Volltext: Mit Herz und Hand fürs Vaterland!

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Herr, sondern wie das seiner Verantwortung bewußte Haupt des Staates, und 
wenn man diese nachdenkenden Augen und bewegungslosen Lippen beobachtete, 
mußte man sagen: Die Last des Reiches liegt auf ihm. Für Sekunden schien 
es ein Gesicht von Marmor, reglos bis auf ein Zittern des Augenlides, ein 
leises Zucken der Lippe. Die Augen berührten mich mit einem besonderen 
Zauber, und als sich der Kaiser ein wenig rechts wandte, da überwältigte 
mich erst der Eindruck von dem hohen Ernst dieses Gesichtes, und ich mußte 
an den Ausdruck denken, den man auf manchen Porträts von Lincoln findet, 
den nachdenkenden, in die Ferne gerichteten Blick, wie wenn das Gehirn hinter 
den Augen beschäftigt wäre mit großen schweren Dingen, die noch nicht leben 
im Geist anderer Männer. 
„Einer meiner ersten Gedanken war, daß ich niemals einen berühmten 
Mann gesehen habe, der seinen Porträts so ähnlich sieht. Nur die ernsten, 
nach innen gerichteten Augen kann man nicht malen. Der Kaiser sang die 
Kirchenlieder mit lebendigem Anteil mit; oft sah er gar nicht nach den 
Worten im Buch. Während der Gebete stand er mit geschlossenen Augen und 
ein wenig vorgebeugtem Haupt. Dann war seine Haltung die der tiefsten 
Andacht, und wenn man die innere Anspannung aller Muskeln im Gesicht 
beobachtete, mußte man sagen: Das ist ein sehr frommer Mann. 
„Der Text der Predigt war aus einem der Paulinischen Briefe genommen; 
es war eine echte Kriegspredigt, kraftvoll und zu Herzen gehend, von einem 
Soldaten an Soldaten gerichtet. Alles, was der Geistliche sagte, wurde dann 
zusammengefaßt in dem Liede, das die 2000 Landsturmmänner nach der Pre- 
digt sangen. Es war das alte Niederländische Dankgebet; es wurde auf eine 
Melodie gesungen, in der die kurzen starken Worte wie das Rollen von 
hundert Trommeln klangen. Es braust dahin wie ein Sturm, besonders als 
der Kaiser persönlich in den Gesang eingriff. Der Generaladjutant an der 
kleinen Orgel gab den Sängern die Note an, die Bläser nahmen sie auf, und 
dann brauste der Klang in dem Marschrhythmus der Musik und dem Klirren 
der kurzen Worte durch den ganzen Raum. Der Kaiser gab mit seiner rechten 
Hand den Takt an und akzentuierte kraftvoll die einzelnen Worte. Der Gesang 
stieg empor zu einem glanzvollen Finale; dann kam der Segen und danach 
ein stilles Gebet. Dann schüttelte der Kaiser dem Pastor die Hand, drehte 
sich um und blickte auf die Kriegerschar vor sich. Als er die Stufen von der 
Tribüne herunterschritt, grüßte er und sagte: Guten Morgen, Kameraden! 
Und die Zweitausend antworteten mit einer Stimme, daß es mächtig zur 
Decke hallte: Guten Morgen, Majestät! Diese Begrüßung wird mir unver- 
geßlich sein. Sie kam aus einem Herzen und aus einer Seele; sie war ein 
Ruf der Kameradschaft bis in den Tod." 
»X 
Von den Besuchen des Kaisers bei den Truppen wurden in Feldpost- 
briefen manche charakteristische Episoden und Aussprüche berichtet. Ein bay- 
rischer Fähnrich war am 5. September abends am Bahnhof in D., als der 
Kaiser dort war und die von den Bayern eroberten 150 Feldgeschütze besich¬
	        
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