Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Achter Band. (Achter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
Kind, das sich zum Schlafen 
zurechtlegt, wandte er den 
Kopf zur Seite, so daß er 
ihre Wange berührte. Dann 
streckte er die Arme über der 
Decke mit einer unendlich 
müden Bewegung aus und 
schlief ein. 
So blieben sie, bis der Arzt 
zu ihnen trat und sie hinweg 
führte. — 
Das war die Krisis ge 
wesen. Als die beiden Frauen 
am nächsten Morgen den Ab 
teilungsarzt aufsuchten, streckte 
er ihnen mit Hellem Gesicht 
beide Hände entgegen: „Er 
hat die ganze Nacht geschlafen, 
und heute morgen ist er fie 
berfrei!" 
Er genas. In feine Ge 
nesung hinein kam eine dop 
pelte, große Freude. Er wurde 
zum Offizier befördert und 
erhielt das Eiserne Kreuz erster 
Klasse. 
Erstaunlich rasch erholte sich 
der von den Strapazen des Krieges 
gestählte Körper. Schon vierzehn Tage 
später konnte er in sein Heimatlazarett 
nach Freiburg verlegt werden. Wenn 
er dort, von der Geliebten geführt, 
durch die Straßen ging, die grüne 
Brille vor den Augen und mit dem 
Stock vorsichtig vor sich hintastend, 
aber in Gesicht und Haltung die voll 
kommene Ruhe der Überwindung, 
dann blieben wohl hier und dort die 
Menschen stehen oder streiften das 
Mädchen an seiner Seite mit einem 
Blick, in dem das Beste lag, dessen 
sie fähig waren. Sie hatten wäh 
rend der langen Dauer des Krieges 
viele gesehen, denen der Hader mit 
ihrem Schicksal im Gesicht stand. Mit 
denen hatten sie gelitten, sich mit 
ihnen gequält, wohl auch in furcht 
samer Neugier ihnen nachgestarrt und 
waren dann aufatmend weitergegan 
gen mit dem schlechten Dank im 
Herzen, daß das Schicksal ihn getroffen 
und nicht sie. Aber der Anblick dieser 
beiden starken Menschen rief alles 
Gute in ihnen wach. Sie dankten 
ihrer Überwindung mit einem befrei 
ten Lächeln, in dessen Tiefe Tränen 
standen. Maria hatte zuerst unter der 
allgemeinen Aufmerksamkeit gelitten. 
Aber als sie immer öfter denselben 
Blick sah und ihn verstand, richtete sie 
den Kopf um ein Weniges höher auf 
und sah mit unendlicher Zärtlichkeit 
auf den Geliebten, dem sie den Dank 
gab für alles Große, das in ihr war. 
Im Lazarett war Besichtigung 
durch einen berühmten Chirurgen. 
Vor Leutnant Gräfe blieben die Arzte 
lange stehen. Er hörte den Vortrag 
des Stationsarztes, hörte an dem 
leisen Knirschen der Glasplatten, wie 
man die Röntgenaufnahmen aus 
packte, hörte mit wachsender Erregung 
die Fragen des Chirurgen, die alle auf 
dasselbe Ziel hinauswollten, 
und erschrak, als dieser ihn an 
redete und fragte, ob er denn 
keinen Schimmer von Licht 
mehr sehe. Doch, auf dem 
rechten Auge, ganz außen, 
konnte er bei hellem Licht 
etwas wie einen fernen Schein 
wahrnehmen. 
In unbeschreiblicher Erre 
gung blieb er zurück, als die 
Arzte sein Zimmer verlassen 
hatten. Wenn jetzt doch die 
Geliebte da wäre! Diesen 
Funken von Hoffnung konnte 
er allein fast nicht ertragen. 
Wie am ganzen Körper ge 
lähmt saß er auf dem Stuhle 
vor seinem Bett. Da ging die 
Tür. Er hoffte, es fei die Ge 
liebte, und tastete sich ihr ent 
gegen. Aber es war der Chir 
urg, der aus der Haltung des 
Blinden gesehen hatte, was in 
ihm vorging, und selbst ver 
suchen wollte, ihn zu beruhi 
gen. Er faßte ihn bei der Hand 
und führte ihn zu seinem Platze 
zurück. „Mit Ihnen kann ich 
offen reden," begann der Arzt 
Phot. Paul Nettelbeck, Berlin. 
Bilder aus dem Cholmer Gebiet. 
Oberes Bild: Straßenbild von Cholm. — Mittleres Bild: Ukrainische Juden am Sabbat in 
Cholm. — Unteres Bild: Ukrainische Bäuerin am Spinnrad.
	        
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