Volltext: Mit Herz und Hand fürs Vaterland!

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Gegen mich hatte der Kapitain — obwohl er genau wußte und zudem 
die beiden französischen Begleitoffiziere ihn aufmerksam gemacht hatten, das 
Papier sei belgisch — die infame Anklage erhoben: inculpe d'avoir en France 
frauduleusement soustrait des papiers militaires (Beschuldigt, sich in Frank- 
reich auf betrügerische Weise militärische Papiere angeeignet zu haben). Die 
beiden Offiziere, welche mich am achten Tage verhörten, wurden ganz rot vor 
Scham, als ich sie bat, mich die Anklage lesen zu lassen, und sie belehrte, es 
liege hier ein dreifaches „Mißverständnis" vor. Schon damals war ich sicher, 
daß das Kriegsgericht die Anklage fallen lassen und mich nicht vor sein Tri- 
bunal fordern werde. Wenn ich mir aber von Tag zu Tag Freiheitshoffnungen 
machte, so sollte ich eine große Enttäuschung erleben. Ohne die geringste Ver- 
günstigung, wie ein gemeiner Verbrecher, mußte ich noch neun weitere Wochen 
hinter Schloß und Riegel sitzen. 
Am 24.,25. und 26. November hörte ich die Leidensgefährten zur Ge- 
richtsverhandluug gehen. Wie man mir später erzählte, brachte diese halb 
Paris auf die Beine, um die Aerzte, Schwestern und Sanitäter auf der An- 
klagebank zu sehen. Einer der besten Pariser Rechtsanwälte führte die Ver- 
teidiguug so geschickt, daß die beiden Aerzte, für welche fünf Jahre beantragt 
waren, „nur" ein Jahr erhielten und die „diebischen" Schwestern sogar mit 
„nur" drei Monaten davonkamen. „Man hat mich," so soll ein Teil seiner 
Rede gelautet haben, „zu mit Revolvern bewaffneten Schwestern gerufen, und 
nun finde ich Schwestern mit einem Handtuch." Inspektor F. war wegen 
eines Feuersteins eingesponnen worden; das kam selbst den Parisern nnge- 
heuerlich vor, denn das ganze Auditorium brach in Lachen aus, als das corpus 
delicti auf den Verhandlungstisch niedergelegt wurde. Damals wurden weitere 
35 Mann freigesprochen, aber auch für diese hieß es ausharren in der Einzel- 
Haft bis zum 14. Dezember. 
An diesem Tage kam um neun Uhr vormittags der Wächter zu mir mit 
den Worten: „Ziehen Sie die Gefängniswäsche aus, in einer Viertelstunde 
reisen Sie ab." Ich traute meinen Ohren kaum bei dieser Freudenbotschaft, 
denn ich hatte mich schon darauf gefaßt gemacht, bis zum Ende des Krieges 
im Gefängnisse bleiben zu müsseu. Nun ging es, glücklicherweise in geschlossenen 
Verwundetenwagen, zum Lyoner Bahnhofe, wo wir Oberstabsarzt Dr. Str. 
fanden, dem es ebenso ergangen war wie mir, d. h. trotz eines von lieu mußte 
er im Militärgesäuguisse bis zum 14. Dezember sich gedulden. Auch die 
Schwestern hatte man schon zum Bahnhofe gebracht, obwohl sie ihre drei 
Monate noch nicht ganz abgesessen hatten. Zurückgeblieben in Paris sind 
zwei Aerzte, außerdem, wenn ich nicht irre, 15 Sanitäter, die mit Strafen 
bis zu drei Jahren belegt wurden. Neuerdings verlautet zwar, das Urteil 
sei wegen eines Formfehlers aufgehoben worden, allein sichere Nachrichten 
liegen nicht vor. Mir ist wenigstens nichts davon bekannt. 
Dies sind in gedrängter Kürze meine Erlebnisse in der Gefangenschaft. 
Die „große" Nation bat sich hier wahrlich sehr, sehr klein gezeigt. „Frank- 
reich verurteilt keinen Unschuldigen," „Frankreich handelt nur nach Gerechtig¬
	        
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