Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
- Parerga I. S. 213—288. - 2 Ebendas. S. 237-238. 
7rpdvota). Der Glaube an die blinde Nothwendigkeit heißt Fatalismus, 
den Glauben an die vorhersehende nennt Schopenhauer „transscendenten 
Fatalismus" und hat darüber in seinen Parerga den schon früher 
erwähnten Aufsatz geschrieben: „Transscendente Speculation über die 
anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen"? Das Motto 
aus der vierten Enneade des Plotin lautet (deutsch): „Es giebt im Leben 
keinen Zufall, sondern durchgängige Harmonie und Ordnung". 
Was uns als Zufall erscheint, ist, tiefer gesehen und bis auf den 
innersten Grund erleuchtet, Absicht, Fügung, Vorsehung. Jeder ist sein 
eigener Schutzgeist, der Werkmeister seiner Schicksale, wie jeder gleichsam 
der Theaterdirector seiner Träume ist, auch aller Hindernisse und Wider 
wärtigkeiten, welche wir im Traum erfahren. Was wir mit Bewußtsein 
wollen und ausführen, nennen wir unsere Handlungen; was wir un 
bewußt wollen und vollbringen, sind unsere Schicksale. „Jeder Mensch 
ist der Wille zum Leben auf eine ganze individuelle und einzige Weise, 
gleichsam ein individualisirter Act desselben." „Da wir nun das 
Abwenden des Willens vom Leben als das letzte Ziel des zeitlichen 
Daseins erkannt haben; so müssen wir annehmen, daß dahin ein 
jeder auf die ihm ganz individuell angemessene Art, also auf weiten 
Umwegen allmählich geleitet werde." 2 
Was von jedem Einzelnen gilt, gilt von allen, von dem Gange 
aller menschlichen Dinge überhaupt, also vom Weltlaufe, der von der 
ausnahmslosen, blinden Nothwendigkeit (Naturlauf) beherrscht wird. Was 
hier als Zufall erscheint, als äußeres Zusammentreffen der Umstände, 
das ist im Vergangenen begründet und Künftiges anzeigend, daher vom 
Schicksalsglauben als ominos, vom Vorsehungsglauben als absichtsvoll 
betrachtet. Diese unerklärliche Einheit des Zufälligen mit dem Noth 
wendigen ist der geheime Lenker aller menschlichen Dinge, und ihre 
alleinige Wurzel ist „das tiefinnere metaphysische Wesen der Dinge". 
Wie der Einzelne in seinem Schicksalsgange zum Endziel alles 
Lebens geleitet wird, so die Welt zum Endziel aller Dinge. Wenn 
die Welt eine Heilsordnung ist, so ist der Weltlauf ein Heilsweg 
und die Nothwendigkeit der Dinge, unbeschadet der durchgängigen Deter 
mination jeder Begebenheit, eine heilsame Fügung, d. h. Vorsehung. 
Wir lassen von der Welt gelten, was von jedem Einzelnen gilt: „daß 
selbst der individuelle Lebenslauf von den Begebenheiten, welche das oft
	        
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