Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
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5. Der transscendente Fatalismus. 
Wenn man, den Bück auf das Fundament des Lehrgebäudes 
gerichtet, das ursprüngliche Hauptwerk mit den späteren Ergänzungen 
sowohl im zweiten Bande als auch in den Parerga vergleicht, so wird 
es der aufmerksamen Prüfung nicht entgehen, daß die Lehre vom Dinge 
ou sich als dem Urwillen, dessen Erscheinung die Welt ist (die Welt als 
Wille), ihre Züge verändert, daß trotz aller Gegenversicherungen des 
Philosophen diese Grundlage, auf der sein System ruht, nicht sich selbst 
gleich bleibt und uns am Ende ein anderes Gesicht zeigt als im Anfang. 
Je mehr die Wurzeln der Individualität und ihres intellectuellen 
Charakters in das Ding an sich eindringen, um so mehr differenzirt 
und erhellt sich dieser dunkle Abgrund der Welt. Und wenn Doß in 
seinem „langen apostolischen Schreiben" die Frage nach dem „Ueber- 
gauge vom Dinge an sich zur Persönlichkeit" auswarf, so waren 
solche Fragen und Bedenken nicht wegzuscherzen. Becker hatte gemeint: 
er wünsche „nähere Nachrichten über die Geschichte des Dinges an sich"? 
Pessimismus und Atheismus hängen so genau zusammen, daß 
in demselben Maße, als jener an Geltung einbüßt, auch dieser au 
Sicherheit abnimmt und sich zurückzieht. Wir haben schon gesehen, 
wie es sich mit dem Pessimismus in der Lehre Schopenhauers ver 
hält. Das Urwesen und das Endziel der Welt müssen einander ent 
sprechen, und wie sich die Idee des letzteren gestaltet, demgemäß wird 
sich auch die des ersteren darstellen und — umgestalten. Zwischen den 
beiden Bänden des Hauptwerks liegt ein Vierteljahrhundert (1819 bis 
1844). Die Lehre von der Welt als einer „Heilsordnung", die 
wir erst am Schlüsse des ergänzten Hauptwerks finden, enthält auch die 
Lehre vom menschlichen Leben als einem Heilswege, von einer heil 
samen auf das Endziel der Erlösung abzweckenden Fügung der Schicksale, 
welche an die christliche Idee der Vorsehung nicht bloß unwillkürlich 
erinnert, sondern von Schopenhauer selbst mit dieser verglichen wird. 
Es giebt drei Arten, die Nothwendigkeit im Gange der mensch 
lichen Dinge aufzufassen: sie gilt entweder als der völlig determinirte 
Naturlauf, das blinde Schicksal (Fatum), oder als die unsichtbare 
Lenkung des Einzelnen durch seinen Schutzgeist (Genius), oder als 
die vorhersehende, die Welt regierende Nothwendigkeit (Vorsehung, 
1 Schemann: Schopenhauer-Briefe. Briefwechsel mit Ad.v.Doß. S. 228—240. 
(Briefe vom April und Mai 1852.) 
Fischer, Gesch, d, Philos, IX, 2, Aufl, N, A, 
84
	        
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