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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18.
große Gebiete Frankreichs zu verbreiten, die vom Krieg
schauplatz weit entfernt lagen. In Stadt und Land stellte
sich eine bedenkliche Wohnungsnot mit außerordentlichen
Preissteigerungen ein, die wahrlich die Lust zum Durch
halten nicht vermehrten. Während beispielsweise Marseille
vor dem Kriege etwa 550000 Einwohner zählte, hielten sich
zu Anfang Juni ungefähr eine Million Bewohner in seinen
Mauern auf, Bordeaux beherbergte etwa 100 000 Menschen
mehr als gewöhnlich. Ähnlich lagen die Dinge in zahl
reichen anderen Städten, und dabei strömten immer noch
mehr Flüchtlinge zu. Paris bot nach den Berichten der
feindlichen Presse um den 20. Juni bereits denselben Anblick
wie im Herbst 1914. Zur Erleichterung der Räumung
wurden Ausschüsse der Zivilbevölkerung gebildet, um bei
eintretender Gefahr Verwirrung zu verhindern. Die fran
zösische Regierung traf Anordnungen für den Fall einer ver
stärkten Beschießung der Hauptstadt.
An Anstrengungen, die Bedrohung von Paris auf
zuheben, ließ man es weder in Frankreich noch in England
fehlen. In England sahen Anfang Juni nicht weniger als
75 000 Bergarbeiter der Einberufung entgegen, ungeachtet
des daraus entstehenden volkswirtschaftlichen Schadens und
der Drohungen der englischen Gewerkschaften. Auch aus
Irland suchte England herauszuholen, was irgend möglich
Meter lang und zwei Meter breit. An Bord befanden sich
zwei Elektromotoren, die dem Schiff eine Fahrtgeschwindig
keit von vier Seemeilen in der Stunde und einen Wirkungs
bereich von höchstens sechzehn Seemeilen verliehen. Die
Motoren trieben eine Kette ohne Ende, die in der Längs
richtung oben und unten um das ganze Schiff lief und in
bestimmten Abständen Greifzangen aufwies. Damit sollte
sich das Boot, wenn es sich den Hafenhindernissen genähert
hatte, in diese einhaken und sich über sie hinwegschieben.
Es konnte sich fast geräuschlos fortbewegen.
Einen schmerzlichen Verlust erlitt die k. u. k. Marine
durch die Vernichtung eines neuen Kampfschiffes der Klasse
des „Viribus Unitis", das während einer Fahrt im Adriati
schen Meere einem italienischen Torpedo zum Opfer fiel.
Auf dem Lande stellte Diaz im Raume von Treviso in
der Nähe der Piavesront (siehe die Karte Seite 392) eine
Bereitschaftsarmee auf, die er gegebenenfalls an beliebiger
Frontstelle rasch und wirkungsvoll einzusetzen gedachte. Den
größten Wert legte er auf die Sicherung der Bergfront
(siehe Bild Seite 395), denn wenn es dort den k. u. k.
Truppen glückte, die Ebene zu gewinnen, konnte er in
große Bedrängnis geraten. Es war sicher, daß die
Österreicher und Ungarn ihre Gegner an keiner Stelle
der langgedehnten Front unvorbereitet treffen würden.
Der Deutsche Kaiser im Gespräch mit einem gefangenen englischen Brigadegeneral auf dem Winterberg.
war. French erließ eine Aufforderung zur Meldung Frei
williger und verlangte von Irland monatlich 20 000 bis
30 000 Mann, wogegen er von weiteren Maßnahmen zur Ein
führung des Dienstzwanges für die Iren abzusehen versprach.
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Die gespannte Lage an der Front in Italien drängte
immer mehr zu einer Entscheidung, obwohl die ungleich
artigen Witterungsverhältnisse in dem Kampfgebiete, das
von den Schneehäuptern der Alpen bis an die von linden
Lüften umwehte Küste des Adriatischen Meeres reichte, Vor
sicht geboten erscheinen ließen. Die Italiener waren von
dem bevorstehenden Beginn einer österreichisch-ungarischen
Offensive fest überzeugt und suchten deshab mit häufigen
starken Angriffen störend zu wirken. Die verhältnismäßige
Ruhe, die so lange geherrscht hatte, hatte den Italienern
ihre alte Zuversicht zurückgegeben, und neue Siegeshoffnung
schwellte ihre Brust.
Ende Mai und Anfang Juni zeigten die Italiener auf
der See ganz besondere Rührigkeit, wobei sie sich einer klug
erdachten neuen Angriffswaffe bedienten. Zu ihren häufi
gen Vorstößen gegen die österreichisch-ungarischen Küsten
plätze verwendeten sie eine Art Meertank, üher den man
gelegentlich der Hebung des vor Pola versenkten Mo
torbootes „Grillo" (siehe das Bild auf Seite 364) Näheres
erfuhr. Das aus Holz gebaute Fahrzeug war etwa zwölf
Trotzdem konnte die österreichisch-ungarische Führung einen
schönen Erfolg verzeichnen» als sie den Angriff eröffnete,
der am 14. Juni mit einem äußerst schweren Artilleriefeuer
auf der ganzen 150 Kilometer langen Front von den Alpen
bis an die See eingeleitet wurde. Im Gebiete von Asiago
drangen die k. u. r. Streitkräfte schon im ersten Ansturm
bis in die dritte feindliche Stellung vor, und an allen wich
tigen Bergstellungen beiderseits der Brenta machten sie be
deutende Fortschritte. Noch erheblich wirkungsvoller war
ihr Ansturm an der Piavefront (siehe Bild Snie 394). Im
Norden stürmten die Angreifer die wichtige Montellostellung
(siehe die Kunstbeilage) und beseitigten dadurch die Gefahr
der Flankierung ihres im Rahmen dieses Unternehmens
weitaus wichtigsten Vorstoßes in die italienische Stellung an
der unteren Piave im Raume beiderseits der Eisenbahn
Oderzo—Treviso und weiter südlich zwischen Fossalta und
Musile (siehe die Karte Seite 392).
Überall prallten die Angreifer unter ihren Führern
Generaloberst Erzherzog Josef, General der Kavallerie Fürst
Schönburg und Generaloberst Freiherrn v. Wurm (siehe
die Bilder Seite 392) mehrere Kilometer tief in die feind
lichen Linien vor und machten schon am 15. Juni nahezu
20000 Gefangene. Die Italiener führten nun äußerst wuch
tige Gegenstöße, wodurch die Österreicher und Ungarn an
der Bergfront, besonders beiderseits der Brenta, rasch zurück
gedrückt wurden, so daß ihr Geländegewmn nur noch ein