Volltext: Mit Herz und Hand fürs Vaterland!

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in ihrem Koffer oder Rucksacke Taschentücher und Handtücher, die noch die 
Appretur besaßen, also gestohlen sein mußten. Andere hatten sich vergriffen 
an abgeschnittenen Knöpfen, leeren Patronenhülsen, sogar einem französischen 
Offizierskäppi, das sie auf dem Schlachtfelde gefunden hatten. Ich hatte mit 
infamer Hinterlist im Fort von Lüttich, also im befreundeten Belgien, die 
Hände ausgestreckt nach dem Ttrafregister eines Soldaten, das im Regen auf 
der Erde lag und mein Interesse erregte, weil es Zeugnis gab, wie sehr in 
der belgischen Armee auf reine Wäsche gehalten wird. Auch hatte ich den 
Frevel verübt, in demselben Fort eine Feldflasche dem sicheren Untergange zu 
entreißen und auf Anerbieten des Kommandanten meine Ausrüstung damit zu 
vervollständigen Glücklicherweise erkannte mein Kapitän deren nichtdeutsche 
Herkunft nicht, sonst hätte sie mir wohl „den Hals gebrochen". So war es 
allein das Strafregister, das den Zorn Sr. Exzellenz erregte und mir die 
Ehre einer besonderen Audienz verschaffte. 
Dennoch aber traf es uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als am 
5. Oktober nachmittags die Zellenwagen vorfuhren und es für drei Aerzte, 
einen Inspektor und meine Wenigkeit Abschied nehmen hieß von den Leidens- 
geführten, um ins Untersuchungsgefängnis überzusiedeln. Zehn Diakonissen 
sowie die Hälfte der Mannschaft traf das gleiche Schicksal. Bis zum Eintritt 
der Dunkelheit standen die Wagen noch im Hos, umringt von einer höhnenden 
Menge, während wir in den engen Zellen unter dem Druck unseres Gepäckes 
fast erstickten. Von Zeit zu Zeit stieg ein Offizier in den Wagen und öffnete 
meinen Behälter ein wenig, um mir meine und meiner Nation Sünden vor- 
zuhalten. Ich stellte mich, als ob ich kein Französisch verstände; als er jedoch 
sagte: „Wer brennt die Kathedralen nieder, wer vergiftet die französischen Ver- 
mundeten mit Arsenik, wer mordet Frauen und Kinder? Die »zivilisierte 
Nation«, ja, die »zivilisierte Nation- l"da wandte ich ruhig den Kopf zu ihm 
und sagte, auf ihn und den Mob ringsum deutend: „Gewiß, jetzt kenne ich 
die wirklich »zivilisierte« Nation." Wie ein begossener Pudel entfernte er sich 
und sprach zu den Umstehenden: „Der kann besser Französisch als ihr alle!" 
Diese Bemerkung hätte mir allerdings schlimm zu stehen kommen können, ebenso 
der feierliche Protest, den ich beim Betreten des Gefängnisses gegen die schmach- 
volle Behandlung einlegte, allein jetzt war mir alles einerlei. 
So nahm dann am 5. Oktober die grauenvolle Einzelhaft ihren 
Anfang, um erst am 14. Dezember zu enden. Es hieß tüchtig Hunger leiden, 
denn außer einem kleinen Schwarzbrote (das, wie ich später hörte, manche 
schon um neun Uhr morgens verzehrt hatten) gab es nur etwas dünne Kohl- 
brühe in der Frühe und etwas Erbsen- oder Kartoffelsuppe abends. Wer 
nur ein Wort mit dem Zellennachbar zu reden versuchte oder sonst im geringsten 
gegen die Gefängnisordnung verstieß, wurde zu noch strengerer Haft nur bei 
Wasser und Brot verurteilt. Auch mich traf gerade während der bitterkalten 
Novembertage dieses wenig beneidenswerte Los. Kein Wunder, daß wir uns 
beim allgemeinen Wiedersehen am 14. Dezember kaum wiedererkannten, so sehr 
hatten die meisten durch die ausgestandenen Strapazen gelitten.
	        
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