Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

die letzten Wanderjahre. 
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Name in den Lectionsverzeichnissen. Während der folgenden acht 
Semester (von Winter 1826/27 bis Winter 1831/32) hat er zwar 
Vorlesungen angezeigt, aber keine gehalten. Zu der Wintervorlesung 
1826/27 hatten sich drei Mediciner gemeldet. Auf dem Anmeldungs 
bogen für die Wintervvrlesung 1828/29 stehen fünf Namen: außer 
dem bekannten Hofrath Dorow ein Wechselmakler, ein Zahnarzt, ein 
Stallmeister und ein Hauptmann? Die angekündigte Stunde (12—1) 
war dieselbe, in welcher Hegel vor einer großen Zuhörerschaft las, die 
mit jedem Semester an Zahl und Eifer nahm. 
Warum er mit seiner Lehrthätigkeit ein so augenfälliges und 
selbstverschuldetes Fiasko gemacht hat, ist eine wohl auszuwerfende Frage. 
Ich suche den Grund weder in der Wahl der Stunde noch in dem 
privaten Charakter der Vorlesung, am wenigsten in einem persönlichen 
Mangel an Lehrgabe, sondern hauptsächlich darin, daß er nicht über 
die herkömmlichen Fächer der Philosophie lesen, sondern sein eignes 
System vortragen wollte, so weit dasselbe ausgebildet und festgestellt 
war. Aus der Art der .Ankündigung, wie aus den nachgelassenen 
Aufzeichnungen der Vorträge erhellt, daß er sein Werk zum Leitfaden 
derselben nahm. Nun aber war „Die Welt als Wille und Vorstellung" 
lange nicht so groß als ein Semester, wenn nämlich ein ganzes Semester 
hindurch fünf oder gar sechs Stunden wöchentlich darüber gelesen 
werden soll. Ich möchte glauben, daß Schopenhauer mit seinem Lehr 
stoff früher fertig war, als das Semester, und dann für immer genug 
hatte. Das Mißverhältniß zwischen dem Umfange seiner Lehre und 
dem eines akademischen Semesters auszugleichen, scheint er entweder 
nicht vermocht oder nicht gewollt zu haben. Warum sollte er es mit 
seiner mündlichen Lehre anders gehalten haben als mit seiner schrift 
lichen? Noch kurz vor seinem Tode hat er in dem Entwurf einer 
Vorrede zu einer Gesammtausgabe seiner Werke erklärt: „Ich habe 
stets nur dann geschrieben, wenn ich etwas zu sagen hatte. Wenn 
dieser Grundsatz allgemein würde, dürften die Litteraturen sehr zu 
sammenschrumpfen." Nicht auch die Vorlesungen? ^ 
* ©minner. S. 294. — 2 Grisebach in seiner Ausgabe von A. Schopenhauers 
handschriftlichem Nachlaß, Bd. IV., giebt als „Appendix" „Bruchstücke aus den Vor 
lesungen über die gesummte Philosophie" (S. 373—412), die mir zur Bestätigung 
der obigen Ansicht gereichen. Es ist bemerkenswerth, daß er auf dem Katheder 
in Berlin zwar gegen „die Schriften Schelliugs und noch mehr die der Schelliugianer" 
polemistrte (S. 378 ff.) und diesen das Spiel mit abstracten Begriffen vorgeworfen, 
aber nichts gegen Hegel gesagt hat.
	        
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