Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

52 Der dritte Abschnitt der Jugendgeschichte. 
des Willens zum Leben, in der vollkommensten Selbstverleugnung mit 
allen ihren Tugenden bestehe, daß nur auf diesem Wege aus der Welt 
des Verlangens und der Gelüste in die des Nichts und der Stille, 
aus dem Sansara in das Nirwana gelangt werde. Der Stifter dieser 
Religion, nach der Legende ein Königssohn, in Wahrheit der Spröß 
ling eines aristokratischen Geschlechts (<)akja), heißt als der Einsiedler 
dieses Geschlechts „<Mja muni", als Büßer und Asket „Gautama", 
als der Wissende und siegreich Vollendete „Buddha". Aus seinen 
Schülern ist eine Gemeinde, aus dieser mit der Zeit eine Kirche, eine 
Hierarchie, eine Weltreligion, die der ostasiatischen Völker geworden, 
die heute den dritten Theil der Menschheit zu ihren Bekennern 
zählt. 
In seiner pantheistischen Lehre von dem Einen, welches in allem 
lebt (Brahm — Ätman), ist Schopenhauer völlig einverstanden mit der 
Vedantaphilosophie und dem Oupnek'hat. In seiner pessimistischen, 
darum auch atheistischen Weltansicht, in dem Wege wie in dem Ziel 
der Erlösung stimmt er mit dem Buddhismus überein und fühlt sich 
in seiner Lehre wesentlich dadurch bestärkt, daß er die zahlreichste der 
Weltreligionen für sich hat. 
Der eine Grundgedanke aber, in welchem die Ideen Schopen 
hauers als in ihrem Centrum zusammentreffen, läßt sich in kürzester 
Fassung so aussprechen: Das Thema der Welt ist „die Selbst 
erkenntniß des Willens". Dieser Grundgedanke theilt sich in zwei 
Hälften; „Die Welt als Vorstellung" und „Die Welt als Wille". 
Daher nennt sich das Ganze: „Die Welt als Wille und Vorstellung". 
Jedes der beiden Grundthemata theilt sich wiederum in zwei Be 
trachtungen; daher sich das Ganze in vier Bücher gliedert: „1) Der 
Welt als Vorstellung erste Betrachtung: die Vorstellung, unterworfen 
dem Satze vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft. 
2) Der Welt als Wille erste Betrachtung: die Objectivation des 
Willens. 3) Der Welt als Vorstellung zweite Betrachtung: die Vor 
stellung, unabhängig vom Satz vom Grunde: Die platonische Idee: 
das Object der Kunst. 4) Der Welt als Wille zweite Betrachtung: 
bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens 
zum Leben". Diese vier Bücher lassen sich auch bezeichnen als 
Dianoiologie (Erkenntnißlehre), Metaphysik. Aesthetik und Ethik. 
Das erste Buch gründet sich auf die Kritik der reinen Vernunft, 
die Schopenhauer, wie schon erwähnt, damals nur in der zweiten Auf-
	        
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