Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Neue Werke und neue Wanderjahre. 
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Schwester sähe, die ein außerordentliches Mädchen geworden sein muß, 
wie ich nach ihren Briefen urtheile und nach ausgeschnittenen Figuren 
mit poetischem Text, welche mir Graf Pückler mit Ekstase vorzeigte. 
Der ist übrigens ein geistreicher Mensch, und ich freue mich, ihn in 
Rom wiederzufinden." 
II. Die italienische Reise. 
1. Venedig und Rom. 
Seit dem Wechsel der Laufbahn waren elf Jahre verflossen. Jetzt 
war das Ziel erreicht und die Aufgabe seines Lebens in der Haupt 
sache gelöst. Seines Werkes froh, seines Ruhmes gewiß und einer 
längeren Erholung bedürftig, verließ Schopenhauer Dresden den 22. Sep 
tember 1818 und eilte in das gelobte Land Italien, für dessen Sprache 
und Litteratur sein Interesse schon durch Fernow lebhaft erregt war. 
Bei seiner außerordentlichen Sprachbegabung ist es ihm während eines 
Aufenthaltes von nur acht Monaten gelungen, sich die italienische 
Sprache sogar in einigen ihrer Mundarten anzueignen. 
Die Reise ging über Wien und Triest nach Venedig, von dort 
über Bologna und Florenz nach Rom, dann nach Neapel und Bajä, 
Pompeji und Herkulanum, und führte ihn bis Pästum, wo er „mit 
Ehrfurcht die Tempel erblickte, die vielleicht Plato betreten habe". Im 
Laufe des December kommt er nach Rom, wo er die nächsten Monate 
bleibt und wohin er im April 1819 zurückkehrt, nachdem er den März 
in Neapel zugebracht hat. Noch vor Ablauf des Jahres hat er in 
Rom durch Freund Quandt das erste gedruckte Exemplar seines Werks 
erhalten. Er fühlt sich in Rom nicht heimisch. Die moderne Stadt 
und die damaligen Künstlerkreise neuchristlicher und deutschthümelnder 
Art stießen ihn ab und waren gar nicht geneigt, den «lupitor tonans» 
humoristisch gelten zu lassen, wie die Dresdener Schöngeister. Bald 
circulirten schlimme Gerüchte über seine Jmpietät gegen die Mutter, 
seinen Unpatriotismus und seinen Unglaubens 
Dagegen war sein Aufenthalt in Venedig, wo er im Herbst 1818 
und im Mai des folgenden Jahres verweilte, voll zauberischer Ein- 
1 Joh. Friede. Böhmer an Pfeiffer in Frankfurt a. M., Brief vom 18. März. 
1819, Karl Witte an seine Mutter, Brief vom 19. Febr. 1819. In dem erst 
genannten Briese heißt es von Schopenhauer: „Er ist wirklich ein ziemlich völliger 
Narr." Vgl. Grisebach: Sch. Lebensgeschichte S. 130. Gwinner, Schopenhauers 
Leben S. 185.
	        
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