Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Achter Band. (Achter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
schätzen, kann man annehmen, daß noch vor Ende des 
Jahres 1917 bei der Gesamtheit der Kriegführenden die 
Zahl der Heeresangehörigen, die gefallen oder durch Wir 
kung des Krieges gestorben sind, die zehnte Million über 
schritten hatte. Dazu kommt der Tod von Hunderttausenden 
der Zivilbevölkerung, meist Frauen und Kindern; es sei nur 
an das Massensterben der russischen und serbischen Flücht 
lingsscharen erinnert. Dieser Eesamtverlust von wahr 
scheinlich elf Millionen (bis Ende 1917) verringert sich um 
schätzungsweise eine halbe Million derer, die unter den 
Opfern des Krieges mitgerechnet sind, aber, nach der 
Durchschnittsterblichkeit, auch während einer entsprechenden 
Reihe von Friedensjahren gestorben wären. Es bleibt an 
erwachsenen und arbeitsfähigen Menschen ein Reinverlust 
von etwa zehn Millionen, von denen achteinhalb bis neun 
Millionen auf Europa entfallen. 
Die Zahl der Männer, die infolge von Verwundung 
oder Krankheit ihre Arbeitskraft völlig oder zum größten 
Teil verloren haben, ist schwer zu schätzen. Sie ist in Deutsch 
land verhältnismäßig gering, in Rußland sicherlich sehr 
groß, bei den meisten Feinden der Deutschen größer als 
bei diesen. Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung führt auf etwa 
zwei bis Zweieinhalb Millionen. Andere Millionen haben 
eine Minderung ihrer Arbeitsfähigkeit erfahren. Zieht man 
diese Einbußen zusammen, so muß man annehmen, daß 
Ende 1917 die Erdbevölkerung etwa vierzehn bis fünfzehn 
Millionen, Europa mindestens zwölf Millionen voller Ar 
beitskräfte weniger zählte, als unter 
sonst gleichen Verhältnissen ohneKrieg 
vorhanden gewesen sein würden. 
Die eine Auffassung nun fol 
gert» daß einem solchen Verlust an 
lebendiger Kraft ein bedeutender 
Rückgang der wirtschaftlichen Gesamt 
leistung, ein Sinken des Wohlstandes 
in allen vom Krieg betroffenen Län 
dern entsprechen müsse. Deutschland 
zum Beispiel müsse nicht nur mit den 
unmittelbaren Kriegsausgaben, son 
dern auch mit einer Herabminderung 
seiner wirtschaftenden Kräfte rechnen. 
Sei durch den Krieg die Zahl der 
arbeitsrüstigen Männer zwischen 
zwanzig und vierzig Jahren auf den 
Stand von 1907 herabgedrückt, so sei 
es auch die allgemeine wirtschaftliche 
Leistungsfähigkeit. Anders ausge 
drückt: die Deutschen müssen bis 
1924 oder 1925 warten, bevor sie, von 
sonstigen Verlusten abgesehen, wieder 
dort angelangt sind, wo sie am 1. August 1914 waren. 
Die gegenteilige Meinung, wie sie beispielsweise in dem 
Volkswirtschaftler Franz Oppenheimer einen Sprecher hat, 
will gerade in der verringerten Zahl der Arbeitsfähigen 
einen Anlaß des wirtschaftlichen Aufstiegs sehen. Wenn 
nicht das Ganze, so doch der einzelne Arbeiter (und durch 
ihn doch wieder das Ganze) würde bei der neuen Ver 
teilung gewinnen. Bei einem Ausfall von fünfzehn bis 
zwanzig Millionen europäischer Arbeitskräfte, so etwa 
folgert (die Zahl übertreibend) Oppenheimer, wird die 
menschliche Arbeit, wie jede seltener gewordene Ware, 
höher bewertet werden; dem Arbeitenden wird es gut gehen. 
Seine Leistung wird um so begehrter sein, als bei verringerter 
Zahl der Werterzeuger die Zahl der Verbraucher gewachsen 
sein wird. Höhere Bewertung der menschlichen Arbeit aber 
ist höherer Wohlstand. 
Es ist klar, daß diese Art des Schlußfolgerns nur für 
den einzelnen Arbeitenden und auch für ihn nur im Hinblick 
auf die rechnerische, vom Geldwert geregelte Höhe der 
Entlohnung Gültigkeit haben kann; keinesfalls aber für die 
Gesamtheit. Die Gesamtheit lebt nicht vom Geld; für sie 
ist es ganz gleichgültig, wie hoch die einzelne Leistung in 
Geldsummen bewertet wird : ihr 'Wohlstand ist gleich 
bedeutend mit der Menge der erzeugten Güter. Diese 
Werterzeugung nimmt aber ab und nicht zu, wenn die 
Zahl der Erzeuger geringer wird: Tod und Verstümmlung 
können keine Mehrer des Wohlstands sein. Indessen, viel 
leicht leidet wohl die Gesamtheit Schaden, der einzelne 
Arbeitende jedoch, der freilich für mehr Nichtarbeitende 
als sonst zu sorgen hat, ist desto gesuchter und besser be 
zahlt; wie Oppenheimer das ausdrückt: die Zahl der Wert- 
erzeuger hat abgenommen, die Zahl der Verbraucher ist 
größer geworden. So einleuchtend es scheint: eben das 
trifft nicht zu. Beide Auffassungen: die von der verringer 
ten Arbeitsfähigkeit der Gesamtheit und die von dem zwischen 
Erzeugern und Verbrauchern veränderten Zahlenverhältnis 
gehen von falschen Voraussetzungen aus. 
