustausches doch wieder in be 
klemmendste Ungewißheit, in trübste 
Zweifel: wenn die Berechnungen nicht 
stimmten, wenn noch nicht genug 
deutsches Militär vor Libau zusam 
mengezogen war, was dann? -- 
Daß die Schiffe keine Landung 
ohne Unterstützung durch die Ar 
mee wagen würden, stand bei ihnen 
allen fest. 
Und dann waren sie die Opfer, 
vielleicht die letzten, unschuldigen Opfer 
dieser entsetzlichen Zeit, die ihnen keine 
ruhige Stunde am Tage, keinen Nacht 
schlaf mehr gegönnt hatte. Wie ein 
Verhängnis drohte es seit Kriegsaus 
bruch ihnen allen. Kein Wort Deutsch 
hatten sie mehr sprechen dürfen, ihre 
oft schon seit Jahrhunderten bestehen 
den Firmen waren gelöscht, ihre Ge 
schäftsbücher verbrannt worden. Ver 
femten, Gehetzten, denen man eine 
ungewisse Gnadenfrist bewilligt, waren 
sie gleich gewesen. Es gab für sie 
keine Rettung, keinen Ausweg, man 
verfügte über sie nach Laune und Gut 
dünken. 
Allmählich verstummte der letzte 
Mund; es wurde ja dunkel, die Kirchen 
uhren hatten schon sieben geschlagen, 
die Nacht kam — ihr folgte der furcht 
bare Morgen. 
In allem Elend hatten sie gar nicht 
beachtet, daß man ihnen seit dem 
frühen Morgen weder Speise noch 
Trank gebracht hatte. Man mußte 
sie vergessen haben. Die Wasserkrüge 
waren längst leer, das trockene Brot 
hatte kaum zu einem Bissen für jeden 
gereicht; teilnahmlos warfen sie sich 
aufs Stroh nieder. 
Nur Werner stand unterm ver 
gitterten Fenster und horchte nach 
draußen. In ihm wollte die Hoff 
nung nicht sterben» die Kanonen hatten ja zu ihm ge 
sprochen und ihm eine Verheißung gegeben, und noch im 
mer schrien sie zornig und aufreizend durch 
den Abend. 
Da — ließen sie nicht nach? Trat nicht 
eine Pause ein, und noch eine? 
Plötzlich war es still. Totenstill. Be 
drückend nach dem Toben in der Luft seit 
dem Mittag, herzbeklemmend, beunruhigend, 
und doch 
„Die Geschütze schweigen," sagte Wer 
ner nach einer Weile. Die Mitgefangenen 
setzten sich aufrecht hin; mit allen Sinnen 
horchten sie nach drqußen. Ruhe, Frieden, 
was bedeutete es? 
Sie starrten vor sich hin. Entweder hat 
ten sich die Deutschen abermals zurückgezo 
gen, oder 
Zeit und Raum versanken ihnen; nur ein 
Gedanke noch beseelte sie — 
Gewißheit! Gewißheit! 
Noch eine Stunde verstrich in schmerz 
lichstem Warten. 
„Ich höre," sagte Werner leise, „ich höre 
gleichmäßige Marschtritte, höre das Getrap 
pel von vielen Pferden, das Rollen schwerer 
Wagen oder Geschütze, höre, höre —" und 
plötzlich brach es wie ein Jubelschrei von seinen Lippen: „Das 
sind deutsche Signale! Die Deutschen sind da, die Deutschen!" 
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin. 
Leben und Treiben auf einem bulgarischen Bahnhof in Mazedonien.
	        
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