Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

die letzten Wanderjahre. 
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In Italien hatte er meist mit reisenden Engländern verkehrt und 
sich in deren Sprache und Sitten von neuem so eingelebt, daß er auf 
englischem Fuß fortlebte, englisch sprach und schrieb, am liebsten eng 
lische Zeitungen las, englische Gewohnheiten annahm und die englische 
Nation, wo er nur konnte, als die intelligenteste der Welt pries. Es 
that ihm wohl, sich in Deutschland fremd zu fühlen. 
2. Lichtblicke. 
Die einzige Art der Lichtblicke, welche mitten in seiner ungeselligen 
und verdüsterten Stimmung die Welt ihm gewähren konnte, war die 
Anerkennung seiner Verdienste und seines Genies. In der jüngsten 
Zeit waren solche Sonnenscheine auf zwei seiner Werke gefallen. 
Die Münchener Akademie der Wissenschaften hatte in ihrem Bericht 
über die Fortschritte der Physiologie während des gegenwärtigen Jahr 
hunderts bei der Lehre von den Sinneswerkzeugen seine Schrift „über 
das Sehn und die Farben" erwähnt und seinen Namen neben Pur 
kinje genannt (1824). In seiner „Kleinen Nachschule zur ästhetischen 
Vorschule" war Jean Paul mit dem Vorschlage einer „Litteraturzeitung 
ohne Gründe" ausgetreten. Diese sollte von den berühmtesten Män 
nern geschrieben werden, deren Autorität vollkommen hinreichte, alle 
Gründe zu ersetzen. Ein Mann wie Goethe, der Peterskirche zu Rom 
vergleichbar, worin es für jede Nation einen besonderen Beichtstuhl 
gebe, brauche nur den Titel des Buchs zu nennen und zu sagen: „es 
gefällt mir oder es ist' elend; es ist trefflich oder langweilig". Um 
diese Recensionsart zu kennzeichnen, gab Jean Paul unter anderen 
Beispielen auch sein Urtheil über Schopenhauers „Welt als Wille und 
Vorstellung". Es sei „ein genial philosophisches, kühnes, vielseitiges 
Werk voll Scharfsinn und Tiefsinn, aber mit einer oft tröst- und 
bodenlosen Tiefe — vergleichbar dem melancholischen See in Norwegen, 
auf dem man in seinen finsteren Ringmauern von steilen Felsen nie 
die Sonne, sondern in der Tiefe nur den gestirnten Himmel erblickt, 
und über welchen kein Vogel und keine Woge zieht. Zum Glück kann 
ich das Buch nur loben, nicht unterschreiben. 111 Diese Worte nahm 
der Philosoph als vom Genie dem Genie gespendet, sie haben ihm 
unsäglich wohlgethan, und er hat sich gern darauf berufen. 
1 Jean Pauls fämmtl. Werke (Berlin, Reimer 1827) XLIII. S. 68—72. 
Gemeint ist der Obstrhnsee im Stifte Bergen. (Gwinner. S. 283.) 
Fischer, Gesch. d. Philos. IX. 2. Ausl, N. A. 
S
	        
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