Die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland wird durch 
den Krieg zwar in ihrer natürlichen Zunahme verzögert, 
aber nicht absolut verringert sein. Die Zahl der Verbraucher 
aber wird mindestens nicht zugenommen haben. 
Wie ist dies möglich, da doch der Krieg viele Hundert 
tausende von Arbeitsrüstigen getötet, gerade die „Ver 
braucher" aber, die Kinder, die Alten und die nichterwer 
benden Frauen verschont hat? Die Bevölkerungsstatistik 
gibt die Antwort. Die Deutschen sind ein Volk, das an 
Kopfzahl zunimmt, aber nicht gleichmäßig; mit anderen 
Worten: die Altersschichtung verändert sich. Wäre Friede 
geblieben, so wäre die Eesamtbevölkerung zwar um etwa 
750 000 Köpfe jährlich gewachsen, die Zahl der Kinder 
jedoch hätte nicht zugenommen, wäre wohl selbst ein wenig 
geringer geworden. Die Menge derer, die dem Kindes 
alter entwachsen, und derer, die vorher sterben,, ist zu 
sammengenommen ebenso groß wie die Zahl der Neuge 
borenen: die Bevölkerungszunahme verschiebt fortdauernd 
das Zahlenverhältnis zugunsten der Erwachsenen. In Zif 
fern: etwa 1450 000 Deutsche überschreiten jährlich das 
sechzehnte Lebensjahr; 650 000 derer, 
die es überschritten haben, sterben. 
Das ergibt einen Überschuß von 
rund 800 000, der somit größer ist 
als der ganze Bevölkerungszuwachs. 
Von den Deutschen zwischen sechzehn 
und sechzig Jahren sterben gegen 
300 000; 450 000 treten ins Greifen- 
alter. Der jährliche Zuwachs inner 
halb dieser arbeitsfähigen Schicht 
beträgt also 700 000; er ist auf Män 
ner und Frauen ziemlich gleich ver 
teilt. 
Das Ergebnis: allein an Män 
nern im arbeitskräftigen Alter nimmt 
Deutschland um jährlich 350 000 zu. 
Vom 1. August 1914 bis Ende 1918 
bedeutet dies einen normalen Zu 
gang von mindestens anderthalb 
Millionen männlicher Arbeitskräfte. 
Schon damit ist der Kriegsverlust 
(der Zahl nach) annähernd ausge 
glichen. 
Dazu kommt aber der Gewinn an weiblichen Arbeits 
kräften. Von 1895 bis 1907 nahm, nach dem Ergebnis der 
Berufszählung, die Zahl der erwerbstätigen Frauentum 
2,9 Millionen zu, oder fast um eine Viertelmillion jährlich. 
Es entsprach dies annähernd dem ganzen Zugang an Frauen 
zwischen sechzehn und sechzig Jahren. Seitdem wird sich 
die Neigung der Frauen, ins Erwerbsleben einzutreten, ge 
wiß nicht vermindert haben; der Krieg und die Nachkriegs 
zeit werden sie sogar steigern. Sicherlich nimmt jetzt und in 
der nächsten Zeit die Zahl der (im Erwerbsinn) tätigen 
weiblichen Arbeitskräfte um 300 000 jährlich zu. Das be 
deutet abermals bis Ende 1918 einen Zugang von 1,3 bis 
1,4 Millionen. Insgesamt wird somit Ende 1918 den 
Kriegsverlusten ein Gewinn von fast 3 Millionen Arbeits 
kräften gegenüberstehen. Ihre Gesamtzahl (wenn der Krieg 
nicht noch sehr lang und sehr blutig ist) wird um mindestens 
1 Million höher sein als am 1. August 1914. Freilich auch 
anders zusammengesetzt: der Zuwachs wird auf die 
Frauen und bei den Männern auf die Jugendlichen und 
auf die Alteren (zwischen vierzig und sechzig Jahren) 
entfallen. Die Zahl der Männer zwischen zwanzig und 
vierzig Jahren wird vorerst geringer sein als bei Kriegs 
ausbruch. 
Wie steht es aber mit dem Überwiegen der „Verbrau 
chenden"? Ihre Zahl wird nicht vermehrt, sondern ver 
ringert sein. Einer verminderten nur verbrauchenden Be 
völkerung steht eine um eine Million vermehrte arbeitende 
gegenüber. Der Krieg hat den Zuwachs menschlicher Wirt 
schaftskraft in Deutschland verzögern können; ihn unter den 
Stand von 1914 zu drücken, hat er nicht vermocht. 
Phot. Berl. JNiistratMes. m. b. H. 
Eine Kriegsauszeichnung für deutsche U-Boot -Be 
satzungen. 
Das aus patinierter Bronze hergestellte Abzeichen kann 
Offizieren, Deckoffizieren und Mannschaften verliehen 
werden, die sich auf drei Fahrten gegen den Feind be 
sonders hervorgetan haben.
	        
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